Vielleicht seien die Kirchen mit ihren Studien in der Lage, einen gesamtgesellschaftlichen Anstoß zu geben, wie die Gesellschaft mit männlicher Macht umgeht und wie sie die besondere Verletzlichkeit von Kindern und Jugendlichen besser schützen kann, schreibt Pollack in einem Gastbeitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (Freitag).
Beschuldigte fast immer männlich
Die veröffentlichte evangelische Missbrauch-Studie zeige, dass Missbrauch "ein reines Männlichkeitsphänomen und insofern nicht allein ein kirchliches Problem, sondern ein Problem der gesamten Gesellschaft" sei, so Pollack weiter.
Die Recherchen des unabhängigen Forschungsverbunds ForuM über sexualisierte Gewalt in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Diakonie hätten ergeben, dass die Beschuldigten zu 99,6 Prozent männlich sind. In der katholischen MHG-Studie seien von vorneherein nur männliche Beschuldigte untersucht worden wegen des Fokus auf Priester, Ordensleute und Diakone.
Relevant auch für weitere Teile der Gesellschaft
Pollack schreibt: "Nicht schon die Wahrnehmung einer geistlichen Funktion in der Kirche bedingt den Missbrauch." Wichtiger sei das Sexualverhalten der Männer. Die zutage getretene Geschlechterdifferenz spiele auch in jedem anderen Bereich der Gesellschaft, in dem es Erwachsene mit Heranwachsenden zu tun haben, eine Rolle – etwa in der Familie, der Schule, im Kindergarten, im Sportverein oder in Internaten und Heimen.
"Die sozialwissenschaftliche Analyse des komplexen Verhältnisses von sexualisierten Männlichkeitsphantasien, charismatischer 'Pastoralmacht' (Foucault), informeller Vertrautheit und autoritären Machtstrukturen, das in den Kirchen anzutreffen ist, muss weitergeführt werden und kann uns helfen, die zugrunde liegenden Zusammenhänge sexualisierter Gewalt genauer zu verstehen", betonte der Seniorprofessor an der Universität Münster.