Die Raunächte sind für viele eine besondere Zeit

"Da liegt was in der Luft"

Ob im Gottesdienst oder mit dem Räucher-Set aus dem Hexenladen, viele Menschen entdecken die Raunächte für sich. So wird die Zeit zwischen den Jahren auch genannt. Ihr wird seit Jahrhunderten eine spezielle Rolle zugewiesen.

Autor/in:
Karen Miether
Meditative Andacht in der "Kirche der Stille" in Hannover, Eva-Maria Wallmann schlägt die Klangschalen / ©  Jens Schulze (epd)
Meditative Andacht in der "Kirche der Stille" in Hannover, Eva-Maria Wallmann schlägt die Klangschalen / © Jens Schulze ( epd )

Das Licht ist gedimmt in der "Kirche der Stille" in Hannover. Während der letzte Klang der Kirchenglocken verhallt, schlägt Eva-Maria Wallmann den großen Gong neben dem Altar an. Ein tiefer Ton vibriert lange durch den schlicht gehaltenen, modernen Bau. 

Meditative Andacht in der "Kirche der Stille" in Hannover, Eva-Maria Wallmann schlägt die Klangschalen
Meditative Andacht in der "Kirche der Stille" in Hannover, Eva-Maria Wallmann schlägt die Klangschalen

Er ist körperlich zu spüren. Dreimal erklingt der Gong und eröffnet damit eine meditative Andacht, wie die Gemeinde sie auch in den "Heiligen Nächten" zwischen Weihnachten und dem neuen Jahr feiert. Für Katrin Grießhammer herrscht dann eine ganz eigene Stimmung. "Da liegt was in der Luft", sagt die Ehrenamtliche, die wie Wallmann zum Team "Kirche der Stille" gehört.

Dämonen sollten vertrieben werden

Den Raunächten, wie man die Zeit vom 25. Dezember bis zum 6. Januar auch nennt, wird seit Jahrhunderten eine besondere Rolle zugemessen. Ein Volksglauben rankt sich um diese Tage, früher hieß es, dass dann Dämonen unterwegs seien und Tiere sprechen könnten.

Früher stellte man sich Dämonen, die in den dunklen Tagen um die Jahreswende angeblich ihr Unwesen trieben, haarig und struppig vor. / ©  Klaus Mehlig (epd)
Früher stellte man sich Dämonen, die in den dunklen Tagen um die Jahreswende angeblich ihr Unwesen trieben, haarig und struppig vor. / © Klaus Mehlig ( epd )

"Zwischen den Jahren", sagen manche, weil je nach Gegend und Zeitalter der Jahresbeginn unterschiedlich datiert wurde, wie der Kölner Theologe und Brauchtumsforscher Manfred Becker-Huberti erläutert. Um die "Dämonen" zu vertreiben, wurden einst zum Beispiel Ställe ausgeräuchert: "Wo Weihrauch ist, können sich die Geister nicht aufhalten", sagt der einstige Pressesprecher des Erzbistums Köln und Autor zahlreicher Fachbücher.

"Angebote aus ganz verschiedenen Richtungen"

Heute liegen die Raunächte wieder im Trend. Immer mehr Menschen entdeckten diese Zeit für sich, hat die Religionshistorikerin Claudia Jetter beobachtet. Sie ist Expertin für den Lebenshilfemarkt bei der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin. "Es gibt da Angebote aus ganz verschiedenen Richtungen", erläutert sie.

"Klassisch esoterisch ist etwa das Kartenlegen, um in das neue Jahr zu schauen. Neuheidnische Gruppen wie Hexen arbeiten viel mit Räucherwerk." Allein unter der alten Schreibweise #rauhnächte mit "h" gebe es bei Instagram knapp 100.000 Posts, sagt sie. 

Die Astrologie greife das Thema ebenso auf wie spirituelle Coaches. "Viele Menschen sind nicht mehr bereit, sich regelmäßig in religiösen oder spirituellen Gemeinschaften zu engagieren", erläutert Jetter. "Es gibt aber eine hohe Bereitschaft, sich eine Zeit lang zu bestimmten Events spirituellen Praktiken zuzuwenden. Da passt ein solches Datum gut herein."

"Zulauf ist gigantisch"

Die Psychologin Tanja Köhler aus dem baden-württembergischen Denkingen hat ein Buch zu den Raunächten geschrieben und gehört zu denjenigen, die Online-Kurse anbieten - "ganz ohne Esoterik", wie sie versichert. "Der Zulauf ist gigantisch - kontinuierlich über die letzten Jahre - mit riesigen Sprüngen im letzten, aber auch in diesem Jahr", sagt sie. Die Teilnehmenden suchten Orientierung und Neujustierung in einer Welt, "die immer schneller, höher, weiter und komplexer wird". 

Dabei helfe es ihnen, sich an zwölf Tagen hintereinander mit sich selbst, den eigenen Werten und ihrem Leben zu beschäftigen, um gestärkt ins neue Jahr zu gehen, erläutert die Psychologin.

Über das Singen ins Gebet

In der "Kirche der Stille" in Hannover bilden an den Abenden vom 27. bis zum 30. Dezember Bibelverse den Leitfaden für vier Andachten zu den Raunächten. "Wir wollen dann die Weihnachtsgeschichte noch einmal neu bedenken", sagt Pastorin Christine Tergau-Harms.

Meditative Andacht in der "Kirche der Stille" in Hannover, Pastorin Christine Tergau-Harms zündet eine Kerze an / ©  Jens Schulze (epd)
Meditative Andacht in der "Kirche der Stille" in Hannover, Pastorin Christine Tergau-Harms zündet eine Kerze an / © Jens Schulze ( epd )

Neben Liedern wie "Oh du fröhliche" werden Gesänge aus der Tradition der Ordensgemeinschaft von Taizé angestimmt. Auch in der Abendandacht, einige Wochen vor Weihnachten, erklingen sie bereits: kurze Strophen, die sich mehrere Male wiederholen.

Während des Gesanges schließen viele der Frauen und Männer die Augen. "Wir kommen über das Singen ins Gebet", beschreibt Hannelore Goebel-Haase ihre Wahrnehmung. Wie Katrin Grießhammer ist sie der "Kirche der Stille" verbunden, die als "Stadtkloster" in Hannover auch Meditationszeiten und eine spirituelle Begleitung anbietet. Auch im Christentum habe ein mystischer Zugang zum Glauben eine lange Tradition, betont die 74-Jährige.

Eigenen Gedanken und Wünschen zur Krippe zu tragen

Katrin Grießhammer zündet wie viele andere zum Abschluss der Andacht eine Kerze an und steckt sie in eine mit Sand gefüllte Mulde auf dem Altar. So wird es auch in den Raunächten-Andachten sein: "In den 'Heiligen Nächten' besteht die Möglichkeit, die Kerze mit den eigenen Gedanken und Wünschen zur Krippe zu tragen."

Die Chemielaborantin hat auch ein eigenes Ritual für die zwölf Raunächte: Auf 13 Zettel schreibt sie Wünsche und rollt diese dann zusammen. "In jeder der Nacht verbrenne ich einen davon und versuche darauf zu vertrauen, dass ich die Wünsche so dem göttlichen Geheimnis übergebe", erzählt sie. Den 13. Wunsch gibt sie sich dann selbst für das neue Jahr mit auf den Weg.

Raunächte

Als Raunächte, manchmal auch Rauchnächte oder Rauhnächte, werden die zwölf Nächte zwischen Weihnachten und dem Tag der Heiligen Drei Könige am 6. Januar bezeichnet. Vielfach ist auch von der "Zeit zwischen den Jahren" die Rede. Der Begriff leitet sich laut dem Theologen und Brauchtumsforscher Manfred Becker-Huberti davon ab, dass der Jahresbeginn je nach Gegend und Zeitalter mal am 25. Dezember, mal am 1. Januar und mal am 6. Januar gefeiert wurde.

Bräuche rund um die "Raunächte" zwischen den Jahren / © Hanna Spengler (epd)
Bräuche rund um die "Raunächte" zwischen den Jahren / © Hanna Spengler ( epd )

 

Quelle:
epd