Der bekannte Neutestamentler Gerhard Lohfink erschließt in seinem neuen Buch "All meine Quellen entspringen in dir" zentrale Bibeltexte vor dem Hintergrund ihrer Entstehungsgeschichte. Er zeigt auf diese Weise deren revolutionäre, weltbewegende Kraft und Zuversicht wieder neu auf - die heute oft vergessen und verschüttet ist.
Als roter Faden dient ihm dabei der Lauf des Kirchenjahrs, der vom Advent angefangen dem Leben Jesu folgt.
Wie ein Jahresbegleiter
Dabei nimmt Lohfink keineswegs nur die Schriften des Neuen Testaments in den Blick - im Gegenteil weist er immer wieder darauf hin, dass dieses untrennbar mit dem Alten Testament verbunden ist und bleibt, in seiner ganzen Fülle eigentlich nur von diesem her wirklich verstanden werden kann.
Durch die Anordnung entlang des Kirchenjahrs kann das Buch jedenfalls wie ein Jahresbegleiter gelesen werden, aber auch bestimmten Interessen folgend - die einzelnen Abschnitte stehen für sich, auch wenn es natürlich Zusammenhänge und Verweise untereinander gibt.
Zunächst behandelt das erste Hauptkapitel jedoch "Grundlegendes" - etwa die Frage, warum Gott, der doch alle Menschen geschaffen hat, zunächst nur ein Volk, Israel, auserwählt, und auch Jesus sich nur an Israel gewandt hat. Dabei geht es um die "Macht der Bilder" oder um eine Religion, in der Gottes Offenbarung und der mühsame Aufklärungsprozess des Menschen keine Gegensätze darstellen.
Feste und heilige Zeiten im Kirchenjahr
Im umfangreichsten Kapitel "Feste und heilige Zeiten" werden dann die Feiertage im Kirchenjahr betrachtet - und die Aussagen der Bibel, die ihnen zugrunde liegen. Dabei werden aus der theologischen Gesamtperspektive des Autors manche Details der biblischen Texte erst verständlich beziehungsweise fallen überhaupt erst auf.
Auch erschließen sich vielfach zusätzliche Dimensionen der biblischen Texte. Dabei kommen immer wieder neue und zum Teil auch überraschende Einsichten zur Sprache.
Sehr erhellend ist es etwa, wenn die Auslegung des vielleicht bekanntesten Psalms 23 ("Mein Hirt ist Gott der Herr") unter anderem zu der Erkenntnis führt, dass die Christen ihre jüdischen Wurzeln niemals abschneiden dürfen; "sie müssen den Weg Israels nachgehen. Auch sie müssen den Exodus wagen, sich durch die Wüste führen lassen und zusammen mit Israel Gottesvolk werden".
Auslegungen biblischer Texte
Eine dem modernen Menschen eher unrealistisch anmutende Erzählung des Lukas-Evangeliums - die Verkündigung des Engels an Maria - wird so aufgeschlossen, dass sie die Essenz dessen aussagt, was Jesus über die Gottesherrschaft verkündigt hat: "Die Gottesherrschaft verlangt Geschehen-Lassen und Sich-Hingeben. Sie kommt nicht ohne reines Empfangen, und dieses Empfangen ist immer auch ein Sterben."
Und die Auslegung eines uralten biblischen Textes, der heute noch in jeder Messfeier weltweit beim Singen des "Sanctus" zitiert wird, lässt Lohfink zeigen: Gott kann selbst noch die verheerenden Katastrophen in der Welt und auch in der Kirche "mit all ihren schrecklichen Seiten benutzen, um seinen Plan mit der Welt und mit der Kirche weiterzuführen".
Kirchliche und individuelle Unterscheidungen
Im abschließenden Kapitel "Unterscheidungen" geht es vor allem um die Rolle von Religion und Kirche in der Gesellschaft - sowohl prinzipiell als auch in konkreten Einzelfragen, aber auch um angemessene Formen der Aktualisierung biblischer Botschaften in der heutigen Zeit.
Insgesamt hat Gerhard Lohfink wieder ein Buch vorgelegt, dessen Inhalt man bei nur einmaliger Lektüre kaum ausschöpfen kann. Man wird aber immer wieder gerne auf diese Ausführungen zurückgreifen, weil sie nicht nur enorm viel theologisches Wissen vermitteln, sondern auch reichen geistlichen Gewinn bereithalten. (Sankt Michaelsbund)