Franziskaner sieht viele Probleme für Heilig-Land-Christen

"Bethlehem ist zu einem Freiluftgefängnis geworden"

Die Christen im Heiligen Land werden weniger. Der Gaza-Krieg könnte die Abwanderung noch verstärken. Franziskaner Ibrahim Faltas, einer der wichtigsten Kirchenmänner in der Region, will die christliche Präsenz erhalten.

Autor/in:
Johannes Schidelko
Ein Priester geht durch die Geburtskirche in Bethlehem, die traditionell für den Geburtsort von Jesus Christus gehalten wird. Die weltberühmten Weihnachtsfeiern in Bethlehem wurden wegen des Gaza-Krieges nach dem Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel vom 7. Oktober auf Eis gelegt. / © Mahmoud Illean/AP (dpa)
Ein Priester geht durch die Geburtskirche in Bethlehem, die traditionell für den Geburtsort von Jesus Christus gehalten wird. Die weltberühmten Weihnachtsfeiern in Bethlehem wurden wegen des Gaza-Krieges nach dem Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel vom 7. Oktober auf Eis gelegt. / © Mahmoud Illean/AP ( dpa )

Ibrahim Faltas (59) ist die prominenteste arabisch-katholische Stimme im Heiligen Land. International bekannt wurde er, als er bei der dramatischen Besetzung der Bethlehemer Geburtskirche 2002 als kirchlicher Unterhändler fungierte und eine Einigung zwischen Israelis und Palästinensern herbeiführte. 

KNA: Pater Ibrahim, in den vergangenen Jahren hat es immer wieder Konflikte um Gaza gegeben. Was ist diesmal anders?

Ibrahim Faltas (ägyptischer Franziskaner und zweiter Mann der Kustodie von Jerusalem): Ich lebe hier seit 35 Jahren, ich habe die erste und die zweite Intifada erlebt und auch die Besetzung und Belagerung der Geburtskirche in Bethlehem. Aber das ist jetzt etwas komplett anderes, es ist ein tatsächlicher, schrecklicher Krieg, mit hohen Zahlen von Toten auf beiden Seiten. 

Ibrahim Faltas

"Das Heilige Land ist nicht mehr das gleiche wie vor dem 7. Oktober. Der Krieg hat das Land wie auch die Menschen verändert."

Wir sprechen von 20.000 Toten und 50.000 Verletzten; denn unter den Trümmern und den zerstörten Häusern von Gaza liegen noch Tote. 1,3 Millionen Menschen sind dort ohne Wasser, ohne Licht, ohne Medizin, ohne Nahrung, ohne alles. In Gaza herrscht Krieg, es ist ein Desaster. Und auch im Westjordanland gibt es ständig Zusammenstöße und Zerstörung von Häusern. Seit dem 7. Oktober wurden dort etwa 300 Menschen getötet und 4.000 verhaftet.

KNA: Kann man in einer solchen Situation im Heiligen Land überhaupt Weihnachten feiern?

Faltas: Es ist ein trauriges Weihnachten, gerade in Jesu Geburtsstadt Bethlehem. Viele der beliebten Festbräuche wurden gestrichen. Es gibt auf dem zentralen Platz keinen Weihnachtsbaum, keine festliche Beleuchtung, keine große Krippe, wir beschränken uns auf die liturgischen Feiern. Der Einzug des Lateinischen Patriarchen am Heiligabend wird wie üblich ablaufen, aber ohne Musik und Trommlerchöre.

Ibrahim Faltas 

"Da die Christen ganz besonders vom Tourismus abhängig sind, sind die Folgen für sie besonders fatal."

KNA: Wie ist derzeit die Lage der Menschen in Bethlehem?

Faltas: Bethlehem ist zu einem Freiluftgefängnis geworden. Die Stadt ist komplett abgesperrt. Es ist sehr schwer hereinzukommen oder herauszukommen. Viele Bewohner sind im Tourismus tätig, und der liegt am Boden, folglich sind sie ohne Arbeit. 

Gerade erst haben sie den Einbruch durch Corona hinter sich, konnten zwei Jahre nicht arbeiten und hatten sich daher auf Normalität gefreut. Und nun fehlen wieder die Einnahmen. Das ist schrecklich für Christen und für Muslime. Aber da die Christen ganz besonders vom Tourismus abhängig sind, sind die Folgen für sie besonders fatal. 

KNA: Schon seit Jahrzehnten geht der christliche Bevölkerungsanteil in Bethlehem zurück. Hat der Krieg den Exodus befördert?

Faltas: Schon in der ersten Intifada in den späten 1980er Jahren haben viele Christen die Stadt verlassen, und es geht weiter. Jetzt gehen auch einige von den nur noch ganz wenigen Christen weg.

KNA: Sehen Sie denn überhaupt eine Zukunft für die Christen in Bethlehem?

Faltas: Wir müssen intensiv dafür arbeiten, dass die Christen hier eine Zukunft haben. Sonst sind die Heiligen Stätten künftig nur noch Museen ohne lokale Christen. Es ist Aufgabe der Kirche, den Christen eine Zukunft zu garantieren, nicht nur in Bethlehem, sondern auch in Jerusalem und Nazareth. Ich war früher Pfarrer für Jerusalem. 1948 lebten dort allein in der lateinischen Pfarrei 14.000 christliche Familien mit mehr als 90.000 Personen. Heute machen alle Christen der Stadt zusammen 9.000 aus, weniger als ein Prozent.

Ibrahim Faltas

"Abbas ist über die schwindende Zahl von Christen gerade in Bethlehem sehr besorgt."

KNA: Was tut die Kirche, was tun die Franziskaner, um die christliche Präsenz im Heiligen Land zu erhalten?

Faltas: Die Kustodie tut viel, um die Christen hier zu behalten, aber es ist eine Aufgabe für die Gesellschaft insgesamt. Wir unterhalten im Heiligen Land 18 Schulen mit rund 13.000 Schülern, die von 1.300 Lehrern unterrichtet werden. Meist lernen in den Schulen Christen und Muslime gemeinsam, wobei der Anteil der Christen in Jerusalem, Bethlehem oder Nazareth bei 50 bis 60 Prozent liegt, in Jericho oder Akko gerade bei 10 Prozent. Wir haben aber auch Schulen für Christen, Muslime und Juden - wie etwa das Musik-Institut "Magnificat" in Jerusalem, mit dem wir soeben auf großer Benefiz-Konzertreise in Rom unterwegs waren.

Dann geben wir den Menschen hier Arbeit. Für die Einrichtungen der Kustodie im Heiligen Land arbeiten mehr als 3.000 Menschen. Weiter bieten wir den Christen günstige Wohnungen an, damit sie ihre Zukunft weiter hier sehen. In der Jerusalemer Altstadt haben wir 424 Häuser für Christen, außerhalb der Altstadt nochmal 200, und auch in Bethlehem und Nazareth. Wir versuchen den Christen mit Erziehung, Bildung, Arbeit und Unterkunft eine Sicherheit zu geben, damit sie im Land bleiben können.

KNA: Derzeit gibt es umfangreiche Bauarbeiten in der Grabeskirche, der hintere Umgang ist komplett gesperrt. Wie lange dauert das noch?

Faltas: In der Tat führen wir seit vielen Jahren umfangreiche Arbeiten in der Grabeskirche durch und geben damit zahlreichen Menschen Arbeit. Derzeit erneuern wir den Fußboden. Wenn die Umstände es erlauben, wenn die Arbeiter aus der Westbank - die meisten kommen aus Bethlehem - anreisen können, sollten wir in einem Jahr fertig werden.

KNA: Welche Rolle spielen die Christen für die palästinensischen Behörden?

Faltas: Die Palästinenser-Behörden und Präsident Mahmud Abbas versuchen den Christen bei vielen Gelegenheiten zu helfen. Am Montag gehen wir zum Präsidenten nach Ramallah und laden ihn zur Weihnachtsmette für kommenden Sonntag nach Bethlehem ein. 

Abbas ist über die schwindende Zahl von Christen gerade in Bethlehem sehr besorgt, wie er mir in einem längeren Gespräch kurz vor meiner jüngsten Reise nach Rom sagte. Er hat mir einen Brief für den Papst mitgegeben und mich gebeten, mit ihm über die Präsenz der Christen in Palästina zu sprechen und ihn zu bitten, alles dafür zu tun, dass die Christen in Palästina bleiben.

KNA: Wie war dann Ihre Begegnung mit dem Papst?

Faltas: Ich habe dem Papst die Situation erläutert und ihm vor allem die Lage im gequälten Bethlehem geschildert. Er war sehr besorgt, traurig, ja erschüttert. Franziskus hat sich ja bereits mit zahlreichen Appellen für Frieden, für eine Waffenruhe und humanitäre Hilfe an die Welt und an die Politiker gewandt. Er tut sehr viel und wird sich weiter für das Heilige Land einsetzen.

KNA: Ist es noch die "Terra Santa" wie vorher? Oder wie hat der Krieg das Heilige Land verändert?

Faltas: Das Heilige Land ist nicht mehr das gleiche wie vor dem 7. Oktober. Der Krieg hat das Land wie auch die Menschen verändert. Er hat leider die Beziehungen und Kontakte unter den Menschen beeinträchtigt, viele beschädigt und auch zerstört.

Quelle:
KNA
Mehr zum Thema