In Berlin und vielen anderen Städten haben am Samstag Abertausende Menschen erneut gegen Rechtsradikalismus, Rassismus und Antisemitismus demonstriert. Allein in Berlin nahmen schätzungsweise 150.000 Menschen an einer Großkundgebung unter dem Motto "Wir sind die Brandmauer" teil, wie ein Sprecher der Polizei auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur mitteilte.
Die Präsidentin des katholischen Sozialverbandes Caritas, Eva Maria Welskop-Deffaa, sagte: "Wir alle, die hier heute gemeinsam auf die Straße gehen, wollen Gefährdungen unserer Demokratie abwenden. Denn wir wissen: Nie wieder ist jetzt."
800.000 bisher im Februar
Ein Anlass für die Kundgebungen sind Recherchen des Netzwerks Correctiv zu einem Treffen Rechtsextremer im November in Potsdam, an dem auch hochrangige AfD-Mitglieder teilnahmen. Dabei sei es unter dem Schlagwort "Remigration" (Rückwanderung) um eine Strategie für eine massenhafte Umsiedlung von Migrantinnen und Migranten gegangen.
Nach Schätzungen des Vereins Campact gingen allein im laufenden Monat Februar mindestens 805.000 Mensachen auf die Straße. So kamen in Mainz unter dem Motto "Demokratie schützen - Rechtsextreme stoppen" laut Polizeiangaben am Samstag bis zu 10.000 Menschen zusammen.
"Erde ist unser gemeinsames Haus"
Zu den Rednern gehörte auch der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf. Mit der Forderung nach einer "Remigration" von Migranten sei eine Grenze überschritten worden, sagte der Bischof und fügte hinzu: "Jeder einzelne Mensch hat Würde, unabhängig von seiner Herkunft, seinem Geschlecht, seiner Religion."
In Augsburg betonte der dortige Bischof Bertram Meier vor rund 25.000 Menschen: "Diese Erde ist unser gemeinsames Haus und jeder, egal, ob Kind oder Greis, Mann oder Frau, queer oder hetero - ausnahmslos jeder Mensch ist hier auf dieser Welt zuhause und hat das Recht auf ein menschenwürdiges Leben!" Dafür erhielt Meier starken Applaus. Einzelne Zwischenrufer forderten: "Vormachen!"
Frieden und respektvolles Miteinander
Die aus Augsburg stammende Grünen-Politikerin und Kulturstaatsministerin Claudia Roth erinnerte an Worte der Holocaust-Überlebenden Eva Szepesi, wonach die Schoah nicht mit Auschwitz angefangen habe, sondern mit Worten und dem Wegschauen der Gesellschaft. Roth appellierte: "Seien wir Menschen. Es ist nicht wenig. Es ist das Beste, was wir sein und was wir tun können, um den Hass und die Menschenfeindlichkeit zu ersticken!"
In Bonn nahmen am Sonntag mehrere hundert Menschen an einer Kundgebung mit interreligiösem Friedensgebet teil. Dabei ging es auch um die Situation im Nahen Osten. Die Teilnehmer riefen zu Frieden und respektvollem Miteinander auf.
Verschiebung der Grenzen des Sag- und Denkbaren
Unterdessen äußerten sich führende Katholiken aus sechs ostdeutschen Bistümern besorgt über das gesellschaftliche Klima. "Menschen werden diskriminiert und ausgegrenzt. Überwunden geglaubte Menschenfeindlichkeit erhält Platz und Stimme", heißt es in einer am Samstag in Erfurt verabschiedeten Erklärung der Diözesanräte der Katholikinnen und Katholiken im Erzbistum Berlin und im Bistum Görlitz sowie von den Katholikenräten der Bistümer Dresden-Meißen, Erfurt und Magdeburg. Die Grenzen des Sag- und Denkbaren würden ständig verschoben. Die Unterzeichner machen dafür "insbesondere die AfD verantwortlich, von der wir uns klar distanzieren".
Im Interview der Woche des Deutschlandfunks räumte AfD-Chef Tino Chrupalla ein, dass die Zustimmung für seine Partei derzeit schwinde. Sowohl das ZDF-Politbarometer als auch der ARD-Deutschlandtrend sehen die AfD bei 19 Prozent, im Vergleich zu 22 Prozent in den vorherigen Umfragen. "Auch uns war klar, dass wir die hohen Umfragewerte nicht auf Dauer halten können", so Chrupalla. Am Ende werde es sich aber bei den anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen entscheiden, dass ohne die AfD keine Politik mehr machbar sein werde. "Davor haben die Parteien eine Heidenangst."
Forschung und Umfragen einig
Die Protestforscherin Sabrina Zajak geht davon aus, dass die Demonstrationen gegen Rechtsextremismus noch eine Weile anhalten. "Wir werden einen protestreichen Sommer erleben", sagte die Bochumer Professorin der "Frankfurter Rundschau" (Montag).
Laut einer Umfrage für die "Bild am Sonntag" begrüßen 55 Prozent der Befragten die Demos, 26 Prozent finden sie eher schlecht, 12 Prozent sind die Kundgebungen egal. Außerdem hielten 61 Prozent die Demokratie hierzulande für gefährdet.