DOMRADIO.DE: Es geht um den Bogen vom Petersportal. Das ist der Eingang rechts vom Hauptportal im Kölner Dom. Er stammt aus dem 14. Jahrhundert und man sieht die Apostel Petrus und Paulus zusammen mit dem Magier Simon und Kaiser Nero auf dem Thron: Was ist denn das für eine Szene?
Harald Schlüter (Referent für Dom- und Kirchenführungen im Domforum): Dargestellt ist hier eine Legende vom Martyrium von Petrus und Paulus in Rom und der Zauberer Simon Magus ist dort plötzlich der große Kontrahent, der gegen die Apostel antritt.
DOMRADIO.DE: Daneben sitzen grimmig schauende Steinfiguren mit langen Bärten, die Sie als Judendarstellungen identifiziert haben. Welche Rolle spielen die in dieser Szene?
Schlüter: Das ist das Erstaunliche: Es gibt tatsächlich eine Legende aus dem 6. Jahrhundert, in der das Treffen von Petrus und Paulus vor der jüdischen Gemeinde Roms stattfindet. Von daher kommen Juden in der Geschichte vor, aber nicht in der Darstellung des Wettstreits zwischen den Aposteln und Simon Magus, der behauptet, Sohn Gottes zu sein und das beweisen will, indem er sich von Dämonen erheben lässt, aufsteigt und durch das Gebet der Apostel wieder zu Boden stürzt.
Und das ist im oberen Teil des Tympanons [Anm. der Redaktion: Giebeldreieck oberhalb der Türen des Portals] dargestellt. Dort sind plötzlich als Assistenzfiguren vier Personen eingefügt, die vor allem durch ihre Hüte als Juden zu erkennen sind.
Das hat man lange Zeit nicht gesehen, konnte es vielleicht auch nicht sehen, weil erst bei genauem Hinsehen festgestellt werden kann, dass dort tatsächlich "Judenhüte" gemeint sein müssen.
Das sind breitkrempige Hüte mit einem Knauf auf dem Scheitel, mit denen Juden im Mittelalter in Darstellungen als solche gekennzeichnet wurden.
Und vieles deutet darauf hin, dass bei den Figuren im Petersportal diese Knäufe irgendwann in der Vergangenheit entfernt wurden.
DOMRADIO.DE: In diese Legende gehören Juden – rein historisch betrachtet – also gar nicht rein: Was ist daran diffamierend bzw. antijüdisch?
Schlüter: Man kann das nur verstehen, wenn man den Kontext kennt: Simon Magus wurde im Mittelalter als der Vorläufer des "Antichristen" verstanden. Diese Vorstellung war gerade im 14. Jahrhundert, in Zeiten von Krisen und Pest, sehr weit verbreitet. Im Volk sorgte man sich, dass der Antichrist noch vor dem Ende der Welt kommt und so hat er in der Legendenbildung immer mehr die Züge von Simon Magus angenommen.
Nichts anderes erzählt auch diese Szene: Dass der Antichrist sich von Dämonen erheben lässt und wieder abstürzt. Und an dieser Stelle wird dann in der Legende behauptet, dass die ersten Anhänger des Antichristen Juden gewesen sein sollen, in einer Verallgemeinerung, wie sie damals gang und gäbe war.
Das ist im Grunde die Unterstellung, die hier ins Bild gebracht wird - dass die Juden nicht etwa nur Simon Magus, sondern dem Antichristen anhängen. Und so wurde diese Szene dann auch sicherlich von den Zeitgenossen damals gelesen.
DOMRADIO.DE: Es gibt am und im Kölner mehrere antijüdische Darstellungen, die fast alle aus dem Mittelalter stammen und zu denen es auch schon eine Ausstellung und eigens dafür konzipierte Führungen gibt. Es ist ein wichtiges Thema für das Domkapitel und die Dombauhütte. Aber diese Darstellungen sind noch nicht "offiziell" katalogisiert. Wieso ist das bislang keinem aufgefallen?
Schlüter: Das ist eine schwierige Frage. Dazu muss man anmerken, dass nicht alle Darstellungen am und im Dom als antijüdisch zu bezeichnen sind. Es gibt Darstellungen aus dem Mittelalter, wo Juden einfach durch ihre Kleidung gekennzeichnet sind. Dazu zählt eben auch der bereits erwähnte Judenhut, der sie einfach identifizierbar machte.
Diese Kleidung wurde auch auf alttestamentliche Gestalten übertragen, damit man sie identifizieren konnte. Damit war noch keine Polemik verbunden, aber wir beobachten, dass es dann im 13. und 14. Jahrhundert wirklich in eine Judenfeindschaft umschlug.
Und genau das ist es, was wir im Dom in den letzten Jahren immer wieder entdeckt haben und wo wir erschrocken sind, mit welcher Vehemenz das teilweise vertreten wurde. Das Petersportal ist daran gemessen vergleichsweise unscheinbar. Es erzählt vordergründig die Legende von Petrus und Paulus.
Aber dieser Unterton, der da reingebracht wurde, ist tatsächlich bisher übersehen worden. Wichtig zu erwähnen ist, dass es eine der wenigen Darstellungen im Außenbereich ist, das ist eine wichtige Akzentverschiebung.
Die Darstellungen richteten sich nicht mehr nur an einige wenige, die den Dom betraten, sondern an alle Mitbürgerinnen und Mitbürger in dieser Stadt, wie eine mahnende Botschaft: Die Gefahr des Auftretens des Antichristen und seiner jüdischen Gefolgschaft, die Gefahr der Häresie und des Abfalls vom rechten Glauben.
DOMRADIO.DE: Wie sind Sie denn darauf gekommen, sich diese Darstellungen genauer anzuschauen? Um die entfernten Knäufe auf den Judenhüten zu entdecken, muss man ja im Petersportal auf eine hohe Leiter steigen...
Schlüter: Die Entdeckung war, wenn man so will, ein Zufallsfund, der allerdings auf einer intensiveren Befassung mit der christlichen Sicht auf das Judentum in den Kölner Dom basiert. Das schärft gewissermaßen den Blick.
Seit 2017 bin ich Mitglied der Arbeitsgruppe "Der Dom und ‚die Juden‘", die auf Initiative der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit 2016 eingerichtet wurde und die notwendige Auseinandersetzung mit den antijüdischen Artefakten im und am Kölner Dom fördern und einem breiteren Publikum zugänglich machen will.
Daraus hervorgegangen sind bereits eine Ausstellung zum Thema im DOMFORUM, die ich zusammen mit Matthias Deml von der Dombauhütte redaktionell betreut habe, sowie ein thematischer Rundgang, der im Verlag Kölner Dom erschienen ist und an dem ich als Autor war.
Zudem habe ich als Referent für die Domführungen das Angebot von Führungen zu diesem Thema auf den Weg gebracht und wir sind gerade dabei, es als Angebot für Schulklassen weiterzuentwickeln.
DOMRADIO.DE: Könnten zukünftig auch noch weitere antijüdische Darstellungen gefunden werden?
Schlüter: Für den Dom sind wir schon sehr weit. Es ist nicht ausgeschlossen, dass man noch etwas findet, aber ich glaube, dass schon sehr gründlich hingeschaut worden ist.
Aber es gibt noch zahlreiche Kirchen in Deutschland und ganz Europa, wo es noch vieles zu entdecken gibt, wo man auch erschrocken ist über die Unterstellungen, die damit verbunden sind.
Wenn man auf das Ganze schaut, steht die Aufarbeitung meiner Meinung nach noch am Anfang und ist ein Thema, das eher auf Fachkreise beschränkt ist, aber nicht in einer breiten Öffentlichkeit. Und da wollen wir ansetzen mit unseren Führungen, unserer Internetseite und unseren Infomaterialien, dass sich jeder mit diesem Thema auseinandersetzen kann.