DOMRADIO.DE: Seit über 200 Jahren ist das Hänneschen eine Institution in Köln. Warum predigt das Hänneschen erst jetzt in einer Kirche?
Jacky von Guretzky-Cornitz (Puppenspieler im Hänneschen Theater): Einerseits sind Jubiläumssachen immer vorrangig. Zum 180. Jubiläum war kirchlich etwas Besonderes dabei gewesen, glaube ich.
Es ist aber tatsächlich das erste Mal eine Predigt. Deswegen bin ich auch in meiner Laufbahn als Hänneschen stolz darauf, das mal machen zu dürfen.
DOMRADIO.DE: Wie genau war denn das? Wurden Sie von Peter Otten angesprochen oder haben Sie sich oder das Hänneschen ins Spiel gebracht?
von Guretzky-Cornitz: Das ging über drei Ecken. Wir haben einen Puppenspieler beziehungsweise einen Mitarbeiter, der an Karneval aushilft. Er ist kein fester Puppenspieler, aber an Karneval werden immer Aushilfen gebraucht.
Der Mitarbeiter ist schon lange bei uns und hat mich angesprochen, ob er den Kontakt herstellen dürfe. „Ja“, habe ich gesagt, „warum nicht?“ So ist der Kontakt zustande gekommen. Ich war erst ein bisschen skeptisch und dachte: „Predigt? Kann ich das?“ Aber andererseits sage ich, dass man das auch mal gemacht haben muss.
DOMRADIO.DE: Peter Otten, für die Predigt des Fastelovendsgottesdienstes suchen Sie immer wieder Prominente. Der erste war Kabarettist Jürgen Becker. Als zweites war WDR-Moderatorin Yvonne Willicks da und im letzten Jahr der fast 100-jährige Krätzchensänger Ludwig Sebus. Was muss ein Prediger oder eine Predigerin mitbringen, damit sie die Hörer mitnehmen kann?
Peter Otten (Pastoralreferent St. Agnes): Also erstens möchte ich sagen, die Idee ist unmittelbar nach dem letzten Gottesdienst geboren. Wir haben die damals schon irgendwo aufgeschrieben. Irgendwer sagte, dass eigentlich das Hänneschen predigen müsste, weil es das große 222-jährige Jubiläum ist.
Eine Predigt muss die Leute mitreißen und sie muss Spaß auf den Himmel machen. Sie muss den Himmel mit der Erde verbinden.
Der Karneval ist für mich so attraktiv, weil er ganz irdisch vom Himmel erzählt. Das muss der Prediger oder die Predigerin können. Dass das Hänneschen das kann, steht für mich außer Frage. Ich kenne die Rede schon ein bisschen und ich freue mich wie ein Bagger.
DOMRADIO.DE: Was gehört denn in eine Karnevalspredigt mit hinein?
Otten: Wir werden erstmal das Evangelium lesen. Das ist das berühmte Stück "Macht euch keine Sorgen". Das ist vielleicht ein bisschen provokant in dieser Zeit, in der die Menschen von vielen Sorgen umgeben sind, ob persönliche Sorgen oder Weltsorgen.
Karneval ist ja eine Unterbrechung, die sagt: "Macht euch wirklich keine Sorgen und lasst uns mal in den Himmel hineintanzen, mal ein bisschen die Wolken beiseiteschieben und ein Näschen davon nehmen, wie das im Himmel ist." Das Hänneschen wird diese Vorlage vom Evangelium verwandeln, so viel kann ich sagen.
DOMRADIO.DE: Frage an Jacky von Guretzky-Cornitz: Haben Sie sich denn schon mal angehört, was Ihre Vorgänger gepredigt haben?
Von Guretzky-Cornitz: Ich habe nur in die Predigt von Ludwig Sebus vom letzten Jahr reingehört. Ganz gehört habe ich sie extra nicht. Das werde ich hinterher garantiert tun. Ich will mich aber nicht unter Druck setzen.
An Ludwig Sebus kommt man natürlich nicht dran, aber ich kenne ihn persönlich lange genug. Ich habe ihn direkt angerufen, als ich gefragt wurde, ob ich die Predigt machen würde. Ich habe ihn gefragt, ob er mich dabei unterstützen kann. Das sei kein Problem, hat er geantwortet. Ich soll einfach vorbeikommen. Die Unterstützung habe ich mir dann aber woanders geholt.
Ich werde es mir auf jeden Fall noch komplett angucken. Die ersten Worte waren schon mal herrlich von Ludwig Sebus. Unvergessen, wo er letztes Jahr sagte: „200 Jahre Kölner Karneval. Davon habe ich die Hälfte schon mitgemacht.“
DOMRADIO.DE: In welche Richtung wird es denn in Ihrer Predigt gehen?
Von Guretzky-Cornitz: Wie gesagt, ich möchte nicht zu viel verraten. Wir kommen auf Antisemitismus zu sprechen, der in letzter Zeit leider wieder besonders da ist.
Wir hatten in den dreißiger Jahren eine jüdische Puppenspielerin im Hänneschen Theater, Fanny Meyer. Sie durfte in der Nazizeit nicht mehr auftreten. Sie wurde dann leider nach Auschwitz deportiert. Darüber spreche ich auch.
DOMRADIO.DE: Ist denn das Hänneschen eigentlich ein ordentlicher Katholik? Oder wie hält es das Hänneschen mit der Kirche und dem Glauben?
Von Guretzky-Cornitz: Jeder Kölsche ist katholisch. Auch wenn er nicht katholisch ist, stellt, glaube ich, jeder nicht nur einmal im Leben irgendwo in einer Kirche eine Kerze auf.
DOMRADIO.DE: Peter Otten, zum vierten Mal laden Sie zu diesem stillen, fröhlichen und ausgelassenen Gottesdienst ein. So bezeichnen Sie diese Mischung. Wie genau muss man sich das vorstellen?
Otten: Vielleicht hilft ein Blick in die Geschichte. Wir machen das zum vierten Mal. Das erste Mal war während Corona. Da ist Karneval ausgefallen. Die Leute kamen zu mir, zu uns, zu anderen und haben gesagt: "Was ist das für eine traurige Zeit! Wie schön wäre es, wenn wir jetzt die kölschen Lieder singen könnten."
Das Einzige, was ging, war ein Gottesdienst. Dann haben wir überlegt, dass wir an Rosenmontag in Form dieses Gottesdienstes feiern. Wir die Lieder zusammen singen, uns gegenseitig trösten und uns gegenseitig erzählen, was uns die Musik und dieser Trost bedeutet.
Das war im ersten Jahr ein überwältigender Erfolg. Die ganze Stadt war an dem Tag tot, nur in der Agneskirche war was. Dann haben wir gesagt, das machen wir weiter. Im zweiten Jahr war der Ukrainekrieg. Letztes Jahr hat Ludwig Sebus eine Friedensrede gehalten.
Jetzt haben wir das vierte Jahr. Für mich ist mit das Wichtigste im Karneval der Trost, dass man im Karneval eine Ahnung davon bekommt, dass die Welt auch anders aussehen könnte als wie sie uns oft erscheint. Zum Beispiel, dass wildfremde Menschen sich unterhaken, miteinander singen, dass Kölsch geteilt wird.
Das ist alles das, was auch die Ideen der Religion sind und im Karneval greifbar wird. Diese Elemente werden im Gottesdienst eine Rolle spielen. Die Leute bekommen alle eine Kerze. Wir schieben die Agnes in die Mitte. Alle können ihre Bitten und Gebete vortragen. Es gibt SMS-Fürbitten und es wird sicherlich auch geschunkelt. Es wird gelacht. Es geht still und laut zu. Es ist von allem etwas.
DOMRADIO.DE: Was kann denn die Kirchenmusik von Karnevalsmusik lernen?
Otten: Wir feiern zum Beispiel am Sonntag einen großen Kinder- und Familiengottesdienst in der Agneskirche. Da singen wir von A bis Z nur kölsche Lieder. Der ganze Gottesdienst wird mit rheinischen Liedern und mit Karnevalsliedern bestückt.
Das funktioniert, weil es wahnsinnig viele schöne rheinische und Karnevalslieder gibt mit wunderschönen Botschaften, zum Beispiel „Sing, mich noh Hus“ aus. Ich wüsste kein schöneres Osterlied.
Dass eine Gemeinschaft, ein Geist, einen Menschen aus dem Tod ins Leben trägt. Das begeistert mich persönlich sehr an diesen Karnevalsliedern. Wenn man sich die tiefer anguckt, stößt man auf schöne Sinngehalte und die erwecken wir für unseren Gottesdienst.
DOMRADIO.DE: „Sing, mich noh Hus“ – „Sing mich nach Hause“ hat für Sie, Jacky von Guretzky-Cornitz, eine ganz besondere Bedeutung. Denn nach über 40 Jahren als Puppenspieler gehen sie im Sommer in den Ruhestand. Auf dieser beruflichen Zielgerade steht noch so ein spiritueller Abschluss bevor. Was macht das mit Ihnen?
Von Guretzky-Cornitz: Das ist natürlich eine ganz besondere Ehre und Wertschätzung. 44 Jahre sind es genau genommen am 1. Juli. Eine Schnapszahl wie der 222 Jahre alte Hänneschen.
Ich muss aber noch mal einhaken. Ich musste eben schmunzeln, als sie über Karneval und die Kirchenmusik fragten. Als Willibert Pauels noch in die Bütt ging, also in die großen Säle ging und "Großer Gott, wir loben dich" angestimmt hat. Ich glaube, da sind einige dabei gewesen, die meinten, das wäre ein Fastelovendslied.
DOMRADIO.DE: Peter Otten, das klingt alles vielversprechend, aber es kommt ein großes Aber. Denn es gibt keine Karten mehr. Mit dabei sein, kann aber trotzdem jeder. Dafür brauchen Sie aber noch ein paar Spenden.
Otten: Ich bin großer Gegner von Ticketing und Karten. Wir haben das noch nie gemacht, aber im Vorfeld gab es ein gigantisches Grundrauschen und viele Anrufe aus ganz Deutschland.
Wenn wir die Situation haben, dass vor der Agneskirche die Leute anreisen und nicht mir reinkommen, dann müssen wir uns das genauer angucken. Deswegen es gibt dieses Ticketing, leider.
Die Karten kosten aber nichts, weil Gottesdienste immer frei sein müssen. Die Künstlerinnen und Künstler, auch der Jacky, kommen umsonst. Das ist unglaublich. Aber die ganze Technik kostet natürlich. Um die Indoor-Beschallung vor allem im Stream gut aufzuarbeiten und ins Internet zu stellen, dafür brauchen wir Unterstützung. Wer keine Karte hat, der guckt einfach unter www.agnesalaaf.de.
Da gibt es den Livestream. Da gibt es auch die Möglichkeit, ein bisschen Geld zu spenden, damit wir das technisch hinkriegen. Im Karneval heißt es „Drink Doch Ene Met“, man legt also einen Heiermann (5-Mark-Stück) auf den Tisch, damit alle was abkriegen. Diese Idee steckt ein bisschen dahinter.
DOMRADIO.DE: Worauf freuen Sie sich denn am meisten am kommenden Montag?
Otten: Ich freue mich am meisten auf das Schlusslied. Ich weiß schon, was gesungen wird. Dann fällt ganze Last, die Anstrengung ein bisschen ab und die ganze Kirche schunkelt. Wenn alle Leute beseelt und glücklich sind und wir den Eindruck haben, das war jetzt ein Stück Himmel, darauf freue ich mich am meisten.
Das Interview führte Tim Helssen.