DOMRADIO.DE: Sie und Ihre Mitschwestern waren bei der Demonstration in Heiligenstadt dabei. Was für ein Zeichen wollten Sie setzen?
Schwester Maria Thoma Dikow (Generaloberin der Schwestern der Heiligen Maria Magdalena Postell in Heiligenstadt und stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Ordensobernkonferenz): Wir haben mit einem Friedensgebet in der großen evangelischen Stadtpfarrkirche angefangen. Die Kirche war so voll, wie sie der Pfarrer noch nie zu einem Gottesdienst erlebt hatte. Wir waren dann auf dem Friedensplatz vor der Kirche, auf dem auch die Demonstrationen 1989 stattgefunden hatten.
Ganz viele Leute haben gesagt, dass sie da anknüpfen wollen. Sie haben damals für die Freiheit gekämpft und wollen es jetzt auch tun.
Wir Schwestern wollten dabei sein. Wir gehören in diese Stadt, wir gehören zu den Menschen. Wir wollten mit ihnen für Demokratie und gegen Fremdenfeindlichkeit eintreten.
DOMRADIO.DE: Wofür sind sie genau?
Thoma Dikow: Es stehen viele Dinge gerade auf der Kippe, die für uns wichtig sind. Europa gewährt uns eine große Freiheit, ein Europa der Vielfalt. Wir stehen ganz klar für die Gleichheit aller Menschen, egal ob behindert oder nicht behindert, egal ob Ausländer oder Inländer, egal ob Frau oder Mann oder divers. Diese Vielfalt und diese Freiheit gilt es zu schützen. Dafür wollten wir eintreten.
DOMRADIO.DE: Sie leben und arbeiten in Heiligenstadt in Thüringen. Dort würde nach aktuellen Umfragen die AfD mit über 30 Prozent stärkste Kraft. Merken Sie etwas davon, dass sich das politische Klima in Ihrem Bundesland nach rechts außen verschoben hat?
Thoma Dikow: Ich bekomme es zum Beispiel durch eine Mitschwester mit, die in unserer Schule hier unterrichtet. Sie sprach mit Jugendlichen und lud sie zur Demonstration ein. Manche Schüler sagten ganz klar: "Nein, ich sympathisiere mit der AfD, ich finde die gut." Die Montags-Spaziergänge, früher die Corona-Spaziergänge, finden weiterhin Zulauf.
Wir sind eine kleine Stadt hier. Es geht alles recht friedlich zu, aber es gibt einfach Stellen, wo man auch in so einer kleinen Stadt spürt, dass sich da etwas tut.
DOMRADIO.DE: Orden sind traditionell internationale Gemeinschaften über nationale und ethnische Grenzen hinweg. Sie haben also Mitschwestern, die aus anderen Ländern kommen. Spüren die etwas vom rechten Wind in Ihrer Stadt?
Thoma Dikow: Ja, in unserer Stadt und in unserer Gesellschaft. Es geht ja auch nicht nur um Heiligenstadt. In unserer Stellungnahme der Deutschen Ordensobernkonferenz haben wir diesen Punkt gerade besonders hervorgehoben. Wir sind ganz viele Ordensgemeinschaften, die international sind. Unsere Mitschwestern und Mitbrüder aus anderen Ländern sind uns wichtig sind, genauso wie Deutsche.
Ganz konkret würde ich zum Beispiel sagen, würde ich hier meine jungen afrikanischen Mitschwestern nicht allein zum Einkaufen in die Stadt schicken. Ich hätte einfach Sorge, dass sie dumm angemacht werden, dass sie darauf nicht reagieren können, weil sie noch nicht so gut Deutsch sprechen und dass sie diskriminiert würden.
Wir erfahren das mehrfach, zum Beispiel wenn Mitschwestern aus Brasilien einreisen. Die eine ist dunkelhäutig, die andere ist hellhäutig. Die eine kommt ohne Weiteres durch die Passkontrolle, die andere wird bis zum geht nicht mehr interviewt.
Das ist in so einer Situation nicht rassistisch gemeint, aber es ist einfach nicht gut. Wir müssen dafür kämpfen, dass Menschen unabhängig ihrer Hautfarbe sicher bei uns sind.
DOMRADIO.DE: Was können Sie als Ordensleute tun, um Rassismus und Fremdenfeindlichkeit etwas entgegenzusetzen?
Thoma Dikow: Wir versuchen eine ganze Menge. Mir ist eingefallen, dass wir zum Beispiel einen Schulpreis für Engagement haben, wo sich unsere Schülerinnen und Schüler, die sich ehrenamtlich einsetzen, bewerben können. Wir haben schon mehrfach Schüler ausgezeichnet, die zum Beispiel im Schwimmverein ausländischen Kindern das Schwimmen beibringen oder Hausaufgabenhilfe geben.
Meine Mitschwestern und ganz viele Ordensleute geben Sprachunterricht für Geflüchtete. Je nach Einwanderungszahl haben wir Auffangklassen. Das variiert immer ein bisschen, ob die benötigt werden.
Wir heben im Sozialkundeunterricht, im Religionsunterricht immer wieder die Würde aller Menschen als Gottes Geschöpfe hervor. Das scheint mir das Wichtigste und das Wesentliche zu sein.
DOMRADIO.DE: Fühlen Sie und Ihre Schwestern sich denn in Ihrer Stadt sicher?
Thoma Dikow: Ja. Wir sind seit über 150 Jahren hier in der Stadt. Wir gehören ins Stadtbild. Das ist bei uns noch nicht das Problem. Wenn man im Ordenskleid geht, gibt es andernorts Situationen, wo man doof angemacht wird. Aber damit lernt man zu leben.
Manchmal ist die Provokation von Jugendlichen ja auch ein Gesprächsanlass, bei dem sie hinterher merken, dass hinter der Nonne doch ein ganz normaler Mensch steckt.
Eine Mitschwester hat mir gesagt, dass sie sich ein Schild umhängt, wenn sie auf den Karnevalszug geht. Auf dem steht: "Ich bin echt."
Das Interview führte Dagmar Peters.