DOMRADIO.DE: Wie muss man sich denn ein multireligiöses Gebet vorstellen?
Prof. Klaus von Stosch (Professor der Systematischen Theologie an der Universität Bonn): Es geht darum, dass die Gebetselemente aller drei Religionen jeweils für sich stehen, eine Torah-Rezitation, eine Koran-Rezitation und ein Psalm-Gesang. Wir haben auch Elemente dabei, die die Möglichkeit bieten, die Grenzen zu überschreiten, also etwa ein Gebet von Franziskus, das er bewusst auch für ein Gebet der Religionen formuliert hat.
Da kann man dann für sich entscheiden, ob man das als christliches Gebet wertet und dann nur Christen mitbeten oder ob man die Einladung des Papstes befolgt, auch als Juden und Muslime mit zu beten.
Insofern ist das Gebet erst mal so, dass es die getrennten Elemente der verschiedenen Religionen gibt. Aber an bestimmten Punkten gibt es auch Einladungen, für sich selbst zu entscheiden, ob man das übersteigen will und dann auch ins gemeinsame Gebet findet.
DOMRADIO.DE: Jede Religion wird vermutlich für sich selber die Passage, den Text, das Gebet aussuchen? Wie koordiniert man, dass das zusammenpasst?
Von Stosch: Wir haben ein gemeinsames Anliegen. Das ist die Bewahrung der Schöpfung und der Klimaschutz. Wir beten ja auch unter diesem Motto "Faith United for the Planet", also die verschiedenen Religionen vereint für den Planeten.
Es geht um das Thema Nachhaltigkeit und in dem Kontext dann auch um das Thema Frieden. Dadurch kommt die Textauswahl zustande. Das heißt, wir wählen Texte aus den verschiedenen heiligen Schriften, die für das Ziel der Nachhaltigkeit spirituelle Ressourcen zur Verfügung stellen.
Angesichts der gegenwärtigen Konfliktlage in Israel machen wir das jetzt noch zu einem besonderen Schwerpunkt.
DOMRADIO.DE: Wie schwierig ist es, eine solche Veranstaltung, ein solches multireligiöses Gebet in diesen Zeiten anzubieten?
Von Stosch: Es ist erst mal eine Riesenchance. Ich verantworte das Gebet hier zusammen mit meinen jüdischen und muslimischen Kolleginnen und Kollegen. Federführend ist da eine iranische muslimische Theologin, die beim ersten Mal auch ein Friedensgebet zusammen mit meiner jüdischen Kollegin sprechen wird.
Das ist natürlich ein Punkt, wo man um jedes Wort ringen muss, weil es jenseits der Freundschaft dieser beiden auch darum geht, dass beide ihre jeweilige Religionsgemeinschaft in das Gebet mitnehmen können. Da gilt es sehr gut zu überlegen, was man machen kann und wie es gehen kann.
Aber ich erlebe es als sehr inspirierend, dass es so möglich ist, durch das gemeinsame Arbeiten im universitären Kontext auch zu Gebeten zu kommen, in denen wir uns über politische Grenzen hinweg die Hand reichen und unserer gemeinsamen Verantwortung gerecht werden.
DOMRADIO.DE: Das Friedensgebet findet im Rahmen eines Projektes statt, das durch eine Förderung des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft NRW gefördert wird. Können Sie dazu ein bisschen mehr sagen?
Von Stosch: Bei diesem Projekt geht es um den gesellschaftlichen Transfer von Wissenschaft in die Gesellschaft. In unserem Fall geht es darum, dass wir als Theologinnen und Theologen der verschiedenen Religionen seit vielen Jahren ganz intensiv zusammen forschen und arbeiten und dabei ziemlich aufregende Ergebnisse herausbekommen. Aber das führt nicht unbedingt dazu, dass das in der Gesellschaft schon genügend präsent ist.
Das Gebet ist eine Möglichkeit, die gefundenen Gemeinsamkeiten, aber auch die Unterschiede, die uns bereichern, einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen, indem wir sie in einem gemeinsamen Gebet versuchen auf den Punkt zu bringen.
DOMRADIO.DE: Ein Gebet, was sie mit dem Titel "Room of One" betitelt haben. Warum dieser Titel?
Von Stosch: Es geht darum einen Raum zu wählen, der für Juden, Christen und Muslime gleichermaßen ein Raum des Gebets werden kann. Deswegen brauchen wir einen Namen, der das Gemeinsame ausdrückt, das uns eint. Uns eint der Glaube an den einen Gott.
Insofern wird das dann der "Raum des Einen", des einen Gottes und der einen Gemeinschaft der Glaubenden. Wir kooperieren ja auch mit dem "House of One" in Berlin, das diesen Titel für ein ganzes Gebetshaus gewählt hat. Wir nennen jetzt den Kapitelsaal für das Projekt in den Namen "Room of One" um.
DOMRADIO.DE: Was erhoffen Sie sich persönlich von dem multireligiösen Gebet? Es ist ja keine einmalige Veranstaltung. Sie wird bis zum Sommer 2024 laufen. Das ist schon eine gewisse Zeit, bei der man vielleicht der Angst nachgeht, dass sich das irgendwann ausläuft.
Von Stosch: Nein. Es geht jetzt darum, sich gleich von Anfang an für eine längere Zeit zu "committen". Es geht nicht nur darum, angesichts eines Konfliktes oder einer Herausforderung einmalig ein multireligiöses Gebet zu inszenieren, sondern einen gemeinsamen Weg, auch einen spirituellen Weg über Religionsgrenzen hinweg zusammen zu gehen.
Gerade das Thema des Klimaschutzes, der Nachhaltigkeit, Bewahrung der Schöpfung ist ein Thema, bei dem wir alle Ressourcen brauchen, alle Kraft brauchen. Auch das Thema der Bewahrung des Friedens ist nicht nächste Woche erledigt.
Das heißt, wir wollen als religiöse Menschen der verschiedenen Religionen zeigen, dass wir die Verantwortung verstehen, die wir habe, und dass wir dieser Verantwortung nur gerecht werden können, wenn wir auch gemeinsam vor Gott treten. Das ist die Idee. Deswegen ist von vornherein der etwas längere Zeitraum gewählt, der nicht bedeutet, dass wir nach einem Jahr aufhören müssen, aber dass wir das verlässlich mindestens ein Jahr lang machen.
Das Interview führte Bernd Hamer.