Engelforscher erklärt Besonderheiten der Erzengel

"Engel sind eigentlich queer"

Sie heißen Michael, Gabriel und Rafael. Den Erzengeln gedenkt die katholische Kirche an diesem Freitag. Der Theologe Uwe Wolff weiß, dass sie aber nicht nur in der christlichen Religion eine entscheidende Rolle spielen.

Darstellung des Erzengels Michael mit Schwert / © Prachaya Roekdeethaweesab (shutterstock)
Darstellung des Erzengels Michael mit Schwert / © Prachaya Roekdeethaweesab ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Was macht Michael, Gabriel und Rafael denn so besonders, dass sie im Gegensatz zur namenlosen Engelschar so herausgehoben werden?

Dr. Uwe Wolff (Theologe, Kulturwissenschaftler und Engelforscher): Wir erfahren namentlich etwas von Ihnen und von Ihrem Wirken. Fangen wir bei Gabriel an. Der bringt die frohe Botschaft zu Maria, Gott wird geboren. Gabriel taucht auch im Islam auf. Da kommt er zum Propheten Mohammed und verkündigt den Koran, die Geburt der neuen Religion.

Die Älteren unter uns wissen noch, dass Rafael der klassische Name des Erzengels ist, der über Krankenhäuser wacht. So gibt es zum Beispiel die "Raphaelsklinik" in Münster.

Michael ist der Engel mit dem Schwert. Der Engel der Herbstzeit, der gegen das Böse kämpft. Das tut er nicht nur draußen in der Welt, sondern vor allem auch in uns. Diese drei Erzengel sind sozusagen das himmlische Triumvirat.

DOMRADIO.DE: In Ihren Büchern suchen Sie auch immer nach kuriosen Bezügen und nach ungewöhnlichen Geschichten. Gibt es da eine Sache, die Ihnen speziell zu Michael einfällt?

Wolff: Der Michael ist der Schutzpatron von vielen Kirchen. Seit dem zehnten Jahrhundert werden in Deutschland Kirchen für Michael gebaut. Das heißt, die Kirche soll eigentlich ein Ort der Engel sein.

Uwe Wolff

"Der Himmel und die Engel denken hierarchisch."

DOMRADIO.DE: Im Volksglauben sind Engel eigentlich geflügelte Wesen mit blond gelocktem Haar und eher weiblich assoziiert. Aber die "Engel-Leiter-Runde" ist ausdrücklich männlich. Herrscht also die gleiche Hierarchie wie auf Erden auch im Himmel?

Wolff: Der erste und große Engelforscher, Dionysius von Areopag, hat zwei Bücher geschrieben. Eines handelt von der himmlischen Hierarchie der Engel. Daraus ist die kirchliche Hierarchie abgeleitet, beides hängt ganz eng zusammen. Das ist uns heutzutage fremd, weil wir demokratisch denken, aber der Himmel und die Engel denken hierarchisch. Nicht aber in dem Sinne, dass Hierarchie negativ ist und andere unterdrückt, oder militärisch, sondern eine heilsame, klare Ordnung und Struktur.

Ein bisschen salopp ausgedrückt, sind die Engel eigentlich queer. Sie gehen durch alle Geschlechter. Das ist besonders gut bei Gabriel zu sehen. Da kann man sich nicht sicher sein, ob das ein Mann oder eine Frau ist. Das ist aber ganz bewusst gemacht, früher sprach man von "androgyn", also Mann und Frau in einem.

Damit ist kein Zwitterwesen gemeint, sondern es sind Seelen-Aspekte. Das Männliche und das Weibliche lebt in den Engeln und zwar in einer heiligen Ordnung. Davon verstehen wir heute nur noch sehr wenig. Deshalb sind die Engelfeste so wichtig, dass sie uns wieder daran erinnern. Alles hat irgendwo eine Ordnung.

Erzengel Michael, Gabriel, Rafael / © Gemeinfrei
Erzengel Michael, Gabriel, Rafael / © Gemeinfrei

DOMRADIO.DE: Sie selbst haben die Engel mal als "Streetworker Gottes" bezeichnet. Wie meinen Sie das?

Wolff: Etwas überspitzt lässt sich sagen, dass Engel dahin gehen, wo Hochwürden nicht hingehen. Sie sind also vorne an der Basis, da wo Gott unmittelbar zu den Menschen spricht, wo er gebraucht wird. Engel haben auch keine Angst, sich die Hände schmutzig zu machen.

Sie sind also ganz konkret "auf der Straße", wie der Ausdruck das ja auch sagt, bei denen, die nicht zur Gesellschaft gehören, die am Rand stehen. Engel sind in den Krankenhäusern, in den beschützenden Werkstätten und sonst überall. Engel in Menschengestalt sind die "Streetworker Gottes".

DOMRADIO.DE: Sie sind davon überzeugt, dass es Engel wirklich gibt?

Wolff: Aber ganz gewiss. Sonst wäre es ja völlig sinnlos, dass wir miteinander sprechen. Wir reden hier nicht über Phantasien. Ich würde auch niemals sagen, dass ich den Engel erfahren habe und es ihn deshalb gibt. Das ist die Kulturgeschichte der Menschheit selbst, nicht nur des Christentums.

Wir verdanken die Engel dem Judentum. Und wie ich schon sagte, der Islam verehrt auch die Engel. Seit Urzeiten reden Menschen von Engelerfahrung. Der Einzelne kann ein bisschen rumspinnen und sich so was ausdenken, aber nicht die Menschheitsgeschichte. Sie ist der Beweis. Engel gibt es wirklich.

Uwe Wolff

"Engel sind immer umsonst."

DOMRADIO.DE: Kommen wir mal auf die Esoteriker zu sprechen, die sehr viel mit Engeln hantieren. Welche Rolle spielen die Erzengel dort?

Wolff: Esoterik heißt ja "Innenschau", also das geheimnisvolle Wissen. Die Esoteriker spinnen aus meiner Sicht ein bisschen. Warum? Weil die Engel immer Gnade sind, immer Geschenk sind. Die kommen freiwillig, die kommen auch oftmals unerwartet.

Die Esoterik versucht daraus ein System zu machen. Also man mischt Engel-Karten, Engel-Orakel, man lernt, wie man Kontakt zum Engel aufnimmt. Das muss man alles gar nicht. Engel sind immer umsonst, die fliegen in unser Leben rein und plötzlich sind sie da.

DOMRADIO.DE: Es scheint ein großes Bedürfnis nach Engeln bei den Menschen zu geben. Da könnte die Kirche doch ein bisschen mehr bieten?

Wolff: Absolut. Seit 1989 veröffentliche ich Bücher über Engel, habe unendlich viele Vorträge gehalten und immer wieder darauf hingewiesen. Die Kirche hat doch diese Tradition der Engel, nicht nur der drei Erzengel, sondern auch die der Schutzengel. Das ist ein unglaubliches Geschenk.

Aber die Kirche hat sich auch immer wieder mit den Engeln schwergetan. Warum? Das ist ganz einleuchtend. Der liebe Gott fährt sozusagen eine Doppelstrategie. Auf der einen Seite hat er die Vermittlung über die Kirche, die "una sancta catholica et apostolica" und auf der anderen Seite hat er eine Art direkte Eingreiftruppe. Wenn die Kirche in die Krise gerät, dann schickt er die Engel, damit das Ganze wieder in Schwung kommt.

Das ist bereits in der Apostelgeschichte nachzulesen. DDeshalb ist es gar kein Zufall, dass wir in der heutigen Zeit, dieser großen Zeit des Umbruchs, der Krise und der Erneuerung, immer wieder nach den Engeln fragen. Es wäre sehr schön, wenn die Kirche sagt, es gehe nicht nur über diesen einen Weg, sondern über ganz viele.

Ich bin leidenschaftlicher Katholik, ich bin Konvertit und vor zwei Jahren erst freiwillig und mit viel Glück und Liebe in die katholische Kirche eingetreten. Die Engel sind bei uns in der Eucharistie, in jeder Messe drin.

Wir singen ja immer das Gloria, das Sanctus und wir feiern die Eucharistie mit den Engeln. Das nimmt kein Mensch mehr wahr. Wir singen einfach drüber hinweg über dieses Halleluja, Gloria und das Sanctus. Das sind alles Zitate aus der Welt der Engel. Das heißt, die Engel sind immer da.

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Quelle:
DR