DOMRADIO.DE: Als engagierte Christen wollen Sie ihre Stimme in die Gesellschaft einbringen. Sind Sie denn besorgt, wenn man jetzt zum Beispiel auf den Rechtsruck bei der Wahl in den Niederlanden oder auf die Umfrageergebnisse der AfD in Deutschland schaut?
Irme Stetter-Karp (Präsidentin des Zentralkomitees deutscher Katholiken / ZdK): Ja, das bereitet uns allen große Sorge, weil wir ja nicht nur in den Niederlanden, sondern in einer ganzen Reihe von Ländern einen Rechtsruck, Gefährdungen für die Demokratie und Populismus anwachsen sehen.
Ich verbinde das sofort mit einem Thema, das mich den ganzen Vormittag befassen wird. Ich werde heute meinen Bericht zu den aktuellen Entwicklungen in der Vollversammlung mit dem Satz: "Nie wieder ist sie jetzt" beginnen. Ich beginne mit der Erinnerung an den Schriftzug auf dem Brandenburger Tor am 9. November dieses Jahres und in Erinnerung an den 85. Jahrestag der Reichspogromnacht. Wir finden uns in einer Weltlage wieder, die den Schock des Zivilisationsbruchs verarbeiten muss.
Ich gehe nicht im Detail auf den Nahost-Konflikt ein und auch nicht auf Antisemitismus in Deutschland. Aber das wird das Thema am Vormittag mit sehr interessanten Gästen sein, unter anderem mit Botschafter a.D. Shimon Stein, mit zwei starken Journalistinnen und Journalisten und mit einer leitenden Mitarbeiterin von Misereor.
In dieser Vollversammlung werden wir uns mit den Fragen befassen, die in unserer Gesellschaft jetzt zu bearbeiten sind. Wir haben als Christen einen Auftrag, uns in diese sehr unruhige, gefährliche Stimmung einzubringen.
DOMRADIO.DE: Stichwort Migration. Gerade die politischen Kräfte am rechten Rand instrumentalisieren sie immer wieder und die Debatte darüber wird zunehmend schrill. Wie positionieren Sie sich da?
Stetter-Karp: Zunächst einmal möchte ich zu der Gewalt gegen Israel, dem Antisemitismus in Deutschland und dem terroristischen Angriff der Hamas auf Israel folgendes sagen: Wir haben zu Beginn der Entwicklung im Oktober innerhalb einer Woche mit unseren beiden Gesprächskreisen "Juden und Christen" und "Christen und Muslime" Stellungnahmen erarbeitet und veröffentlicht.
Das ist auch ein ganz wichtiger Beitrag, den wir in der Vielfalt unserer Mitglieder und auch in der Expertise leisten können, die unsere Mitgliedsorganisationen einbringen und auch in der Zusammenarbeit mit muslimischen Organisationen und mit den Juden und Jüdinnen in diesem Land, in dem wir versuchen, eine gemeinsame, differenzierte Stimme einzubringen, uns vermittelnd für Frieden einzusetzen und nicht allzu schnell in die lauten, schrillen Stimmen umzuschwenken.
DOMRADIO.DE: Durch Rechtsextremismus, Antisemitismus sowie Hetze und Verleugnung im Netz sehen viele unsere Demokratie in Gefahr. Können Christen da helfen, gegenzusteuern?
Stetter-Karp: Ich glaube nicht, dass wir uns überschätzen, aber auch nicht unterschätzen sollten. Mir ist wohl bewusst, dass wir als Kirchen in einer schwierigen Entwicklung sind. Das brauche ich gar nicht ausführen. Dazu gab es in den letzten Tagen genug in der Öffentlichkeit an Daten, Zahlen, Fakten.
Nichtsdestotrotz oder umso mehr ist doch die Frage, wie wir uns glaubwürdig einbringen können. Da gehören natürlich die Fragen, wie wir uns in einer Gesellschaft politisch verhalten, dazu. Wir haben heute Nachmittag unsere Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Lisa Paus, als Gast.
Wir werden mit ihr über die Familienpolitik der Zukunft sprechen. Konkret heißt das, was den Menschen auf der Straße unter den Nägeln brennt. Gemeint sind damit die Menschen am Rand und diejenigen, die mit weniger auskommen müssen und jetzt die Sorge haben, dass sie unter die Räder kommen. Das verstehen wir als unseren Auftrag, aktiv zu sein.
DOMRADIO.DE: Ein Anlass ist da sicher auch die akute Haushaltskrise. Haben Sie Sorge, dass das Klima, aber auch soziale Dinge wie die Kindergrundsicherung auf der Strecke bleiben?
Stetter-Karp: Ja, natürlich haben wir Sorgen. Wir werden heute Mittag auch mit entsprechenden Statements von unseren Mitgliedsorganisationen mit Ministerin Paus ins Gespräch gehen. Wir werden ihr auch eine Botschaft mitgeben, die gestern am späten Abend noch vorbereitet wurde: "Unsere Kriterien in dieser schwierigen Haushaltslage".
DOMRADIO.DE: Der Synodale Ausschuss ist ganz erfolgreich gestartet. Aber dann kam dieser Brief aus Rom, den der Papst an vier Kritikerinnen des Synodalen Weges geschrieben hat. Ärgert Sie das?
Stetter-Karp: Ja, es spiegelt diese Misere, dass Bischof Georg Bätzing und ich mehrfach dem Papst schreiben, den Vatikan adressieren und um Gespräche bitten, um in einer direkten Kommunikation miteinander weiterzukommen, wider.
Immer wieder betonen wir, dass uns an einer gemeinsamen Weiterentwicklung liegt und dass wir kein Interesse haben, im Kern auszuscheren, aber gleichzeitig die Not in unserem Land wahrnehmen und damit umgehen müssen.
Wir sind da nicht allein. Wir haben eine ganze Reihe von guten Partnern weltweit. Das hat die Weltbischofssynode im Oktober auch gezeigt. Das Märchen, dass wir die Spalter seien und dass wir die Einzigen seien, die quer treiben, das ist ausgeschrieben, vorbei.
Den Brief, der nach Rom gesendet wurde, kennen wir gar nicht. Es wird verweigert, ihn zu veröffentlichen. Wir kennen nur die Antwort. Die Antwort ist im Kern für uns nicht überraschend.
Es gibt mehrere interessante Kommentare aus dem Ausland dazu, zum Beispiel von Daniel Kosch aus der Schweiz und Professor Zulehner aus Österreich. Wir schauen, wie es weiter geht und wir bemühen uns um einen guten und konstruktiven Weg auch in der Zukunft.
Das Interview führte Hilde Regeniter.