Müntefering findet SPD-Vorsitz nun einfacher als Papstamt

"Die Sterbestunde ist die zweitwichtigste Stunde im Leben"

Er kann kurze Sätze. Franz Müntefering hat ein neues Buch mit Reimen und Geschichten veröffentlicht. Darin äußert er sich auch zu Glauben und Kirche. Die Position des SPD-Vorsitzenden findet er mittlerweile einfacher als das Papstamt.

Autor/in:
Christoph Arens
SPD-Politiker Franz Müntefering / © Kay Nietfeld (dpa)
SPD-Politiker Franz Müntefering / © Kay Nietfeld ( dpa )

Franz Müntefering will es noch einmal wissen: "Ich bin bereit / Klar: Auch noch für die Nachspielzeit", schreibt der 84-Jährige in einem gerade erschienenen Büchlein mit Gedanken, Reimen und Geschichten. 

Auch der Buchtitel macht deutlich, dass der frühere SPD-Vorsitzende und Vizekanzler in der gegenwärtigen gesellschaftlichen Situation Stellung beziehen und zum gesellschaftlichen Handeln auffordern will – auch wenn nicht Satz oder Reim sitzt. "Nimm das Leben, wie es ist, aber lass es nicht so", heißt die Überschrift.

Nicht im Schaukelstuhl sitzen bleiben

In einer Demokratie dürfe man nicht im Schaukelstuhl sitzen bleiben, betont der Mann, dessen Markenzeichen kurze Sätze und ein roter Schal waren. Auch wer nicht handele, handele ja dadurch, dass er geschehen lasse. Sich aufraffen, aktiv werden, das ist auch sein Rezept gegen die wachsende Einsamkeit. Jeder müsse früh genug anfangen, Sozialkontakte aufzubauen. 

Aber auch die Kommunen sieht Müntefering in der Pflicht: Die Verwaltungen hätten doch in ihren Computern all die Namen von Menschen, die alt sind und allein leben. Man könnte sie anrufen, ansprechen, Gemeinschaft organisieren. "Gilt da wirklich der Datenschutz? Wie weit weg ist das von unterlassener Hilfeleistung?"

"Ich war immer schon ein Aufschreiber"

"Ich war immer schon ein Aufschreiber", beschreibt der Mann aus dem Sauerland die Methode, mit der er sein neues Buch verfasst hat. Er hat schwere Monate hinter sich: Das Herz sei aus dem Takt geraten, berichtet er im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Doch jetzt sei er "zu drei Viertel wieder gut drauf". 

Dennoch ist das Grund genug, um über das Sterben nachzudenken: Die Sterbestunde sei nach der Geburtsstunde die zweitwichtigste Stunde im Leben, schreibt er. Wenn es um den Sinn des Lebens geht, wird der 84-Jährige, der sich nach eigener Darstellung in früheren Zeiten mit dem Existenzialismus und Albert Camus beschäftigt hat, ganz pragmatisch. 

"Du bist. Ich bin. Das macht schon eine Menge Sinn", reimt er. "Das Leben ist beeinflussbar. Warum machen wir nichts Besseres draus, statt es für absurd zu erklären?" Schöpfungsgeschichten, philosophische Grübeleien – all das sieht er als überflüssig an. "Ich freue mich, dass ich für eine Zeit hier bin. Was braucht man mehr an Sinn?"

Das "schönste Amt nach dem Papst"

20 Jahre sind es her, dass Müntefering von Gerhard Schröder das Amt des SPD-Vorsitzenden übernahm – und erklärte, SPD-Vorsitzender zu sein sei das schönste Amt nach dem Papst. Im neuen Buch verweist der gelernte Industriekaufmann, der in einer katholisch geprägten Arbeiterfamilie in Neheim zur Welt kam und als Messdiener und Jugendgruppenleiter kirchliche Karriere machte, auch auf die Gefahren beider Ämter: "Als Papst und als SPD-Vorsitzender muss man aufpassen, dass man kein Scheinriese wird, die Bücklinge nicht überbewertet, einem die große Mütze nicht vom Kopf fällt." Mittlerweile vermutet der Ex-Politiker, der den Beinahe-Altersgenossen Franziskus sehr sympathisch findet, dass es ein Vorsitzender der SPD leichter hat als der Papst. 

Seine katholischen Wurzeln sind ihm noch wichtig. Jesus sei eine bemerkenswerte Persönlichkeit, Nächstenliebe und Solidarität seien eng verwandt. Doch von dem Glaubensbekenntnis, von Himmel, Hölle oder Schöpfungsgeschichte, sei ihm im Lauf seines Lebens wenig geblieben, schreibt er.

Erwartungen an die Kirche

Müntefering sucht Klarheit – als 84-Jähriger, der vermutlich nicht mehr viel Zeit habe, noch Entscheidungen von Gewicht zu treffen. Und deshalb fordert er eine schnelle Antwort auf die ihn bedrängende Frage, ob er noch in der katholischen Kirche bleiben soll, wenn er zentrale Glaubenswahrheiten ablehnt.

Klar ist für ihn, dass sich die Kirchen dramatisch ändern müssen, wenn sie noch Relevanz behalten wollen. Zunächst müssten sie – Stichwort Missbrauchsskandal – aufhören, Staat im Staate sein zu wollen und nach eigenen Regeln zu spielen, schreibt er. 

Darüber hinaus fordert Müntefering, dass die Kirchen die Regeln der Demokratie akzeptieren und auch moderne wissenschaftliche Erkenntnisse anerkennen. "Gottesgeschichten, Wunder und Himmel und Hölle, Gut und Böse, wenn sie sich jenseits aller Plausibilität bewegen, sind kein Lehrstoff für unsere Enkelkinder und rechtfertigen keine kirchliche Sondermacht in der Demokratie."

Quelle:
KNA