Theologe sorgt sich um Bedeutungsverlust der Sakramente

"Ein Bund fürs Leben"

Skandale und Strukturdebatten überlagern zunehmend die Kernbotschaft von Kirche. Dabei sind gerade die Sakramente ein ganz wesentlicher Bestandteil des Glaubens. Trotzdem geht deren Bedeutung immer mehr verloren.

Mit dem Bußsakrament tun sich die Menschen zunehmend schwer / © Beatrice Tomasetti (DR)
Mit dem Bußsakrament tun sich die Menschen zunehmend schwer / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO:DE: In Ihrer Gemeinde bieten Sie ab kommenden Donnerstag Glaubensgespräche zu den Sakramenten Beichte, Taufe, Eucharistie und Krankensalbung an. Was ist Ihnen daran so wichtig?

Pfarrer Axel Hammes startet in der Fastenzeit eine Gesprächsreihe über die Bedeutung der Sakramente / © Beatrice Tomasetti (DR)
Pfarrer Axel Hammes startet in der Fastenzeit eine Gesprächsreihe über die Bedeutung der Sakramente / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Pfarrer Dr. Axel Hammes (Subsidiar in Bensberg/Moitzfeld und Geistlicher Berater der Thomas-Morus-Akademie): Mein Eindruck ist, dass wir an den Fundamenten unseres Glaubens zu wenig arbeiten. Was dagegen ständig Schlagzeilen produziert, sind Streitigkeiten um den Synodalen Weg oder schier endlos dauernde und daher ermüdende Diskussionen um neue Strukturen für unsere Pastoral, deren Ergebnisse nicht absehbar sind und von denen die Menschen nicht das Gefühl haben: Das ist ein guter Rahmen, in dem sich das Leben der Kirche entfalten kann. Wo bleibt die geistliche Dimension bei einem Prozess wie #ZusammenFinden oder – wie das früher einmal hieß – dem Pastoralen Zukunftsweg? Nicht nur ich vermisse das schmerzlich.

Viel zu selten stellen wir uns die Frage, wofür wir eigentlich den Rahmen neu abstecken, was in der Kirche unbedingt lebendig bleiben und heilig gehalten werden soll, was die Menschen von der Kirche erwarten dürfen und wofür sie denn in diesen von Krisen geschüttelten Zeiten steht. Von daher ist es gerade jetzt so wichtig, an die Wurzeln des Glaubens zu gehen, diese zu bedenken und hoffentlich auch wiederzubeleben. Denn eine Vertiefung dessen, was die Sakramente eigentlich bedeuten, findet ja im normalen Gemeindeleben kaum statt. Wir haben die Katechese für die Erstbeichte, die Erstkommunion und die Firmung. Allenfalls kommen bei der Ehevorbereitung noch ein paar Spurenelemente vor oder wenn Eltern ihre Kinder zur Taufe anmelden. Aber eigentlich ist das dann immer ein sehr punktuelles Geschehen und betrifft meist nicht die Gemeinde als ganze. Aber die Kirche spendet nicht nur Sakramente, sie ist zuerst selbst ein Sakrament.

DOMRADIO.DE: Es geht bei der Sakramentenspendung um die Vergegenwärtigung der unsichtbaren Wirklichkeit Gottes. Wie kann man mit einfachen Worten erklären, was das bedeutet?

Das kostbare Chrisamöl kommt bei der Taufe, der Firmung, der Priesterweihe und der Krankensalbung zum Einsatz / © Beatrice Tomasetti (DR)
Das kostbare Chrisamöl kommt bei der Taufe, der Firmung, der Priesterweihe und der Krankensalbung zum Einsatz / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Hammes: Für viele zählt nur noch die Wirklichkeit, die man messen, zählen, mit den Sinnen greifen und überprüfen kann. Die unsichtbare Wirklichkeit mit ihren Zeichen, Symbolen und dem letztlich Unaussprechlichen dagegen bekommt immer weniger Raum. Das griechische Wort "mysterion" verweist auf das, wofür man keine Worte findet, was einen auch verstummen lässt. Aber darum geht es ja gerade: um ein "Geheimnis", das in seinem Kern verborgen und nicht bis ins Letzte auszuloten bleibt, um einen letzten und tiefsten Grund.

Axel Hammes

"Wozu ist ein Mensch berufen? Geht es nur um eine tadellose Leistungsbilanz? Oder um die Statussymbole, die ich mir erarbeitet habe und auf die auch wir Kleriker manchmal mit einem merkwürdigen Stolz verweisen?"

Vor allem Grenzerfahrungen bringen uns in Kontakt mit diesem Bereich der Wirklichkeit, und wir kennen die Sehnsucht danach. Wir geben ihm aber nach meinem Eindruck viel zu wenig Platz. Wozu ist ein Mensch berufen? Geht es nur um eine tadellose Leistungsbilanz? Oder um die Statussymbole, die ich mir erarbeitet habe und auf die auch wir Kleriker manchmal mit einem merkwürdigen Stolz verweisen? Das Eigentliche unseres Lebens geschieht schließlich immer in Beziehungen, in dem Dazwischen, wo Worte nur Platzhalter für etwas sehr viel Größeres sind: für das, was bleibt und den Tod überdauert. Deshalb setzen wir das Symbol oft in einen Gegensatz zu dem, was tatsächlich vorhanden ist.

In der alten Welt aber war das Symbol ursprünglich eine tiefere Wirklichkeit, die das Sichtbare und das Unsichtbare, das Zeitliche und das Ewige, das Menschliche und das Göttliche, das Himmlische und das Irdische zusammenbringt. Und das tut ein Sakrament: etwas Sichtbares mit etwas Unsichtbarem zu einer neuen Einheit zusammenfügen. Und daraus erwächst für mich eine Zusage, ein Versprechen, eine Verheißung und tatsächlich auch eine "objektive" Wirkung. Mein irdisches Leben wird geöffnet für die Weite von Gottes Himmel. Subjektiv mag ich das zunächst gar nicht erleben, weil es sich im Verlauf des Lebens bewahrheiten und bewähren soll. Sakramente sind daher ein vielversprechender Anfang, ein Startschuss. Beispielsweise ist bei der Taufe das Wasser, das Symbol für Leben schlechthin, Sinnbild und wirksames Zeichen für das neue Leben, das Gott dem Menschen schenken will. In diesem Zeichen verbinden und verbündet sich Gott mit uns. Wir treten sozusagen in eine Lebensgemeinschaft mit ihm ein, in einen "Bund fürs Leben".

DOMRADIO.DE: Allen sieben Sakramenten ist gemein, dass sie die Menschen stärken wollen. Dabei scheint gerade das Buß- oder Versöhnungssakrament so ziemlich aus der Mode gekommen zu sein. Dem modernen Menschen fällt es zunehmend schwer, zu seinen Schwächen zu stehen und Schuld zu bekennen. Woran liegt das?

Beichtstühle kommen immer mehr aus der Mode / © Beatrice Tomasetti (DR)
Beichtstühle kommen immer mehr aus der Mode / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Hammes: Die Kirche selbst ist lange Zeit nicht gut mit dem Beichtsakrament umgegangen – Stichwort "Tarifbuße": Du betest zehn Vaterunser oder fünf "Gegrüßet seist du, Maria" für Dein Vergehen. Wird meine unveräußerliche Verantwortung da noch ernst genommen? Wer soll denn dabei einsehen, dass es um ein Zeichen ehrlicher Reue geht und den Vorsatz, mein Leben von nun an anders zu führen, umzukehren und im Rahmen dessen, was ich vermag, etwas auch wieder gut zu machen? Gott aber ist kein Erbsenzähler, der meine Schuld bürokratisch verrechnet gegen das, was ich zur Tilgung zu bezahlen habe. Trotzdem hat sich ein solches Verständnis bis heute halten können.

Axel Hammes

"Man emanzipiert sich von den Institutionen, ist sein eigener Herr – auch moralisch. Ich entscheide selber, woran ich mich halten will. (…) Das eigene Gewissen empfindet dann die Zwischeninstanz der Kirche eher als störend."

Und dann gibt es natürlich auch den geistlichen Missbrauch, der sich leider stark mit der Beichte verbindet. Ein dritter Aspekt: Man emanzipiert sich von den Institutionen, ist sein eigener Herr – auch moralisch. Ich entscheide selber, woran ich mich halten will. Und zu einer solchen Emanzipation gehört natürlich auch, dass man der Lossprechung durch einen Diener der Kirche nicht mehr bedarf. Jeder kann das halt auch mit seinem Gott unmittelbar persönlich ausmachen. Das eigene Gewissen empfindet dann die Zwischeninstanz der Kirche eher als störend.

Und dann ist es in der Tat auch so, dass sich die Menschen zunehmend mit dem Scheitern, den Grenzen, mit Schuld, dem Eingestehen von Versagen schwertun, weil sie denken, dass sie damit ihr Gesicht verlieren – auch vor sich selbst. In einer Gesellschaft, die so auf Effizienz und Perfektion gedrillt ist und das Bewusstsein immer stärker kultiviert, Du kannst aus Dir alles machen, was Du willst – in der darf man sich selbst eben keine Blöße geben. Wenn das autonome Subjekt sich vollkommen selbst entwerfen kann und soll, dann wird es mit der Last seines Scheiterns und seiner Schuld hoffnungslos allein gelassen. Die Beichte könnte von dieser Last heilsam befreien.

DOMRADIO.DE: Auch das Sakrament der Krankensalbung – früher auch "letzte Ölung" genannt – erschließt sich vielen nicht mehr. Vielmehr geht damit die Angst einher, dass nun der Tod naht. Können Sie mit diesem Missverständnis aufräumen?

Die Krankensalbung bedeutet Stärkung und nicht, bald sterben zu müssen / © Beatrice Tomasetti (DR)
Die Krankensalbung bedeutet Stärkung und nicht, bald sterben zu müssen / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Hammes: Viele Gemeinden feiern inzwischen Gottesdienste, in denen man gemeinschaftlich die Krankensalbung empfangen kann. Das halte ich für ein wichtiges Angebot. Denn es geht um den Zuspruch und um Stärkung durch Salbung. Gerade kranke Menschen sollen spüren, dass sie in ihrer Hinfälligkeit und schweren gesundheitlichen Krise nicht alleine sind. Sie haben den Beistand Gottes und den Beistand der Kirche auf ihrer Seite. Diese Salbung erinnert ja auch an das, was am Anfang unseres Glaubensweges stand: an die Taufe und dass dieses darin geschenkte neue Leben mich auch in einer schweren Phase umhüllt und auffängt. Die Würde der Gotteskindschaft leuchtet gerade im verwundeten Leben besonders auf.

Nein, die Krankensalbung ist kein Sterbesakrament, es versiegelt nicht für den Sarg, sondern verspricht den ernsthaft Kranken Stärkung an Leib und Seele. Es ist eben keine "letzte" Ölung, nach der unausweichlich nur noch der Tod kommt. Im Gegenteil: Nach diesem Sakrament kann man immer wieder fragen, wenn man in eine solche dunkle Stunde geführt wird, zumal es auch mehrmals gespendet werden kann.

Pfarrer Axel Hammes will die Sakramente wieder mehr ins Bewusstsein der Gläubigen bringen / © Beatrice Tomasetti (DR)
Pfarrer Axel Hammes will die Sakramente wieder mehr ins Bewusstsein der Gläubigen bringen / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Ihrem Selbstverständnis nach leben Katholiken doch eigentlich aus den Sakramenten heraus. Haben Sie eine Idee, wie man zu dieser Form des gelebten Glaubens wieder einen neuen Zugang finden kann?

Axel Hammes

"Die Kirche gibt es nicht um ihrer selbst willen, sondern als das große unübersehbare Heilszeichen für Gott, der sich aus dieser Welt nicht wegdenken und auch nicht ausradieren lässt, der sich mit ihr verbinden und verbünden will."

Hammes: Die Kirche muss selber wieder das sein, was sie von sich behauptet: nämlich ein Sakrament. Das heißt, sie muss sich fragen: Ist alles, was wir tun und darstellen, transparent für die Wirklichkeit Gottes, die wir ganz großschreiben und für die wir unendlich viel Platz haben? Haben wir alle einen Sensus für das Geheimnis des Lebens und auch des Glaubens? Strahlt dieses Geheimnis durch das, was wir sagen und tun, hindurch? Das Gesetzbuch der Kirche erkennt ganz am Ende als höchstes Gebot, das "Heil der Seelen". Wie konsequent richtet sich das Handeln der Kirche wirklich darauf aus, nämlich nicht der Selbsterhaltung des Apparates zu dienen, sondern dem Glück der Menschen, das Gott für sie im Sinn hat? Die Kirche gibt es nicht um ihrer selbst willen, sondern als das große unübersehbare Heilszeichen für Gott, der sich aus dieser Welt nicht wegdenken und auch nicht ausradieren lässt, der sich mit ihr verbinden und verbünden will.

Selbstverständlich kann und soll jeder Einzelne etwas tun. Vielleicht probiere ich es einfach nochmal mit der Beichte. Learning by doing – das gilt auch für die Sakramente: Nur was ich erfahre und erlebe, worin ich mich einübe, das wird auch eine Spur in mir hinterlassen, mich weiterführen, mir zu denken geben und mich wachsen lassen. Die Sakramente sind eine Wirklichkeit und nicht bloße Theoriegebilde. 

Geschmücktes Weihwassergefäß: In der Osternacht feiern die Gläubigen Tauferneuerung / © Beatrice Tomasetti (DR)
Geschmücktes Weihwassergefäß: In der Osternacht feiern die Gläubigen Tauferneuerung / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Wozu raten Sie?

Hammes: Die Sakramente stecken in dem Maß in der Krise, wie wir uns mit dem Gebet schwertun, dem persönlichen wie dem in Gemeinschaft. Daher brauchten sowohl die Gemeinden als auch der Einzelne Gebetsschulen. Denn Beten setzt Haltung voraus. Und man muss sich gegenseitig dabei unterstützen. Das Gebet ist die Basis dafür, dass ich überhaupt für die Sakramente empfänglich werde. Auch die Erwachsenenkatechese kommt in der Kirche viel zu kurz. Denn wir sind mit dem Glauben doch nie fertig. Im Glauben kann und sollte jeder von uns beständig wachsen wollen. Das bedeutet aber auch, dass ich mich mit meinem Glauben weiter auseinandersetzen, mich bilden muss und ich immer wieder Impulse brauche, damit ich dem Geheimnis auf der Spur bleibe – ein Leben lang.

Das Interview führte Beatrice Tomasetti.

Das Sakrament der Beichte

Die Beichte gehört zu den sieben Sakramenten in der katholischen Kirche. Der Gläubige stellt sich in diesem Sakrament aufrichtig seinen Sünden, bekennt diese vor Gott und sie werden ihm schließlich vergeben, sofern er bereut. Darum wird das Bußsakrament auch als "Feier der Versöhnung" bezeichnet. Der Mensch übernimmt auf diese Weise die Verantwortung für sein eigenes Handeln und öffnet sich neu Gott sowie der Gemeinschaft der Kirche.

Beichte: Blick durch ein Holzgitter auf einen Priester mit violetter Stola in einem Beichtstuhl / © Harald Oppitz (KNA)
Beichte: Blick durch ein Holzgitter auf einen Priester mit violetter Stola in einem Beichtstuhl / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR