Sind Christen anfällig für Rechtsextremismus?

"Eine gewisse Empfänglichkeit"

Die AfD erlebt in Umfragen Höhenflüge. Sind auch Christen für rechte Parolen empfänglich? Der Politikwissenschaftler Henning Flad sieht ein Überschneidungspotenzial und wünscht mehr Unterstützung der Kirchen für demokratische Kräfte.

Ein rechtsextremer Demonstrant steht zwischen Deutschlandfahnen / © Caroline Seidel (dpa)
Ein rechtsextremer Demonstrant steht zwischen Deutschlandfahnen / © Caroline Seidel ( dpa )

DOMRADIO.DE: Sie zeichnen in Ihrer Forschung eine Linie, die von den Neonazis der 1990er über die NPD, den NSU-Terror und die Pegida-Proteste zum aktuellen politischen Erfolg der AfD führt. Kann man das alles über einen Kamm scheren? 

Henning Flad (privat)

Henning Flad (Politikwissenschaftler und Projektleiter "Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche + Rechtsextremismus"): Ich glaube, so einfach kann man es nicht machen. Was man aber sagen kann, ist, dass es unter diesen politischen Akteuren und Akteurinnen eine Reihe von Gemeinsamkeiten gibt, aber auch Unterschiede.

Wenn man sich den aktuellen Aufstieg einer neuen rechten Bewegung anschaut - ab 2014/2015 mit Pegida und der AfD - dann gehört es auch dazu zu sehen, dass die alte Neonaziszene, was man später "Baseballschläger-Jahre" genannt hat, an ein Ende gekommen war.

Sie hat für einen neuen Versuch von Rechtsaußen Platz gemacht, der seine Stärke auch daraus bezieht, dass er sich optisch und stilistisch, aber auch inhaltlich von diesem alten Neonazi-Milieu abhebt und abgrenzt. 

Man konnte gesichtstätowierte Schlägertypen an ostdeutschen, manchmal auch westdeutschen Bahnhöfen, die den Geburtstag des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß feierten und das für eine wesentliche politische Aktivität hielten, relativ leicht politisch isolieren.

Ich benutze jetzt absichtlich so ein Klischeebild. Aber bei der neuen Krawattenfraktion, die jetzt stärker im Mittelpunkt steht, funktioniert das nicht so leicht. Die sind auch nicht direkte Nachfolger des Dritten Reiches. 

DOMRADIO.DE: Das heißt, auch die AfD ist nur ein Teil der ganzen Bewegung, Teil des Problems?

Flad: Genau, die ist Teil einer ganzen Bewegung. Die AfD ist die parlamentarische Vertretung davon. Aber dazu gehört auch eine ganze Reihe von Zeitschriften und allerlei Initiativgruppen vor Ort. Pegida ist die bekannteste davon, aber Pegida ist nicht mehr so wichtig. Sie war aber mal eine Zeit lang bedeutsam und ist das Symbolbild für das, was da gewachsen ist und woraus die AfD in weiten Teilen entstanden ist. 

Dazu gehören aber noch mehr Dinge. Dazu gehören auch Bewegungen aus dem kirchlichen Raum, die sich gegen die angebliche Frühsexualisierung unserer Kinder - wie das in deren Jargon hieß - gewandt haben und dann protestiert haben. Damit meinten sie vor allem die Gleichstellungspolitik im kirchlichen Raum und waren gegen Gleichstellungspolitik im Allgemeinen. Auch das ist ein Teil der Vorgeschichte der AfD. 

DOMRADIO.DE: Jetzt spielt bei dieser neuen Rechten, die Sie angesprochen haben, die christliche Symbolik eine sehr große Rolle. Man hört von der "Islamisierung des Abendlandes", man sieht Kreuze, die auf Demonstrationen getragen wurden. Das war früher nicht so. Wenn man an die Neonazis von früher denkt, dann haben die eher mit nordischen Gottheiten geliebäugelt. 

Flad: Na klar. Die Neonazis sagen "Odin statt Jesus". Für die Neonazis geht es überhaupt nicht um die Rettung des christlichen Abendlandes. Für Neonazis beginnt der Untergang des Abendlandes mit der Christianisierung. Es ist umgedreht bei denen. 

Henning Flad

"Die 'Rettung des christlichen Abendlandes' ist die wichtigste rechtsextreme Parole der letzten zehn Jahre."

Aber jetzt ist es so, dass dieser neue rechte Organisations- und Aktivierungsversuch davon geprägt ist, zumindest teilweise auch auf christliche Traditionen und Symbolik zu setzen. Die Parole von der "Rettung des christlichen Abendlandes" ist die wichtigste rechtsextreme Parole der letzten zehn Jahre.

Das ist natürlich etwas, womit sich die Kirchen kritisch auseinandersetzen müssen. Das sind Vereinnahmungsversuche, die zurückgewiesen werden müssen. 

DOMRADIO.DE: Wie sieht es von der anderen Seite aus? Inwiefern finden diese Versuche Anklang beim christlichen Milieu? 

Flad: Wenn man die kirchlichen Institutionen, egal ob evangelisch oder katholisch, anguckt, dann würde ich sagen, je höher die Etage, je höher die Hierarchieebene ist - egal, ob das jetzt Laiengremien oder die Deutsche Bischofskonferenz auf katholischer Seite sind - die Distanzierung zu rechts außen ist verlässlich. Da müssen wir uns auch keine Sorgen machen.

Evangelisch sieht das ganz genauso aus. Es ist auch für mich jedenfalls nicht möglich, irgendwelche Synodalen in der Synode der EKD auf Bundesebene zu finden, die eine AfD-Nähe hätten. Das existiert eigentlich nicht. 

Die Distanzierung der Kirchen in den höheren Ebenen von rechts außen ist glaubwürdig und hat vor allem sehr viel damit zu tun, dass es einen grundsätzlichen Widerspruch gibt zwischen rechtextremen politischen Angeboten und rassistischen Ideenwelten auf der einen Seite und christlicher Nächstenliebe auf der anderen Seite. 

Henning Flad

"(Es gibt) einen grundsätzlichen Widerspruch zwischen rassistischen Ideenwelten und christlicher Nächstenliebe."

Der Widerspruch ist mit Händen zu greifen, der ist da. Aber das heißt natürlich nicht, dass die überhaupt keinen Zugang ins christliche, kirchliche Milieu hätten. Es ist schon so, dass es in Teilen der Kirchen Felder gibt, wo es eine gewisse Empfänglichkeit für Parolen von Rechtsaußen gibt. 

Das ist vor allem im Feld von Gleichstellungspolitik der Fall. Ich habe das eben erwähnt, als es um die frühe Geschichte und die Vorgeschichte der AfD ging. Weniger bei Migrationspolitik, obwohl das eigentlich das Kampagnen-Thema Nummer eins von rechts außen ist. 

Aber es gibt da schon den einen oder anderen Beeinflussungsversuch. Es gibt vor allem einen Versuch, auf - ich nenne es mal - christliche Identitätspolitik von rechts zu setzen sowie Kirche und Christentum nicht mit den Glaubensinhalten für sich anzunehmen, sondern eher als europäisch-weiß, aber jedenfalls nicht als muslimisch. 

DOMRADIO.DE: Wir sprechen hier von Identitätspolitik, im gewissen Sinne von Gesellschaftspolitik. Gibt es da auch eine theologische Ebene? Denn Sie sagen zu Recht, eigentlich widerspricht Rassismus einem christlichen Menschenbild. 

Flad: Das funktioniert mit Andockversuchen besser, wenn man in der Schrift auch mehr Andockpunkte finden kann. Da muss man zugeben, dass im Bereich von Ablehnung, von dem, was Genderpolitik genannt wird und was wirklich ein wichtiges rechtes Kampagnen-Thema ist, im kirchlichen Raum nichts zu holen ist. In diesem Bereich gibt es eher Anknüpfungspunkte an die Schrift als bei der Ablehnung der Unterstützung von Geflüchteten. 

Da sind die biblischen Aussagen so denkbar deutlich und wirklich. Die Bibel erzählt auch Fluchtgeschichten, immer wieder. Nicht nur beim Auszug aus Ägypten, sondern auch an weiteren prominenten Stellen. 

DOMRADIO.DE: Was kann man gegen diesen Höhenflug des Rechtspopulismus tun? Man sieht immer neue Skandale, auch rund um die AfD. Trotzdem steht die in den Umfragen teilweise so hoch wie noch nie. 

Flad: Ich bin erst mal dankbar dafür, dass die klare Verurteilung von Seiten der Kirchen da ist. Die sollte auch weiter da sein. Das ist wichtig. Wenn die nicht da wäre, dann wäre die extreme Rechte noch mal stärker. 

Die Frage ist, was gerade die kirchliche Aufgabe ist? Wir alle würden gerne wissen, was die Lösung ist, wie wir die AfD in den Umfragen runterdrücken könnten. Wenn wir das wüssten, hätten wir es wahrscheinlich gemacht. Offenbar ist es nicht so einfach. 

Aber man kann zum Beispiel als kirchliche Aufgabe formulieren, sich damit auseinanderzusetzen, was das bedeutet, wenn die AfD in einer Gegend oberhalb von 35 oder 40 Prozent steht. Das bedeutet ganz oft auch eine Bedrängung und fast schon ein mundtot machen von kritischen demokratischen Stimmen und von Minderheiten. 

Es ist eine ganz wichtige kirchliche Aufgabe, diesen Leuten beiseite zu stehen. Es gibt im ländlichen Raum in Ostdeutschland eine Menge Leute, die inzwischen Sorge haben, ob sie sich noch zu demokratischen Fragen äußern können, ohne anschließend bedrängt, bedroht, eingeschüchtert oder angegriffen zu werden. 

Diese Leute brauchen Unterstützung. Das ist eine ganz wesentliche kirchliche Aufgabe in meinen Augen, sowohl auf der Ebene, ihnen mit Worten Mut zuzusprechen, aber auch in dem Sinne sich demonstrativ auch physisch an ihre Seite zu stellen. 

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus – aktiv für Demokratie und Menschenrechte (BAG K+R) ist ein ökumenisches Netzwerk von Projektstellen, Organisationen und Basisinitiativen, die sich mit der Wahrnehmung und präventiven oder interventiven Bearbeitung von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und extrem rechten Orientierungen im Raum der Kirche befassen. Ihr gehören aktuell 38 Mitgliedsorganisationen aus allen Regionen Deutschlands an.

Henning Flad, Projektleiter BAG Kirche & Rechtsextremismus (BAG Kirche & Rechtsextremismus)
Quelle:
DR