Pfadfinder arbeiten Missbrauch auf und bitten um Hinweise

Zeitnah und Unabhängig

Seit 2008 sind der Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg 64 Fälle sexualisierter Gewalt bekannt. Der Verband geht aber von einer weitaus höheren Zahl aus. Eine Studie soll nun Licht in das Dunkel bringen.

 © Ralf Adloff (DPSG)
© Ralf Adloff ( DPSG )

Die Deutsche Pfadfinderschaft Sankt Georg (DPSG) will mit einem unabhängigen Forschungsteam sexualisierte und spirituelle Gewalt innerhalb ihres Verbands aufarbeiten. Unter der Leitung von Erziehungswissenschaftlern der Universitäten Marburg und Gießen solle ermittelt werden, in welchem Ausmaß Machtmissbrauch, sexualisierte sowie spiritualisierte Gewalt in der DPSG stattgefunden hätten, teilte der Verband am Mittwoch in Mönchengladbach mit.

Dazu werden Betroffene sowie Verbandsmitglieder mit möglichen Hinweisen ermutigt, sich bei dem Forschungsteam zu melden. Betroffene sowie Zeugen seien aufgerufen, sich bei dem unabhängigen Forschungsteam zu melden. Es solle zeitnah eine unabhängige Anlaufstelle eingerichtet werden. Der Verband stellte am Mittwoch in Mönchengladbach den geplanten Aufarbeitungsprozess vor. Ein besonderer Fokus liege auf der Frage, inwiefern die Kultur und die Strukturen der Pfadfinder zu Machtmissbrauch beitragen.

Täter, Fehler und Konsequenzen

So soll beispielsweise geklärt werden, ob sexualisierte Gewalt Hand in Hand geht mit Formen des Machtmissbrauchs, die sich auf den gemeinsamen Geist der Pfadfinderschaft und deren religiöse Fundamente beziehen. Zudem soll erforscht werden, ob Missbrauch verschwiegen oder vertuscht worden ist und wenn ja, aus welchen Gründen. Geplant ist auch, den Umgang mit Betroffenen zu thematisieren. Außerdem sollen Maßnahmen zur Prävention und für ein sichereres Umfeld für Kinder- und Jugendliche im Verband entwickelt werden.

Lange Zeit habe es in der DPSG keine Kultur des Redens über diese Übergriffe gegeben, räumte der DPSG-Bundesvorsitzende Joschka Hench ein. Ziel des Forschungsprojekts sei es, Täter zur Verantwortung zu ziehen, Fehler zu erkennen und langfristig konsequenten Schutz für alle Mitglieder zu gewährleisten, erklärte DPSG-Kinder- und Jugendschutzreferentin Jasmin Krannich. Dazu sei die Beteiligung Betroffener an dem Forschungsprojekt entscheidend.

Aufarbeitung seit 2019

Seit 2008 sind dem DPSG-Bundesverband 64 Fälle von Grenzüberschreitungen bekannt, der Verband geht nach eigenen Angaben aber von einer weitaus höheren Zahl aus. Der Verband arbeitet seit 2019 an Aufklärung und Prävention sexualisierter und spiritualisierter Gewalt in den eigenen Reihen. Derzeit würden weitere Fälle gesammelt. Die Vertreter der DPSG verwiesen am Mittwoch auf bereits bestehenden Schutzmaßnahmen. Beispielsweise müssten Gruppenleitungen Präventionsschulungen durchlaufen und polizeiliche Führungszeugnisse vorlegen. Ergebnisse des Forschungsprojekts würden 2025 erwartet. 

Die leitenden Forschenden sind die Marburger Erziehungswissenschaftlerin Sabine Maschke und der Gießener Bildungsforscher Ludwig Stecher. Die Studie wurde beauftragt von einem 2022 gegründeten Beirat. Dieser begleitet und überprüft den verbandlichen Aufarbeitungsprozess. Dem Beirat gehören Betroffene ebenso an wie Vertreterinnen und Vertreter der verschiedenen Bereiche des Verbandes sowie externe juristische und psychologische Fachpersonen. Die DPSG finanziert die knapp 650.000 Euro teure Studie aus Eigenmitteln.

Verantwortungsvoll "Christ*innen"

Als Ziel ihrer Arbeit gibt die DPSG an, Jugendliche und junge Erwachsene in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen. Es gibt Gruppenstunden, Zeltlager und gemeinsame Aktivitäten für Kinder und Jugendliche in verschiedenen Altersgruppen. Die Pfadfinderinnen und Pfadfinder sollen lernen, "als verantwortungsbewusste Bürger*innen, als Christ*innen sowie als Mitglieder ihrer lokalen, nationalen und weltweiten Gemeinschaften zu handeln sowie Verantwortung für andere zu übernehmen".

Der DPSG gehören nach eigenen Angaben bundesweit rund 80.000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene an. Sie ist damit der größte Pfadfinderverband in Deutschland. Die Pfadfinderschaft ist Mitglied im Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ). Die rund 1.100 Ortsgruppen sind in der Regel an katholische Pfarrgemeinden angegliedert. 

Redaktioneller Hinweis: Die Schreibweise mit Genderstern im Zitat steht so im Original.

Quelle:
epd , KNA