Die Enttäuschung der Betroffenen über das mutmaßliche Ende der strafrechtlichen Verfolgung des einstmals mächtigen Kardinals ist mit Händen zu greifen. "Es ist bedauernswert, aber nicht wirklich überraschend", sagt die Co-Vorsitzende der Organisation BishopAccountability.org, Anne Barrett Doyle, zur neuen Entscheidung eines Gerichts in Wisconsin. Es befand Theodore McCarrick am Mittwoch (Ortszeit) für nicht verhandlungsfähig.
Das Gericht stützte sich auf denselben Experten, der eines der beiden Gutachten für den Prozess gegen McCarrick in Massachusetts erstellt hatte. Der von der Staatsanwaltschaft bestellte Psychologe Kerry Nelligan hatte den an Demenz erkrankten Angeklagten als "kognitiv zu eingeschränkt" bezeichnet, um einen fairen Prozess zu bekommen. Das Gutachten der Verteidigung war zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt.
Das Strafverfahren gegen McCarrick war daraufhin Ende August eingestellt worden.
Letzte Möglichkeit für strafrechtliche Verantwortung
Die Anklage in Wisconsin war nun wohl die letzte Möglichkeit, McCarrick strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Ihm werden sexuelle Übergriffe vorgeworfen, die bis in die 70er Jahre zurückreichen. Der frühere Erzbischof von Washington war 2019 von Papst Franziskus aus dem Klerikerstand entfernt worden, nachdem sich entsprechende Anschuldigungen gegen ihn in einer kirchlichen Untersuchung erhärtet hatten.
In dem Strafprozess von Wisconsin geht es konkret um einen mutmaßlichen Übergriff von 1977. McCarrick soll einem damals 18-Jährigen beim Baden in einem See an die Genitalien gefasst haben.
Das mutmaßliche Opfer James Grein wirft McCarrick vor, das erste Mal sei er im Alter von elf Jahren belästigt worden, als sich der Freund der Familie vor ihm entblößt habe. Der Geistliche habe ihn danach wiederholt sexuell missbraucht. Anders als in Massachusetts nahm der Ex-Kardinal an der Verhandlung vom Mittwoch in Wisconsin nicht teil.
McCarrik wirkte gebrechlich und abwesend
Im vergangenen Jahr wirkte der per Video zugeschaltete Angeklagte gebrechlich und abwesend. Er bleibt hartnäckig dabei, sich an nichts erinnern zu können. Vertreter der Opferverbände betonen, das Verfahren gegen McCarrick habe vor allem symbolische Bedeutung gehabt. Nach dem Gesetz des US-Bundesstaates Wisconsin hätte eine Verurteilung maximal eine Gefängnisstrafe von bis zu neun Monaten und ein Bußgeld von 10.000 Dollar bedeutet.
Peter Isely, Gründer der Organisation "Ending Clergy Abuse", der die Entscheidung im Gerichtssaal verfolgte, sagte der «New York Times», der Prozess habe den Betroffenen Hoffnung gegeben. "Ohne eine Form von Rechenschaft werden sie keine Ruhe finden." Richter David M.
Reddy stellte das Verfahren nicht ein, sondern setzte es zunächst aus. Die Staatsanwaltschaft machte keine Anstalten, eine Einstellung des Prozesses zu beantragen. Dennoch sind die Aussichten eher gering, dass der Fall noch einmal aufgerollt werden kann.
Strafrechtliche Verfolgung noch nicht aufgegeben
Im Dezember soll die Entscheidung zwar überprüft werden. Es sei jedoch "nicht wahrscheinlich", so Richter Reddy, "dass er verhandlungsfähig wird". Demenz-Erkrankungen lassen gewöhnlich keine Besserung erwarten. Greins Anwalt Mitchell Garabedian sagte dem Portal "The Pillar", sein Mandant habe die Hoffnung auf eine strafrechtliche Verfolgung von McCarrick noch nicht aufgegeben.
Der «mutige und entschlossene Überlebende sexuellen Missbrauchs durch Geistliche» mache jetzt zivilrechtlich weiter. In New Jersey und New York werde er «Bestätigung und Gerechtigkeit gegen den ehemaligen US-Kardinal McCarrick und alle relevanten Parteien einfordern», so der Opferanwalt.
"Kein Sieg oder keine Niederlage, sondern die Realität"
Die Verteidiger McCarricks zeigten sich indes zufrieden mit dem mutmaßlichen Ende der Strafverfolgung ihres Mandanten. Anwalt Jerome Buting erklärte zu der Entscheidung von Wisconsin: "Das ist kein Sieg oder keine Niederlage, sondern die Realität."
Für Anne Barrett Doyle, die kirchliche Missbrauchsfälle dokumentiert, geht es auch ums Prinzip. Der Fall McCarrick sei ein Musterbeispiel dafür, warum Verjährungsfristen in einschlägigen Fällen überall abgeschafft werden müssten.
Anklagen nur wegen Besonderheit der Gesetze möglich
Die Anklagen in Massachusetts und Wisconsin waren nur wegen einer Besonderheit der Gesetze dort möglich: Demnach stoppte der Ablauf der Verjährungsfrist beim Verlassen des Bundesstaates und setzte erst bei Betreten wieder ein. "Wir dürfen es nicht als normal hinnehmen, dass sich katholische Bischöfe der Justiz entziehen", sagte Barrett Doyle.