Soziologe sieht Chancen in kirchlichen Missbrauchstudien

Erkenntnisse für die Gesellschaft

Die kirchlichen Missbrauchstudien können nach Auffassung des Religionssoziologen Detlef Pollack Hinweise auf den Umgang mit sexualisierter Gewalt in der ganzen Gesellschaft geben. Zudem rät Pollack zu mehr Forschung in dem Gebiet.

Symbolbild Menschenmenge / © Christian Mueller (shutterstock)
Symbolbild Menschenmenge / © Christian Mueller ( shutterstock )

Vielleicht seien die Kirchen mit ihren Studien in der Lage, einen gesamtgesellschaftlichen Anstoß zu geben, wie die Gesellschaft mit männlicher Macht umgeht und wie sie die besondere Verletzlichkeit von Kindern und Jugendlichen besser schützen kann, schreibt Pollack in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (Freitag).

Prof. Dr. Detlef Pollack (privat)
Prof. Dr. Detlef Pollack / ( privat )

Beschuldigte fast immer männlich

Die veröffentlichte evangelische Missbrauch-Studie zeige, dass Missbrauch "ein reines Männlichkeitsphänomen und insofern nicht allein ein kirchliches Problem, sondern ein Problem der gesamten Gesellschaft" sei, so Pollack weiter. 

Die Recherchen des unabhängigen Forschungsverbunds ForuM über sexualisierte Gewalt in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Diakonie hätten ergeben, dass die Beschuldigten zu 99,6 Prozent männlich sind. In der katholischen MHG-Studie seien von vorneherein nur männliche Beschuldigte untersucht worden wegen des Fokus auf Priester, Ordensleute und Diakone.

Relevant auch für weitere Teile der Gesellschaft

Pollack schreibt: "Nicht schon die Wahrnehmung einer geistlichen Funktion in der Kirche bedingt den Missbrauch." Wichtiger sei das Sexualverhalten der Männer. Die zutage getretene Geschlechterdifferenz spiele auch in jedem anderen Bereich der Gesellschaft, in dem es Erwachsene mit Heranwachsenden zu tun haben, eine Rolle – etwa in der Familie, der Schule, im Kindergarten, im Sportverein oder in Internaten und Heimen.

"Die sozialwissenschaftliche Analyse des komplexen Verhältnisses von sexualisierten Männlichkeitsphantasien, charismatischer 'Pastoralmacht' (Foucault), informeller Vertrautheit und autoritären Machtstrukturen, das in den Kirchen anzutreffen ist, muss weitergeführt werden und kann uns helfen, die zugrunde liegenden Zusammenhänge sexualisierter Gewalt genauer zu verstehen", betonte der Seniorprofessor an der Universität Münster.

MHG-Studie der Bischofskonferenz und ForuM-Studie der EKD

Die vor fünf Jahren veröffentlichte MHG-Studie der katholischen Deutschen Bischofskonferenz und die ForuM-Studie zum Missbrauch in der evangelischen Kirche lassen sich nur bedingt miteinander vergleichen. Ziel ist es jeweils, Umfang und Strukturen des Missbrauchs in katholischer und evangelischer Kirche zu ermitteln. Die Kirchen sind auch Auftraggeber der Studien.

MHG-Studie / © Harald Oppitz (KNA)
MHG-Studie / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
epd