Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) hat die evangelische Kirche und die Diakonie erneut zur Aufarbeitung von Missbrauchsfällen aufgefordert. Die Ergebnisse der vor rund drei Wochen vorgestellten Missbrauchsstudie dürften nicht nur Anlass sein, Betroffenheit zu bekunden, erklärte Paus am Dienstag in Berlin.
Stattdessen müsse es nun darum gehen, bestehende Konzepte zur Aufarbeitung, Intervention und Prävention systematisch, nachdrücklich und schnell zu verbessern, so Paus. Sie äußerte sich anlässlich der Amtseinführung des neuen Diakonie-Präsidenten Rüdiger Schuch in Berlin.
Studie der EKD
Die Studie für die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und Diakonie war Ende Januar von unabhängigen Forschern vorgestellt worden. Demnach fanden sich Hinweise auf 2.225 Betroffene und 1.259 Beschuldigte in kirchlichen Akten für die Jahre 1946 bis 2020. Allerdings gehen die Forscher von einer sehr viel höheren Dunkelziffer aus. Zudem stellten sie Kirche und Diakonie im Umgang mit Missbrauchsfällen ein schlechtes Zeugnis aus.
Schuch ist seit dem 1. Januar Präsident der Diakonie Deutschland. Er trat die Nachfolge von Ulrich Lilie an, der in den Ruhestand gegangen ist. Schuch leitet seit 2020 das Evangelische Büro NRW in Düsseldorf. Zuvor war er Vorstandsvorsitzender der Evangelischen Perthes-Stiftung in Münster. Von 2006 bis 2013 stand der Theologe als Superintendent an der Spitze des Evangelischen Kirchenkreises Hamm und gehörte in dieser Zeit mehreren diakonischen Aufsichtsgremien an. Der Theologe ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. Die Diakonie hat als evangelischer Wohlfahrtsverband mehr als 1,3 Millionen haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter.
"sündhafte Verstrickungen"
Die Ratsvorsitzende der (EKD), Bischöfin Kirsten Fehrs, betonte ebenfalls mit Blick auf die Studie, diese spiegele nur allzu heftig, dass Kirche und Diakonie schuldig geworden seien. Es gelte, sich kritisch mit Strukturen und Haltungen auseinanderzusetzen. Schuch selbst erklärte, dass sich in Kirche und Diakonie "Leitende, bei weitem nicht alle, aber doch erschreckend viele in sündhafte Verstrickungen begeben" hätten. Sie seien "der diabolischen Stimme" gefolgt.
"Das Ansehen und der Ruf der Institutionen Diakonie und Kirche sollten um jeden Preis geschützt werden", so Rüdiger Schuch. Doch damit "stürzten sie sich selbst, die Kirche und die Diakonie in die Tiefe der Unaufrichtigkeit und Lüge, weil sie dachten, sie werden schon irgendwie aufgefangen, weil sie dachten, sie werden schon irgendwie durchkommen damit". Es wurde "verheimlicht, es wurde vertuscht, infrage gestellt und es wurde verleumdet", erklärte der Diakonie-Präsident.
Ebenfalls am Dienstag hatte auch der Sprecher der Betroffenenvertretung, Detlev Zander, zügige Konsequenzen gefordert. Nur wenn die Landeskirchen und die diakonischen Landesverbände genügend Geld und Personal einsetzten und sich endlich zu einheitlichen Standards bekennten, könnten Kirche und Diakonie den Bedürfnissen betroffener Menschen gerecht werden, betonte Zander.