Zum Jahresdenken im Iran Einheit gegen Mullahs gefordert

Regime ohne Rückhalt

Vor einem Jahr hat der gewaltsame Tod von Mahsa Amini im Iran große Proteste ausgelöst. Aller Repression zum Trotz lasse sich das Rad der Entwicklung nicht zurückdrehen, sagt eine junge Iranerin, die von Europa aus um Freiheit kämpft.

Demonstration nach dem der Tod von Mahsa Amini / © Paul Zinken (dpa)
Demonstration nach dem der Tod von Mahsa Amini / © Paul Zinken ( dpa )

DOMRADIO.DE: Hier in Deutschland haben wir zuletzt deutlich weniger von Protesten im Iran gehört. Was ist aus den Protesten geworden?

Sara (Pseudonym, iranische Studentin in Deutschland und ehrenamtliche Mitarbeiterin der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte, IGFM): Wir haben aus zwei Gründen weniger gehört. Einer ist, dass die Medien ihre Berichte erheblich reduziert haben, dass sie weniger Interesse an den Angelegenheiten im Iran gezeigt haben.

Im Laufe des Jahres haben wir gesehen, wie Medien verstärkt dem Stereotyp folgen, in dieser Weltregion sei ohnehin immer etwas los, all diese Dinge seien dort im Grunde normal, das Leben in Ländern wie dem Iran sei weniger beachtenswert.

Der zweite Grund ist, dass die Leute im Land selbst nach den Hinrichtungen und Verhaftungen ihre Energie zurückgehalten haben, um ihren Ärger für den Jahrestag von Mahsa Aminis Tod aufzusparen. Daher müssen wir erst abwarten, wie die Menschen im Iran an diesem besonderen Tag handeln werden.

Sara

"Eigentlich hat sich seit der Tragödie von Mahsa Aminis Tod im letzten Jahr vieles verändert."

DOMRADIO.DE: Wie bewerten Sie die aktuelle Situation im Iran jetzt, ein Jahr nach dem Tod von Mahsa Amini?

Sara: Eigentlich hat sich seit der Tragödie von Mahsa Aminis Tod im letzten Jahr vieles verändert. Die Iraner und Iranerinnen haben ihre traditionelle und konservative Denkweise in eine modernere umgewandelt. Und die Einheit, die wir im Verlauf dieses Jahres der Proteste erlebt haben, war doch einzigartig.

Die Menschen haben die Mauern der Trennung eingerissen, die Mauern also, die die Regierung 44 Jahre lang errichtet hatte. Ich denke, die Iraner sind als Nation viel klüger geworden und weniger geneigt, sich von den leeren Versprechungen der Beamten täuschen zu lassen.

Während die Lebensqualität im Land abnimmt und die Korruption des Regimes immer offensichtlicher wird, vereinen sich immer mehr Menschen im Kampf gegen eine verrottete Ideologie.

Sara

"Um Freiheitskämpfer in ihrem Kampf gegen ein brutales Regime stärker zu unterstützen, sind mehr Taten erforderlich."

DOMRADIO.DE: "Frauen - Leben – Freiheit". Das haben sich die Demonstrierenden im Iran auf ihre Fahnen geschrieben. Viele hier im Westen haben das als Motto aufgegriffen. Wie wichtig ist internationale Solidarität für die Menschen im Iran?

Sara: Sehr wichtig. Ich denke, es ist entscheidend, die Proteste vor allem auch als Kampf iranischer Frauen gegen ein patriarchalisches Regime zu verstehen. Alle feministischen Gruppen sollten mit den Freiheitskämpferinnen zusammenstehen, sollten besonders mit den Frauen im Iran Solidarität zeigen, denn die sind Hauptziel der Unterdrückung durch die Islamische Republik.

Das steht auch in den Medien nicht zu Debatte. Aber – und das ist meine persönliche Meinung – was wir erlebt haben, waren viele Reden, aber kaum konkrete Maßnahmen zur Solidarität mit dem Iran und besonders den iranischen Frauen. Um Freiheitskämpfer in ihrem Kampf gegen ein brutales Regime stärker zu unterstützen, sind mehr Taten erforderlich.

DOMRADIO.DE: Im Vorfeld des Jahrestages hat das Regime seine Repressalien noch einmal verstärkt. Was zeigt das?

Sara: Jede korrupte Regierung wird, wenn sie sich bedroht sieht, alles tun, um ihre Macht und Ideologie zu wahren. Und "Frau – Leben – Freiheit" ist die längste und stärkste Form des Protests in der Geschichte des Irans seit der Islamischen Revolution. Natürlich fürchtet die Regierung die Einheit der Bewegung.

Und das Ausmaß der Gewalt und Unterdrückung ist schlicht ein Zeichen der Angst. Es zeigt, dass sich die Regierung ihrer schwachen Position im heutigen Iran und insbesondere unter der jungen Generation voll bewusst ist.

Sara

"Dieses Regime fürchtet das vereinte Volk"

DOMRADIO.DE: Sie selbst werden den Jahrestag von Mahsa Aminis Tod hier in Deutschland begehen. Wie genau?

Sara: Es gab mehrere Aufrufe von Aktivisten der iranischen Diaspora, zum Beispiel für den Tag davor zu einem Protest vor dem Konsulat der Islamischen Republik hier in Frankfurt. Auch für den Jahrestag selbst sind verschiedene Aktionen geplant.

Ich persönlich nehme an den Protesten in Frankfurt teil und mache Fotos, die ich später veröffentlichen will, um meinen Einsatz zu zeigen und auf die Lage im Iran aufmerksam zu machen. Aber ich denke, und das ist meine Meinung, es wäre viel besser gewesen, wenn alle Iranerinnen und Iraner in Deutschland uns am Jahrestag von Mahsa Aminis hätten vereinen können. Denn wir haben einen gemeinsamen Feind: die Islamische Republik.

Dieses Regime fürchtet das vereinte Volk; und sie haben so viel Energie und Ressourcen darauf verwendet, uns erneut zu spalten! Der einzige Weg, sie zu besiegen, besteht darin, dass wir uns gegen dieses brutale Regime vereinen.

Das Interview führte Hilde Regeniter.

EU droht Iran zu Todestag von Amini mit weiteren Strafmaßnahmen

Die EU hat der iranischen Regierung zum ersten Todestag der Protestikone Jina Mahsa Amini eine Verschärfung von Sanktionen angedroht. Man prüfe alle zur Verfügung stehenden Optionen, um Fragen zur Menschenrechtslage in der islamischen Republik anzugehen, teilte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Freitag im Namen der Mitgliedstaaten mit.

Europa-Fahnen vor dem EU-Parlament in Brüssel / © artjazz (shutterstock)
Europa-Fahnen vor dem EU-Parlament in Brüssel / © artjazz ( shutterstock )
Quelle:
DR