DOMRADIO.DE: Wie läuft "Loss mer singe" genau ab?
Georg Hinz (Erfinder von "Loss mer singe"): Die Kurzfassung ist: Wir hören knapp 400 Lieder und wählen davon knapp 50 aus. Die testen wir im Dezember und dann entscheiden wir, mit welchen 20 davon wir auf die Tour zum Einsingen durch die verschiedenen Kneipen gehen.
Dort üben wir mit den Gästen dann kurz die Texte ein um sie mitzusingen. Am Ende der Abende fragen wir sie, welche Lieder ihnen am besten gefallen haben. Dann kristallisiert sich ein Hit des Abends heraus und ganz am Ende auch ein Hit der Session.
DOMRADIO.DE: Es ist immer interessant, in welchem Veedel und in welcher Kneipe welcher Hit am besten rüberkommt. Wenn man sich am Barbarossaplatz in die Session einsingt, kommt ein anderer Hit des Abends heraus, als wenn man in Porz unterwegs ist.
Hinz: Wir unterscheiden eher zwischen der typischen Stadtabstimmung und den Abstimmungen im Umland. In Köln, Hamburg, München und Berlin wird ein bisschen anders abgestimmt als in Städten wie beispielsweise Gummersbach. Die Veränderungen sind aber wirklich klein. Es gibt immer Schnittmengen unter den Liedern, auf die sich alle einigen.
Das ist wie ein empirische Untersuchung. Es sind dann immer die gleichen vier Lieder, die in einer leicht veränderten Konstellation auf den oberen Plätzen rangieren. Aber es kommt ja vor allem darauf an, dass man alle 20 Lieder mitfeiern und mitsingen kann. Man kann schöner feiern, wenn man die Liedtexte mitsingen kann. Dann hat man einfach mehr vom Fest.
DOMRADIO.DE: Dieses Jahr fällt auf, dass sich das Thema "Abschied und Tod" durch die Veranstaltungen zieht. Gerade bei Kasalla ist mir das besonders aufgefallen.
Hinz: Kasalla sind Spezialisten darin, uns an den Gründen der Seele abzuholen. Karneval feiern hat ganz viel damit zu tun, dass dort gebündelt die Grundlagen des Lebens thematisiert werden. Und der Tod und das Sterben ist etwas, was uns alle verbindet. Wir sind alle irgendwann nicht mehr da. Und angesichts dieses irgendwann drohenden Todes ist es am besten, wenn man es sich jetzt schön macht. Carpe diem.
Es gibt ja auch dieses Wort: "Memento mori", frei übersetzt: Es kann morgen vorbei sein. Ich glaube, dass man in dieser Session angesichts der vielen Probleme und Dinge, die uns manchmal niederdrücken, auch spürt, dass der Jeck jetzt auch nicht daran vorbeischunkelt. Wir sagen: "Mach es dir jetzt schön. Du weißt nicht, wie lange das dauert und heute geben wir alles." Das ist ein Kernding von Karneval, dass man das auch mal so sagt.
In dem Lied von Kasalla, dass du angesprochen hast, "Wenn ich ne Engel bin", singen sie aus der Sicht des Verstorbenen. Und sie sagen: Ich wünsche mir, dass ihr, wenn ich mal nicht mehr da bin, weniger weint als ihr lacht. Ihr sollt das Leben genießen, lasst es euch gut gehen.
In der Konsequenz wäre es schön, wenn ihr es schafft, Konfetti auf meinen Sarg zu schmeißen. Das ist natürlich ein schöner Gedanke, den Tod aus dieser Perspektive zu sehen; bei all der Trauer. Das Lied bringt auch die christliche Perspektive noch einmal auf den Punkt.
Es gibt zum Beispiel eine sehr schöne Stelle in dem Lied: "Janz ehrlich, ihr müsst euch keine Sorje maache, denn ich treff da oben de Chef und minge Papp." Der Papa ist schon tot und da oben trifft er auch den Chef, also den lieben Gott. Und so bringen sie in einer wirklich schönen und volksnahen Weise ja auch irgendwie den Glauben auf den Punkt.
DOMRADIO.DE: Kasalla treiben das auch noch einmal auf die Spitze und sie holen sich Ludwig Sebus mit ins Boot. Der Komponist ist 98 Jahre alt und ein kölsches Urgestein also. Ich habe da einen Kloß im Hals, wenn ich ihn höre.
Hinz: Er lacht ja an einer Stelle wirklich total schön. Der 98-jährige Ludwig Sebus hat in den letzten Jahren auch eine ganz besondere Position in der kölschen Musikszene übernommen. Der Basti mit seinen Anfang 40 kann diese Zeilen einfach singen. Aber wenn der Ludwig sie singt, gehen sie einem viel näher. Und alle, die Ludwig Sebus kennen, wissen, dass er das auch so meint.
DOMRADIO.DE: Von Miljö gibt es bei "Loss mer singe" den Hit "Et letzte Mol". Du hast eben "Carpe diem" gesagt. In diese Kerbe schlägt auch dieser Song. Nicht nach hinten gucken, nicht nach vorne, den Moment leben und im Moment bleiben, auch wenn es das letzte Mal ist.
Hinz: Das Lied ist bei "Loss mer singe" auf der Startnummer 15. Am Anfang üben wir den Text einmal sprechen, weil er danach schön gesungen werden soll. Wenn man den schon einmal durch den Kopf und über die Zunge hat gehen lassen, dann ist das ein wunderschönes Gefühl, dieses Lied zu singen und die Leute genießen das. Das Lied ist eine Wertschätzung für die kleinen Dinge im Leben.
Das Interview führte Verena Tröster.