DOMRADIO.DE: Seit wann gibt es diplomatische Beziehungen zwischen dem Vatikan und Deutschland?
Ulrich Nersinger (Vatikan-Experte): Genau fassen kann man das nicht, weil es im Laufe der Geschichte immer Beziehungen zum Heiligen Stuhl gab. Es gab auch sporadisch Botschafter.
Eine ständige Vertretung des Papstes im Deutschen Reich gab es erst 1584. Da wurde eine Nuntiatur in Köln begründet. Die war im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation akkreditiert. Dann gab es 200 Jahre später, weil Bayern etwas Besonderes sein wollte, die Nuntiatur in Bayern 1784.
DOMRADIO.DE: Wie haben sich die Beziehungen durch die zwei Weltkriege verändert?
Nersinger: Sie haben sich teilweise verändert. Es gab aber auch dramatische Situationen. 1917 wurde Eugenio Pacelli, der spätere Pius XII., zum Apostolischen Nuntius in Bayern ernannt, also noch mitten im Ersten Weltkrieg. Als sich das Ende des Krieges für Bayern abzeichnete, kam es in München zu Revolutionen, wie den Spartakistenaufstand.
Die Spartakisten wollten die Nuntiatur besetzen und den Nuntius zu der Herausgabe seines Botschafterwagens zwingen. Der Nuntius hat sich ihnen entgegengestellt, obwohl er im Grunde schon die Pistole an der Schläfe hatte. Aber er hat es dann durch sein Auftreten geschafft, Schlimmeres abzuwenden. Das Besondere ist aber eigentlich, dass der Nuntius in München geblieben ist, während alle anderen Diplomaten geflohen waren.
DOMRADIO.DE: Deutschland feiert den Tag der Deutschen Einheit. Hat der Vatikan die Wiedervereinigung gutgeheißen? Gab es dazu eine offizielle Reaktion?
Nersinger: Das fanden sie auch mit Blick auf den damaligen Papst Johannes Paul II. natürlich gut. Aber es gibt auch eine interessante Episode. Im Rahmen der Ostpolitik hatte man im Vatikan erwogen, diplomatische Beziehungen zu Ostberlin aufzunehmen. Das war ganz kurz vor dem Mauerfall. Aber der Mauerfall ist dazwischengekommen und hat vielleicht so eine Art Wunde zwischen Deutschland und dem Heiligen Stuhl verhindert.
DOMRADIO.DE: Gibt es besondere Geschichten rund um diplomatische Verwicklungen oder sogar Fauxpas?
Nersinger: Es gibt eine recht bedeutsame Geschichte, die sich 1848 abspielte. Das war das Jahr, in dem in Rom die Revolution ausbrach. Der Palast des Papstes wurde belagert, sodass der damalige Papst fliehen musste. Pius IX. musste sich aufmachen, in ein befreundetes Land zu fliehen, nach Gata ins Königreich beider Sizilien.
Man schaute genau, wo der Papst war und letztendlich gelang es dem bayerischen Gesandten durch verschiedene Umstände und Tricks, den Papst zur Flucht zu verhelfen.
Der Papst hat dann in Zivilkleidung den Palast verlassen und ist in eine Kutsche gestiegen. Der bayerische Gesandte fragte den Papst daraufhin, wie er sich in Zivilkleidung und bei Fahrt durch die römische Campagna fühle. Dann soll der Papst gesagt haben: "Wie ein Landarzt". Er hatte auch in einer solchen Situation noch eine gute Portion Humor.
Das Interview führte Verena Tröster.