Das Hilfswerk der Jesuiten setzt auf Nachhaltigkeit

"Glaube ohne Gerechtigkeit ist nicht möglich"

Wie kann Entwicklungszusammenarbeit ohne Bevormundung und mit langfristiger Ausrichtung gelingen? Der Leiter des Jesuitenhilfswerks setzt auf Patres vor Ort, die ihr Leben mit den Menschen teilen und ihnen auf Augenhöhe begegnen.

Christian Braunigger SJ (Jesuiten Weltweit)

DOMRADIO.DE: Sie stehen seit Herbst vergangenen Jahres an der Spitze von "jesuitenweltweit". Dass die Jesuiten als Orden ein eigenes Hilfswerk haben, ist vielleicht gar nicht jedem bewusst. Wie sieht Ihre Arbeit konkret aus? 

P. Christian Braunigger SJ (Missionsprokurator und Leiter des Hilfswerks jesuitenweltweit): Wir haben Projektpartner in der ganzen Welt, im globalen Süden. Vorwiegend sind es Jesuiten, die wir in ihrer Arbeit unterstützen. 

DOMRADIO.DE: In der Selbstbeschreibung Ihres Hilfswerkes steht, dass Jesuiten mit den Armen leben. Wie muss man sich das konkret vorstellen? 

Braunigger: Uns ist ganz wichtig, dass wir die Arbeit von Jesuiten unterstützen, die selbst mit den Armen leben, die in den Projekten leben und nicht einfach nur von außen kommen, etwa Projekte zu den Menschen bringen und dann wieder verschwinden. 

Christian Braunigger SJ

"Es ist entscheidend, dass am Ende Glaube, Hoffnung und Liebe mit den Menschen dann auch in diesen Projekten geteilt wird."

Es ist entscheidend, dass am Ende Glaube, Hoffnung und Liebe mit den Menschen dann auch in diesen Projekten geteilt wird, dass also das Leben geteilt wird. 

DOMRADIO.DE: Wie sieht so ein Projekt aus, bei dem die Jesuiten mit den Armen leben? 

Braunigger: Zum Beispiel in Sambia haben wir eine ökologische Landwirtschaftsschule. Da kommen Menschen aus der Umgebung der Schule und können Kurse machen. Der Jesuit, der verantwortlich ist, lebt dort auch und feiert Messen in den Pfarreien in dieser Umgebung, um letztendlich das Leben mit den Menschen zu teilen. 

Straße in Lusaka, Hauptstadt von Sambia / © Wolfgang Radtke (KNA)
Straße in Lusaka, Hauptstadt von Sambia / © Wolfgang Radtke ( KNA )

DOMRADIO.DE: Sie sind ein kirchliches Hilfswerk. Da spielt natürlich der Glaube eine wichtige Rolle. Aber was hat das mit Entwicklungszusammenarbeit zu tun? 

Braunigger: Die Versammlung der Jesuiten im Jahr 1975 hat gesagt, dass Glaube und Gerechtigkeit zusammen mit Versöhnung Hand in Hand gehen sollen. Wie kann jemand glauben, ohne letztendlich auch die Gerechtigkeit in den Blick zu nehmen? 

Christian Braunigger SJ

"Wie kann jemand glauben, ohne letztendlich auch die Gerechtigkeit in den Blick zu nehmen?"

Wenn Strukturen der Sünde menschliches Leben beeinträchtigen, wenn Menschen die Würde genommen wird, ist es dann nicht notwendig, dass neben dem Glauben auch eine Gerechtigkeit hergestellt wird, um dann zu einer Versöhnung unter den Menschen und zu einer Versöhnung mit Gott zu gelangen? 

Von daher ist es für uns ein integraler Bestandteil, dass all unsere Projekte von dieser Überzeugung getragen sind: Glaube ohne Gerechtigkeit ist nicht möglich. Es ist wichtig, dass Glaube, Gerechtigkeit und Versöhnung Hand in Hand gehen. 

DOMRADIO.DE: Aus der Entwicklungsarbeit ist Entwicklungszusammenarbeit geworden. Das hat sich von der Sprache her in den vergangenen Jahrzehnten ein bisschen verändert. Aber wie viel Augenhöhe ist denn tatsächlich zwischen Organisationen möglich, die geben, und Menschen, die von ihnen empfangen? 

Braunigger: Aufgrund dessen, dass wir mit Mitbrüdern aus dem Orden zusammenarbeiten, können wir uns in den Ländern gegenseitig auf Augenhöhe begegnen. Und die Jesuiten vor Ort wiederum werden hoffentlich, so mein Wunsch, den Menschen dort auf Augenhöhe begegnen. 

DOMRADIO.DE: Manchmal gibt es auch die Kritik, dass Hilfswerke von außen kommen, große Projekte aufziehen und sich nach zwei Jahren zurückziehen und dann die großen Projekte nach wenigen Monaten wieder versanden, sodass dieser große Aufwand teilweise gar nicht so viel bringt. Wie sind da bislang Ihre Erfahrungen als jesuitisches Hilfswerk? 

Braunigger: In der Regel sind die Erfahrungen sehr gut. Uns ist es ein Anliegen, dass die Partner in der Erstellung eines Projektes schon aufzeigen, wie das Projekt langfristig und nachhaltig arbeiten kann. Wir sind davon überzeugt, weil eben auch die Jesuiten vor Ort mit den Institutionen, die schon vorhanden sind, in die Arbeit einsteigen, sodass eine Kontinuität gegeben ist. 

DOMRADIO.DE: Wie sieht ein Beispiel für ein Projekt aus, bei dem die Jesuiten schon längerfristig die Menschen begleiten, aber vielleicht auch klar ist, dass das Projekt irgendwann auch ohne den Orden laufen muss? 

Braunigger: Bei uns sind viele Projekte langfristig geplant, zum Beispiel Schulen, die für Indigene aufgebaut werden. Wie zum Beispiel in Indien, wo Tribals und Dalits keine Menschenrechte von der Regierung zugestanden bekommen. Jesuiten gehen dann an diese Orte, bauen Schulen auf und idealerweise, wenn sich die Gesellschaft entwickelt, wird diese Schule vielleicht einmal überflüssig. Schön wäre, wenn diese Schulen, wenn sie gut funktionieren, dann auch ohne die Präsenz von Jesuiten funktionieren. 

Protest von Mitgliedern der Dalit-Gemeinschaft / © Madan Sehgal (shutterstock)
Protest von Mitgliedern der Dalit-Gemeinschaft / © Madan Sehgal ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Sie sind Missionsprokurator und Chef des Hilfswerks "jesuitenweltweit". Beim Stichwort Mission kommen ja vielleicht Assoziationen mit der Kolonialzeit und vermeintlich kultureller Überlegenheit auf. Wie verstehen Sie denn Mission heute? 

Braunigger: Ich verstehe Mission im Sinne von "zu den Menschen gesandt zu sein". Die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs meint eben gesandt sein oder zu senden und gesandt sein zu den Menschen, um mit ihnen das Leben zu teilen, um mit ihnen Glaube, Hoffnung, Liebe zu teilen, um mit ihnen Freud und Leid zu teilen. 

Christian Braunigger SJ

"Ich verstehe Mission im Sinne von zu den Menschen gesandt zu sein."

Wenn wir auf diese Art und Weise den Begriff Mission sehen, dann ist er auch zukunftsfähig, auch für unsere Gesellschaft. 

DOMRADIO.DE: Machen Sie eigentlich als christlicher Orden einen Unterschied bei den Projekten, ob es den Christen vor Ort hilft oder sagen Sie, bei der Religion machen wir keinen großen Unterschied? 

Braunigger: Wir machen da gar keinen Unterschied. Für uns ist zunächst einmal bedeutsam, dass jeder Mensch von Gott geliebt ist. Jedem Menschen ist die Würde durch Gott geschenkt. Im Dokument "Nostra aetate" des Zweiten Vatikanischen Konzils heißt es, dass letztendlich in jedem Menschen und in jeder Religion Strahlen der Wahrheit aufleuchten können. Aufgrund dessen ist für uns die Religion des einzelnen Menschen letztendlich wenig bedeutsam. 

II. Vatikanisches Konzil vom 11. Oktober 1962 bis zum 8. Dezember 1965 / © N.N. (KNA)
II. Vatikanisches Konzil vom 11. Oktober 1962 bis zum 8. Dezember 1965 / © N.N. ( KNA )

DOMRADIO.DE: Zum 1. Oktober 2023 haben Sie die neue Funktion übernommen. Gibt es irgendetwas, was Sie bis jetzt schon beeindruckt hat und bei dem Sie sagen, dass es etwas Besonderes für Sie gewesen ist? 

Braunigger: Ich habe im Sommer einige Projekte besucht, sowohl in Lateinamerika als auch im Anschluss an meine Ausbildung in Mexiko. Ich war bei Projekten in Kolumbien, Venezuela und Paraguay. Und ich war im Sommer auch in der Ukraine. Und was mich da schon sehr beeindruckt hat: die Ukraine ist kriegsbedingt in einem desolaten Zustand. 

Christian Braunigger SJ

"Diese Hoffnung, das ist meine feste Überzeugung, ist nicht einfach nur menschengemacht, sondern von Gott geschenkt."

Man kann sagen, die Menschen sind verzweifelt. Als ich dann mit den Menschen in unserem Projekt geredet habe, habe ich doch auch Hoffnung gespürt. Diese Hoffnung, das ist meine feste Überzeugung, ist nicht einfach nur menschengemacht, sondern von Gott geschenkt. 

DOMRADIO.DE: War das eigentlich für Sie naheliegend, als Jesuit eine solche herausfordernde Aufgabe zu übernehmen? 

Braunigger: Im Orden bekommt man Destinationen nicht nach dem Wünsch-dir-was-Prinzip, sondern der Provinzial schaut, wofür man geeignet ist und wo auch der Bedarf besteht. 

In meiner Lebensgeschichte, bevor ich in den Orden eingetreten bin, hatte ich schon Kontakte in Indien. Ich war längere Zeit dort, war auch in Lateinamerika. Im Orden habe ich dann zwei Jahre in einem Flüchtlingslager in Kenia verbracht und dort gearbeitet. 

Ich war auch in Mexiko, sodass man sagen kann, dass es vielleicht insgesamt ein rundes Bild ergibt - auch aufgrund meiner Ausbildung vor dem Ordenseintritt, denn ich habe Wirtschaftsingenieurwesen studiert. Das ist für diese Tätigkeit mit der Projektarbeit und auch mit den Finanzen doch durchaus hilfreich. 

Das Interview führte Mathias Peter.

Jesuitenmission und Hilfswerk

jesuitenweltweit unterstützt als internationales Hilfswerk der Jesuiten in Deutschland und Österreich aus Partnerprojekte weltweit im Einsatz für Entwicklung und Bildung, Glaube und Gerechtig­keit, Dialog und Frieden. 

Jesuiten / © Severina Bartonitschek (KNA)
Jesuiten / © Severina Bartonitschek ( KNA )
Quelle:
DR