Doch diese Vorgehensweise des Leipziger Thomaskantors war kein Plagiat im heutigen Sinne, sondern damals üblich.
Denn Kopie ist eine Form der Anerkennung – diesen Satz kann man getrost auch auf den Bereich der geistlichen Musik übertragen. Giovanni Battista Pergolesi ist ein berühmter Komponist am Übergang vom Barock zur Klassik. Er schrieb nur wenige Werke, weil er mit nur 26 Jahren am 16. März 1736 starb.
Doch vor allem seine Vertonung des Stabat Mater ist bis heute sehr bekannt. Durch seinen frühen Tod setzte aber schnell eine Legendenbildung ein, die sogar dazu führt, dass ihm Werke zugeschrieben wurden, die er gar nicht geschrieben hatte.
Keine Kopie, eher Bearbeitung
Johann Sebastian Bach ist da einen anderen Weg gegangen. Ganz bewusst griff er zu dem Stabat Mater des Italieners und arbeitete das Werk für seine Bedürfnisse als Thomaskantor in Leipzig um. Deswegen ist die Bach‘sche Version strenggenommen keine Kopie sondern eine Bearbeitung.
Er übernahm in weiten Teilen die Musik, änderte den Text aber komplett ab. Bach stellte teilweise die Sätze um und erweiterte die Besetzung des Orchesters. Die Viola, die im Original weitgehend parallel mit dem Bass spielt, erhält bei ihm aber eine neue, obligate Stimme. Insgesamt überzeugt das Ergebnis: das Original ist noch klar zu erkennen, aber Bach gelingt es, den neuen Text durch die bereits vorhandene Musik zu deuten.
Der Thomaskantor verwendete eine deutsche freie Übersetzung von Psalm 51. "Tilge Höchster, meine Sünden“, so heißt die Komposition. Thema ist der Mensch, der sich seiner Schuld bewusst ist und bei Gott um Verzeihung bittet.
Im Radioprogramm von DOMRADIO.DE erklingt am Sonntagabend ab 20 Uhr dieses Werk zusammen mit anderen Kompositionen zur Fastenzeit als Wiederholung einer Sendung aus dem Jahr 2021.