Die Sexualmoral der katholischen Kirche muss sich aus Sicht des Theologen Martin Lintner stärker anderen wissenschaftlichen Perspektiven öffnen. Um die Ethik der Sexualität, Liebe und Ehe in der Kirche weiterzudenken, brauche es auch Blickpunkte aus Natur- und Sozialwissenschaften sowie aus der Genderforschung, sagte der italienische Moraltheologe dem Portal katholisch.de (Donnerstag). "Es geht darum, als Kirche die Menschen so zu begleiten, dass sie ihre sexuelle Identität entdecken und annehmen."
Lintner war im vergangenen Jahr die Ernennung zum Dekan an der Philosophisch-Theologischen Hochschule (PTH) Brixen von Seiten des Vatikan verweigert worden. Grund seien Publikationen zu Fragen der katholischen Sexualmoral.
Schwere Gewissensnöte
Dennoch wolle er weiter für eine Änderung der Sexualmoral argumentieren und führe dies auch mit seinem jüngst veröffentlichten Buch "Christliche Beziehungsethik" weiter. Darin kritisiert er die Kirche unter anderem dafür, dass sie Geschlechtsverkehr allein in der Ehe erlaube. "Sie hat mit ihrer rigiden Sexualmoral Menschen das Leben unnötigerweise schwer gemacht und sie in schwere Gewissensnöte gebracht."
Als Beispiel führt der Theologe ältere Menschen an, die noch Sex hätten, obwohl sie keine Kinder mehr zeugen wollten, und ihm in der Beichte Schuldgefühle darüber mitgeteilt hätten. "So etwas in einer Beichte zu hören, macht mich wütend, und es bedrückt mich zugleich."
Pflichtzölibat abschaffen
Auch die verpflichtende Ehelosigkeit von Priestern gründet laut Lintner maßgeblich auf einer negativen Deutung der Sexualität als unrein. Einen aus der Bibel ableitbaren Ursprung gebe es abgesehen vom Verweis auf die Ehelosigkeit Jesu Christi hingegen nicht. "Die zölibatäre Lebensform ist, das betont sogar die Kirche selbst, nicht wesensnotwendig für das Priesteramt."
Er plädiere deshalb dafür, den Pflichtzölibat abzuschaffen, vor allem mit Blick auf die Priester, die schon in Beziehungen lebten, Kinder hätten und deswegen unter Druck stünden. "Entweder leben sie ein geheimes doppelmoralisches Leben oder sie werden vor die Entscheidung gestellt, sich zu entscheiden. Wenn sie sich für die Familie entscheiden, gehen der Kirche engagierte und kompetente Priester verloren."