Der überraschende Sieg des Systemkritikers und Linkspolitikers Bernardo Arevalo sorgt in Guatemala auch Wochen nach der Stichwahl für Turbulenzen. Die Staatsanwaltschaft geht nun verschärft gegen die Partei "Movimiento Semilla" des Siegers vor. Arevalo vermutet dahinter einen Putschversuch durch die Justiz. Aus Protest hat der gewählte Präsident die Übergabe der Macht zunächst ausgesetzt. Erst wenn die umstrittene Generalstaatsanwältin Maria Consuelo Porras und andere hohe Justizbeamte zurückgetreten sind, will er die Transition fortsetzen.
Razzia im Wahlgericht
Am Dienstag hatte die Staatsanwaltschaft eine Razzia in den Einrichtungen des wichtigsten Wahlgerichts Guatemalas vorgenommen. Arevalo kritisierte die Ermittlungen zu seinem Wahlsieg als "eklatante Verbrechen des Amtsmissbrauchs zu Wahlzwecken". Kürzlich hatten bereits Vertreter indigener Gruppen den Rücktritt von Porras gefordert.
Razzien, eine inzwischen wieder aufgehobene Suspendierung der Partei und das Anzweifeln der Wahlergebnisse beschäftigen das mittelamerikanische Land seit Wochen. Der einflussreiche Wirtschaftsverband Cacif, Kirchenvertreter und andere Sektoren verurteilten die jüngsten Durchsuchungen und forderten eine "Wahrung der verfassungsmäßigen Ordnung". Bei der Stichwahl im August entfielen auf den linksgerichteten Arevalo 60,9 Prozent der Stimmen. Sandra Torres, die für einen Mitte-Rechts-Kurs stand, holte 39,01 Prozent.
Katholische Kirche besorgt
"Die katholische Kirche hat über die Bischofskonferenz ihre Besorgnis über die Art und Weise zum Ausdruck gebracht, mit der die Staatsanwaltschaft eine Reihe von Verfahren durchführt, die eindeutig rechtswidrig sind", sagte Nery Rodenas, Geschäftsführer des Menschenrechtszentrums des Erzbistums Guatemala-Stadt. "Wir glauben, dass sie diese Art von Maßnahmen in Zukunft fortsetzen könnte", so Rodenas am Donnerstag gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
Ines Klissenbauer, Mittelamerika-Referentin des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat, resümierte: "Der 'Pakt der Korrupten' – diese reichen, einflussreichen Gruppen, mit denen der bisherige Präsident Alejandro Giammattei Justiz und Parlament beherrscht hat – gibt die Macht nicht freiwillig aus der Hand." Alle politischen Kräfte Guatemalas müssten das demokratische Wahlergebnis jetzt uneingeschränkt akzeptieren und die Gesetze achten. Die Machenschaften korrupter Kreise vor und während der Präsidentschafts- und Parlamentswahl seien illegal.
Resultat endlich anerkennen
Die USA und die Europäische Union forderten die Institutionen in Guatemala unterdessen auf, die Verfassung zu respektieren. Ähnlichäußerte sich Thomas Rachel, Co-Vorsitzender des Arbeitskreises Lateinamerika der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, auf Anfrage der KNA: "Die undemokratischen Bemühungen, das Wahlergebnis in Guatemala zu kippen, sind zutiefst besorgniserregend." Alle staatlichen Stellen und politischen Akteure des Landes müssten das Resultat endlich anerkennen.
Die internationale Öffentlichkeit beobachte genau, ob die Integrität des Wahlprozesses gewahrt werde, fügte Rachel hinzu. "In Zentralamerika haben autokratische und diktatorische Tendenzen zugenommen", so der deutsche Christdemokrat. Umso wichtiger sei es, dass in Guatemala der Übergang zur neuen, demokratisch gewählten Präsidentschaft korrekt und friedlich verlaufe.