Warum die Römer heutzutage keinen Karneval mehr feiern

"Man wollte das unterdrücken"

Schon das heidnische Rom der Antike gilt als Geburtsort des Karnevals. Die Päpste setzten die Tradition spektakulär fort. Doch dann verschwand der Karneval aus den Straßen Roms. Wie es dazu kam, weiß Vatikanexperte Ulrich Nersinger.

Die Ruinen des Forum Romanum in Rom / © S.Borisov (shutterstock)
Die Ruinen des Forum Romanum in Rom / © S.Borisov ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Fangen wir direkt einmal mit il Papa Carnevale an, Oddo di Colonna. Der hat 1417 den Stuhl Petri bestiegen. Wie hat Papst Martin V. denn den Karneval verändert? 

Vatikanexperte Ulrich Nersinger (EWTN)
Vatikanexperte Ulrich Nersinger / ( EWTN )

Ulrich Nersinger (Vatikanjournalist und Buchautor): Das Wirken von Papst Martin V. war entscheidend für den römischen Karneval und auch für unseren christlich-katholischen Karneval. 

Wir müssen bedenken, dass der Karneval, die Feste, die wir heute mit dem Karneval verbinden, eigentlich schon in der frühen Antike, bereits in der römischen Königszeit existierten. 

Das waren die sogenannten Saturnalien und Lupercalien. Diesen Festen wohnten schon viele Elemente inne, die wir heute noch aus dem Karneval kennen. Zum Beispiel, dass man das Soziale ein bisschen umgedreht hat, dass Knecht und Herr so ein bisschen die Rollen tauschen durften. 

Ulrich Nersinger

"Dies tat er alles so geschickt und wohlwollend, dass die Römer ihn Papa Carnevale, also Karnevalspapst, zu nennen begannen."

Es gab also schon im antiken Karneval viele Elemente, die wir heute noch mit unserem modernen Karneval verbinden. Aber natürlich war das Christentum erst einmal eher skeptisch gegenüber dem Karneval. 

Dann kam mit Martin V. ein Papst aus einem stadtrömischen Adelsgeschlecht, der versucht hatte, diesen Karneval in die richtigen Bahnen zu lenken, ihn regelrecht zu "taufen". 

Er hat den Römern dann auch immer mehr Zeit gegeben diese Feste zu feiern. Dies tat er alles so geschickt und wohlwollend, dass die Römer ihn Papa Carnevale, also Karnevalspapst, zu nennen begannen.

DOMRADIO.DE: Papst Martin V. hat sogar eigens für den Karneval besondere Rennveranstaltungen eingeführt. Stimmt es, dass man das auch heute noch an den Straßennamen ablesen kann?

Nersinger: Ja, wenn Sie heute nach Rom kommen, sei es als Pilger oder als Tourist, dann sehen Sie in der Innenstadt vor allem die Via del Corso – und die Via del Corso ist aus diesen Karnevalszonen entstanden. Das waren sogenannte corsi, also Läufe, die man veranstaltet hat. Auch diese Rennen hatten natürlich heidnische Vorbilder. 

Blick auf die Via del Corso in Rom / © Shchipkova Elena (shutterstock)
Blick auf die Via del Corso in Rom / © Shchipkova Elena ( shutterstock )

Später hat man dann aber nicht nur Tiere laufen lassen, sondern man hat dann, vor allem unter dem aus Venedig – also einer anderen italienischen Karnevalsstadt – stammenden Papst Paul II., Pietro Barbo, diese Läufe verfeinert und fortlaufend erweitert: Man hat Menschen laufen lassen, verschiedene Altersgruppen, verschiedene Geschlechter. Die corsi galten damals als typisch römisches Ereignis.

DOMRADIO.DE: Wenn wir jetzt hier in Deutschland am Rand des Zugs stehen und "Kamelle" und "Strüssje" rufen, dann ist das ja eine ziemlich gemächliche Angelegenheit. Aber in Rom war das tatsächlich wesentlich rasanter mit diesen vielen Rennen. Ich stelle mir vor, das war bestimmt auch ein bisschen gefährlich, oder? 

Nersinger: Ja, wenn man zum Beispiel einmal Johann Wolfgang von Goethes "Italienische Reise" zur Hand nimmt, kann man unter anderem eine minutiöse Schilderungen eines solchen Rennens nachlesen. 

Ein Goethe-Denkmal in der römischen Parkanlage Villa Borghese / © Takashi Images (shutterstock)
Ein Goethe-Denkmal in der römischen Parkanlage Villa Borghese / © Takashi Images ( shutterstock )

Goethe hatte mit ungewohnter Fröhlichkeit daran teilgenommen, aber auch genau dargestellt, dass das alles nicht so ganz einfach war, wenn am Anfang die Päpstlichen Dragoner durch die Straßen ritten, um die Leute zurückzudrängen, und man an den Seiten Barrikaden aufbaute, damit die Zuschauer nicht von Rennpferden verletzt werden. 

DOMRADIO.DE: Das ist auf jeden Fall ein Lektüretipp: Goethes "Italienische Reise". Da kann man alles über den Karneval in Rom nachlesen. Waren die Menschen damals denn auch verkleidet, haben sie auch etwas geworfen?

Nersinger: Das gab es auch. Wir wissen sogar, dass es Wagen gab, die durch die Stadt gefahren sind. Es wird auch von einer Art Konfetti berichtet, das geworfen wurde. Wir wissen auch, dass bestimmte Lebensmittel, eher Süßigkeiten, also dolci, geworfen wurden. 

Wir wissen auch, dass zum Beispiel bestimmte Gruppierungen in der Bevölkerung dann in Kostümen herumliefen – etwa einer der Päpstlichen Thronassistenten aus einem der Adelsgeschlechter, genauso aber auch andere Mitglieder des päpstlichen Hofes. Man war also wirklich voll in diesen Karneval eingebunden. 

DOMRADIO.DE: Sie haben es eben schon erwähnt: Der Karneval hat ja auch immer dieses Element der Umkehrung sozialer Verhältnisse und Machtstrukturen. Hat das auch damals unter den Päpsten eine Rolle gespielt? 

Nersinger: Ja, und man war natürlich frei, Späße mit dem Adel oder mit der einfachen Bevölkerung zu machen. Dafür wurde man dann nicht bestraft. Diese Späße mussten natürlich innerhalb gewisser Grenzen verbleiben. 

Man hat diese vorübergehende Umkehrung der Verhältnisse aber geduldet und sogar auch durchaus mit Zustimmung gesehen. Das ganze war nämlich einerseits auch eine Vorbereitung auf die Fastenzeit und andererseits ein Beitrag zum guten Verhältnis der Volksgruppen untereinander. 

DOMRADIO.DE: Waren es dann auch die Päpste Martin V. und Paul II., die den Karneval besser ins Kirchenjahr integriert hatten?

Nersinger: Sie verbanden den Karneval mit der Fastenzeit. Was die Bedeutung des italienischen Wortes carnevale anbetrifft, gibt es ja verschiedene Theorien. 

Aufgeschlagenes Kapitel zur Fastenzeit vom Aschermittwoch / © Harald Oppitz (KNA)
Aufgeschlagenes Kapitel zur Fastenzeit vom Aschermittwoch / © Harald Oppitz ( KNA )

Eine davon lautet, dass carne für Fleisch steht und vale für Lebewohl, der Karneval also das fastenbedingte Lebewohl ans Fleisch markiert. Der Abschied vom Karneval führt im Kirchenjahr dann direkt zum Aschermittwoch und in die Fastenzeit. 

DOMRADIO.DE: Hier bei uns im Rheinland ist es am Dienstag vor Aschermittwoch so, dass dann ein Nubbel verbrannt wird, der alle Sünden mit sich verrauchen lässt. Da hat man sich im alten Rom etwas anderes einfallen lassen, nämlich einen Brauch, für den man in die Kirche gehen musste.

Nersinger: Da waren die Römer etwas frommer als die Rheinländer. Am Abend des Karnevalsdienstags versammelte man sich und ging in die Kirchen. Die Glocken läuteten und luden in die Kirche ein. Jeder Teilnehmer dieses Brauchs führte kleine Kerzen, die moccoletti, mit sich und zündete sie an. 

Dann ging es so weiter, dass man sich gegenseitig die Kerzen ausbließ. Das hatte Zeichencharakter: Jetzt ist die Zeit der Freude, des Trubels, der Heiterkeit vorbei und wir gehen zum Aschermittwoch über. Dieses Fest nannte sich Festa dei moccoletti.

DOMRADIO.DE:  Heute spielt der Karneval – mit wenigen Ausnahmen – weder im Vatikan noch in Italien überhaupt eine große Rolle. Warum ist das verloren gegangen? 

Ulrich Nersinger

"Karneval galt als eine Belustigung, die man in einem modernen Staat nicht haben wollte."

Nersinger: Das hängt ein wenig mit dem Ende des alten Kirchenstaates zusammen. Wir hatten bis 1870 noch immer eine große Karnevalstradition im Kirchenstaat, im Vatikan. 

Aber diese Tradition ging dann mit mit dem Verlust des Kirchenstaates, mit dem neuen italienischen Einheitsstaat verloren, weil das Königreich Italien in dieser Angelegenheit so etwas wie – das wage ich jetzt mal zu sagen – eine preußische Mentalität hatte. 

Der Karneval galt als eine Belustigung, die man in einem modernen Staat nicht haben wollte. Ich sehe da sehr, sehr viele Parallelen zum Schicksal der Rheinländer in der preußischen Zeit. Man wollte das unterdrücken und das ist auch zu einem großen Teil gelungen. 

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Karneval

Die "närrischen Tage" vor der am Aschermittwoch beginnenden Fastenzeit haben verschiedene Namen: Das meist in ursprünglich katholischen Gebieten veranstaltete Brauchtum heißt im Rheinland Karneval, in Mainz und Umgebung Fastnacht, im schwäbisch-alemannischen Gebiet Fasnet. Fosnat nennen es die Franken, im bayrisch-österreichischen Raum wird Fasching gefeiert. Seit dem zwölften Jahrhundert ist das Wort "Fastnacht" im Mittelhochdeutschen bekannt. Das Wort Karneval stammt wahrscheinlich vom Italienischen "carne vale", was "Fleisch, lebe wohl" bedeutet.

So farbenfroh sind die Düsseldorfer Jecken  / © Federico Gambarini (dpa)
So farbenfroh sind die Düsseldorfer Jecken / © Federico Gambarini ( dpa )
Quelle:
DR