Dies ist ein Auszug aus der aktuellen Folge des Podcasts "Himmelklar". Das komplette Gespräch zum Anhören gibt es hier:
Himmelklar: Sie leben als Autorin und Journalistin in Bethlehem, mitten im geografischen Herzen der Weihnachtsgeschichte, kann man sagen. Was macht das spirituell mit Ihnen? An genau dem Ort zu sein, der im Zentrum des Glaubens aller Christen auf der Welt steht?
Stephanie Saldaña (Autorin und Journalistin in Bethlehem): Einer der wunderbaren Vorteile von Bethlehem, ist, dass die Stadt architektonisch von allen Seiten auf das Zentrum, die Geburtskirche, ausgerichtet ist. Alle Hauptstraßen führen zur Kirche. Wenn man sich verläuft, kommt man am Ende ja doch wieder irgendwann bei der Kirche raus. Das ist als ob dich die Gravitation, die Schwerkraft zu diesem Punkt hinzieht. Und auch spirituell ist das in gewissem Sinne so, wenn man hier lebt. Dein ganzes Leben richtet sich an der Krippe, der Ankunft Jesu aus. Das ist ein wunderschönes Erlebnis, sich Tag für Tag mehr bewusst zu machen, dass Gott unter uns präsent ist.
Wir haben hier auch sehr alte, fast schon historische christliche Gemeinden. Vor kurzem habe ich mit einem Freund von uns gesprochen, dessen Familie seit 800 Jahren hier lebt. Die Franziskaner haben ein altes Dokument, wo die Ankunft seiner Familie erwähnt wird. Und der ist dann von Beruf auch noch Zimmermann! So wie Josef, und wie wir es auch von Jesus denken. Wir sagen immer: Bethlehem ist ein Ort, wo wir von lebendigem Gemäuer umgeben sind. Die Menschen, diese uralte christliche Gemeinschaft, trägt diese Tradition und die Botschaft des Evangeliums in unsere Gegenwart.
Himmelklar: Die Spiritualität ist die eine Dimension. Trotzdem bleibt Bethlehem eine normale Stadt mit Straßen, Supermärkten und einem Bürgermeister. Wie sieht denn der Alltag in Bethlehem aus? Ich vermute mal das ist anders, als auf den ganzen Weihnachtskarten.
Saldaña: Das ist anders, aber irgendwie auch wieder nicht. Jeder kennt jeden. Also ist es wirklich ein bisschen wie in den Weihnachtsliedern, die von diesem kleinen Städtchen Bethlehem sprechen. Man kann nicht durch die Stadt gehen, ohne fünf oder sechs Bekannte zu treffen.
Was man aber nicht vergessen darf: Die Mehrheit der Menschen in Bethlehem sind Muslime. Bethlehem ist eine muslimische Stadt mit einer großen christlichen Minderheit. Das Glaubensleben ist also in gewissem Sinne geteilt. Spiritualität ist also ein wichtiger Teil im Alltag für die meisten Menschen hier. Klar. Es gibt Banken, Supermärkte und Schulen, aber auch die sehen oft anders aus, als man denkt. Es gibt die Universität von Bethlehem, die katholisch betrieben ist, die meisten Studierenden sind aber Muslime. Es gibt das Hospital der Heiligen Familie, auch katholisch, aber die Patienten sind auch zum größten Teil muslimisch. Das schafft eine ganz besondere Art von Gemeinschaft in dieser Stadt, eine Gemeinschaft die einfach Teil des Alltags ist.
Und man muss auch sagen: Es gibt eigentlich sehr viele Touristen. Das sieht halt jetzt nur in der Kriegszeit anders aus. Aber der Großteil der Wirtschaft beruht auf dem Tourismus.
Himmelklar: Aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass das im ersten Moment schockiert, wenn man sein ganzes Leben ein Bild dieser Stadt hat, und es dann auf einmal vor Ort ganz anders aussieht. Wenn dieser heilige Ort irgendwie dann doch eine ganz normale Stadt ist …
Saldaña: Bethlehem hat einen gewissen Charme. Diesen Schock, den Sie beschreiben, erleben die Menschen eigentlich viel mehr in Jerusalem. Viele haben diese Idee von Jerusalem, und vor Ort sehen sie dann doch die Spannungen, die Gewalt, aber auch das ganze Hupen und den Krach. Das passt eigentlich eher zu dem, was Sie gerade sagen.
Ich glaube wenn die Leute nach Bethlehem kommen, sagen einige vielleicht, dass es moderner ist, als sie gedacht hätten, aber es hat diesen Charme. Wir sind immer noch umgeben von Feldern und Dörfern. Diesen Charakter haben wir noch nicht ganz verloren.
Himmelklar: Wie sieht denn die Advents- und Weihnachtszeit in Bethlehem aus? Gibt’s Weihnachtsbäume? Ich vermute mit Schnee wird’s schwierig.
Saldaña: Weihnachten in Bethlehem ist etwas speziell, weil wir hier drei Weihnachtstermine haben. Die katholische Weihnacht, die griechisch-orthodoxe Weihnacht und die armenische Weihnacht. Am Ende läuft das darauf hinaus, dass wir irgendwie alle Weihnachtstermine mitfeiern. Das ist eine sehr lange Weihnachtszeit. Weihnachten wird also in Bethlehem zum Marathon und am Ende ist man immer ordentlich platt. Es gibt Paraden, die Entzündung des Baumes ist ein Riesenevent, die Weihnachtsmärkte…
Dieses Jahr ist das aber leider wegen des Krieges etwas anders. Die Führer der Kirchen haben sich darauf geeinigt in diesem Jahr keine großen Feste zu feiern, um Solidarität mit den Menschen auszudrücken, die im Moment so sehr leiden müssen. Es gibt keinen großen Baum dieses Jahr. Die Weihnachtsdekorationen sind abgenommen, obwohl einige davon eigentlich das ganze Jahr hängen. Wir sind dieses Jahr aufgerufen uns auf den tieferen Sinn des Weihnachtsfestes zu besinnen.
Himmelklar: Bethlehem liegt im Westjordanland, also nicht direkt im Fokus der Auseinandersetzungen. Trotzdem merkt man natürlich die Auswirkungen. Wie hat sich Ihr Leben seit dem 7. Oktober verändert?
Saldaña: Das hat sich von einem Moment auf den nächsten geändert, weil erst mal alle Checkpoints und Grenzübergänge abgeriegelt wurden. Die Menschen hier in Bethlehem saßen also erst mal fest. Es gab eine große Verunsicherung, weil niemand wusste, wie es weitergeht. Eine große Unsicherheit. Inzwischen hat sich das ein wenig gelegt, aber seitdem ist vor allem das wirtschaftliche Leben zusammengebrochen.
Himmeklar: Weil die Touristen fehlen?
Saldaña: Wegen der Touristen, aber auch weil die Leute, die in Israel arbeiten, nicht mehr über die Checkpoints gekommen sind. Normalerweise gibt es Arbeitserlaubnisse, die werden nun aber nicht mehr akzeptiert. Das heißt die ganze Wirtschaft ist zusammengebrochen, mit nur ein paar wenigen Ausnahmen. Die Menschen in Bethlehem haben realisiert, dass es einfach kein Einkommen mehr gibt. Und das hat sehr viele verängstigt.
Das wäre schon im Normalfall beängstigend, aber nun haben wir auch noch die Pandemie hinter uns, wo alle ihre Ersparnisse schon aufgebraucht haben. Wir waren gerade an dem Punkt, wo viele wieder das Konto ins Plus gebracht hatten, anfangen konnten zu sparen, und dann kam eben der Krieg. Viele haben schlicht und einfach gar nichts. Das ist das größte Problem im Moment. Ein paar Checkpoints haben wieder geöffnet, die meisten bleiben aber erst mal dicht. Und selbst die offenen sind ziemlich schwierig zu passieren. Genauso schwierig ist es für Leute von außen zu uns zu kommen.
Es gibt also vor allem eine große Unsicherheit, was die Zukunft angeht. Auch im Westjordanland hat die Gewalt zugenommen. Das ist eine schwierige Zeit für uns.
Auf der anderen Seite sehen wir auch in Gaza, dass die Kirche Hoffnung gibt. Viele Christen dort entdecken in der Kriegszeit die Kirchen als Zufluchtsort, als Zuhause. Am Anfang haben die Christen dort gesagt, sie fühlen sich nur an zwei Orten sicher. In ihrem Zuhause und in der Kirche. Selbst in den schwierigsten Zeiten waren und sind die Kirchen dort voll. Der Glaube wird also gestärkt, gerade in dieser so schwierigen Zeit für viele Menschen.
Himmelklar: Sie leben nun schon fast 20 Jahre im Mittleren Osten. 2004 sind Sie das erste mal zum Studium nach Syrien. Fühlen Sie sich im Moment sicher? Wie ist die Lage verglichen mit den anderen Kriegs- und Krisenzeiten?
Saldaña: Ich fühle mich sicher, zum größten Teil zumindest. Bethlehem ist im Prinzip der sicherste Ort, an dem man im Westjordanland sein kann. Dafür sind wir sehr dankbar. Trotzdem fühlt sich die Lage im Moment sehr fragil an. Was vielen Angst macht, ist eben der Blick in die Zukunft. Die Menschen fragen sich, was sie zur Absicherung der Zukunft für ihre Kinder machen können. Sollte man doch auswandern oder hierbleiben? Das stellt auch große Fragen zur Zukunft der christlichen Präsenz im Heiligen Land. Es gibt eben das größere Gefühl der Unsicherheit, das über allem liegt, weniger die konkrete Angst auf die Straße zu gehen.
Himmelklar: Als Journalistin befassen Sie sich auch mit dem Thema interreligiöser Dialog. Sehen Sie in der Religion einen Ausweg aus diesem Konflikt? Es wird ja oft genug gesagt, das ist ein politischer Streit, kein religiöser.
Saldaña: Das gibt die Versuche des Dialogs und eines friedlichen Miteinanders. Das hat es eigentlich schon immer gegeben, das ist halt immer nur so fragil und zerbrechlich, gerade in den angespannten Zeiten. Aber gerade die katholische Kirche setzt sich im Moment sehr für Verständigung ein. Unser Patriarch, Pierbattista Pizzaballa, wurde vor kurzem vom Papst zum Kardinal ernannt, zum ersten Kardinal aus dem Heiligen Land. Als der Krieg ausbrach war er noch in Rom nach seiner Ernennung, und ist direkt zurückgekommen zu uns. Er hat die christliche Gemeinschaft explizit aufgerufen, sich für den Frieden einzusetzen.
Wir sind eine winzige Gemeinschaft, zwei Prozent in Israel und ein Prozent im Westjordanland. Aber im Evangelium lesen wir ja vom kleinen Senfkorn, dass die Hoffnung bringt. Das ist die Theologie, die auch unser Leben als Christen im Heiligen Land hier verkörpert. Wir sind winzig, und sehen was wir damit bewegen können. Gott hat uns Christen aufgerufen, gerade an diesem Ort die Botschaft der Hoffnung und Versöhnung zu spenden. Türen zu öffnen, statt sie zu schließen. Dafür müssen wir als Christen mit allen Religionen und Gemeinschaften im Gespräch bleiben. Papst Franziskus legt da auch sehr großen Wert drauf: Christen sollen auf der Seite des Friedens stehen. Offen sein für unsere Nachbarn, ob sie nun Juden, Christen oder Muslime sind, katholisch, protestantisch, orthodox. Wir sollten allen Menschen gegenüber offen und nahe sein.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.
Zur Info: Über ihr Leben im Heiligen Land hat Stephanie Saldaña mehrere Bücher veröffentlicht, die zum Teil auch ins Deutsche übersetzt wurden. Ihr neuestes Buch heißt "What we remember shall be saved".