Die Konfliktlinien der Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Annette Kurschus, wirkten "wie vorgestanzt", sagte der Historiker Thomas Großbölting dem "Kölner Stadt-Anzeiger".
Nicht reflektiert
Auf der einen Seite gebe es ein Abwehren und Verleugnen, auf der anderen Seite eine Forderung nach raschen und tiefgreifenden Konsequenzen, so der Historiker. "Auf beiden Seiten fehlt mir der Moment des Innehaltens, der aus der moralischen Abwehr oder Empörung einen reflektierten Umgang macht, der vor allem die Belange der Betroffenen mitdenkt."
Kurschus will sich mit einer persönlichen Erklärung an diesem Montag um 11.00 Uhr in Bielefeld an die Öffentlichkeit wenden. Kurschus (60) wehrt sich gegen Recherchen der "Siegener Zeitung", wonach sie als Gemeindepfarrerin in Siegen bereits Ende der 1990er Jahre über Vorwürfe sexuellen Fehlverhaltens gegen einen Kirchenmitarbeiter informiert gewesen sein soll, sie aber nicht gemeldet habe. Dass sie sich daran nicht erinnern könne, sei nicht glaubhaft, so der Vorwurf.
Stellungnahme zu den Vorwürfen
Am Montag wolle Kurschus, die seit 2012 Präses und damit leitende Geistliche der westfälischen Landeskirche ist und 2021 an die Spitze des EKD-Rates gewählt wurde, "insbesondere auf die Vorwürfe gegen ihre Person, die in diesem Zusammenhang medial verbreitet wurden", Bezug nehmen, hieß es. Am Wochenende hatte die Westfälische Kirchenleitung Kurschus den Rücken gestärkt.
Mit Blick auf Missbrauchsskandale allgemein beklagte Großbölting mangelnde Bereitschaft zur Aufarbeitung, insbesondere in den Kirchen. Aufseiten der katholischen Kirche erlebe er auch in der eigenen Arbeit "nach wie vor einen starken, von mir unterschätzten Anteil reaktionärer Kräfte, die allen Aufarbeitungsbestrebungen ablehnend und mit Blockade begegnen". Der Historiker ist einer der Autoren der Untersuchung zu Missbrauch im Bistum Münster.
Einhelliges Vorgehen schwierig
Es gebe "kaum institutionelle Lernprozesse. Das ist schon seltsam", so Großbölting im "Kölner Stadt-Anzeiger" auch mit Blick auf die evangelische Kirche, die eine eigene Missbrauchsstudie in Aussicht gestellt hat. Das Meinungsspektrum innerhalb von Institutionen klaffe so weit auseinander, "dass ein einhelliges Vorgehen ganz schwierig, wenn nicht unmöglich" sei.