Ist ein "Pfarrer im Nebenberuf" künftig vorstellbar?

"Sollten wir zumindest mal ausprobieren"

Wie sieht die Kirche der Zukunft aus? Ist Seelsorge auch von Pfarrern im Nebenberuf vorstellbar? Der Ibbenbürener Pfarrer Hartmut Niehues hält dies nicht für ausgeschlossen. Es käme auf den Versuch an. Aber unter anderen Vorzeichen.

Liturgische Gewänder / © Francesco Pistilli (KNA)
Liturgische Gewänder / © Francesco Pistilli ( KNA )

DOMRADIO.DE: Die pastoralen Räume werden größer und die Priester weniger. Bleibt noch Zeit für echte Seelsorge?

Hartmut Niehues, ehemaliger Regens des Priesterseminars im Bistum Münster. / © Martin Schmitz (KNA)
Hartmut Niehues, ehemaliger Regens des Priesterseminars im Bistum Münster. / © Martin Schmitz ( KNA )

Pfarrer Hartmut Niehues (St. Mauritius, Ibbenbüren und vormaliger Regens des Bistums Münster): Als ich mich in meiner jetzigen Pfarrei dem Seelsorger-Rat, dem Pfarrei-Rat und dem Kirchenvorstand vorgestellt habe, hat mich eine Frau gefragt, wie ich dafür sorgen wolle, dass die Menschen wieder zurück in die Kirche kämen. Meine Antwort war: "Durch sie". 

Genau das ist mein Ansatzpunkt, wenn es um Seelsorge geht. Als Getaufte sind wir alle Seelsorgerinnen und Seelsorger. Wir müssen dieses Bewusstsein, dass wir füreinander Seelsorge machen, bei allen Katholikinnen und Katholiken stärken.

DOMRADIO.DE: Haben Sie denn nicht weniger Zeit für Seelsorge, als es vor 50 Jahren der Fall war?

Niehues: Die Frage ist, was wir unter Seelsorge verstehen. Im 19. Jahrhundert bedeutete Seelsorge die Versorgung mit Sakramenten. Wenn ich auf die Sakramente schaue, muss ich feststellen, dass auch unter den Katholiken die Nachfrage nach Sakramenten sehr gering geworden ist.

Im 20. Jahrhundert hat sich die Bedeutung der Seelsorge eher zu individueller Begleitung und Gesprächssituationen gewandelt. Wenn ich mir die Nachfrage nach Begleitung anschaue, gibt es dies zwar, aber das ist durchaus zu bewältigen.

DOMRADIO.DE: Welche Rolle werden und müssen Laien in dem Zusammenhang übernehmen?

Hartmut Niehues

"Jeder Katholik sollte wissen, in welcher Weise sie in den verschiedenen Lebenssituationen gefragt sind."

Niehues: Jeder Katholik sollte wissen, in welcher Weise sie in den verschiedenen Lebenssituationen gefragt sind. Was habe ich als getaufter Christ, als getaufte Christin für eine Aufgabe bei einem Trauerfall in der Familie, im Bekanntenkreis, am Arbeitsplatz oder in der Nachbarschaft?

Wie verhält man sich als Katholik, als Katholikin? Damit die Gläubigen das wissen, brauchen wir Priester, Diakone sowie Pastoralreferentinnen und -referenten, die die Katholiken dafür fit machen, um in seelsorglichen Situation das Richtige zu tun und als Seelsorgerin und Seelsorger füreinander da zu sein.

DOMRADIO.DE: Beim Reformprozess Synodaler Weg gibt es zum einen den Vorschlag, den Zölibat zu überdenken. Zum anderen ist von Pfarrern im Nebenberuf die Rede. Wären das Zukunftsmodelle, mit denen Sie etwas anfangen können?

Hartmut Niehues

"Dieser Priester (im Nebenberuf) tut seinen Dienst genauso wie die sogenannten Ehrenamtlichen."

Niehues: Ich kann mir das sehr gut vorstellen. Zumindest sollten wir es mal ausprobieren. Das geht aber nicht in den derzeitigen Strukturen der Pfarrei. Das Thema ist auch eine Frage von Glaubwürdigkeit. Menschen, besonders die, die von der Gemeinde entfernter sind, sehen Hauptamtliche und denken sich, dass die von der Kirche ihr Geld bekommen und deshalb auch so reden müssen.

Ein Priester, der zum Beispiel als Pfarrer tätig ist, aber seinen Lebensunterhalt über eine Erwerbstätigkeit außerhalb der Kirche verdient, kann einen ganz neuen Zugang und eine neue Glaubwürdigkeit ermöglichen. Dieser Priester tut seinen Dienst genauso wie die sogenannten Ehrenamtlichen.

DOMRADIO.DE: Welchen Stellenwert, welche Bedeutung hat die Seelsorge für Sie persönlich?

Niehues: Für mich ist Seelsorge ein wesentlicher Bestandteil des christlichen Tuns, weil wir dadurch Zeugnis für Christus geben. Die Menschen haben in der Begegnung mit Jesus Christus erlebt, dass Gott unser Heil will. Genau das ist auch unsere Aufgabe. 

Aber das ist nicht nur die Aufgabe für diejenigen, die dafür bezahlt werden, sondern die Aufgabe aller als getaufte Christinnen und Christen. Wir sollen den Menschen deutlich machen und sie erfahren lassen, dass der Gott, an den wir glauben, ein Gott ist, der das Heil für uns Menschen will.

Hartmut Niehues

"Man kann und muss sich für die Seelsorge Freiräume organisieren."

DOMRADIO.DE: Als Regens des Bistums Münster hatten Sie wahrscheinlich weniger Zeit für direkte Seelsorge. Wie ist es, wieder als Pfarrer in einer Gemeinde zu arbeiten?

Niehues: Ich sehe das nicht so dramatisch. Natürlich gibt es Zeiten, in denen eine Gremiensitzung auf die nächste folgt, aber es ist auch immer eine Frage der Organisation. Man kann und muss sich für die Seelsorge Freiräume organisieren.

Ich muss als Pfarrer nicht alle Verwaltungsaufgaben selbst machen. Dafür gibt es Verwaltungsreferenten und -referentinnen sowie eine Verwaltungsleitung.

Dafür muss ich als Priester Dinge abgeben. Das ist auch ein Stück Machtverzicht. Es ist in dieser Zeit aber auch angesagt, solche Dinge abzugeben, um mehr Freiraum für andere Aufgaben zu haben.

Das Interview führte Tobias Fricke.

Quelle:
DR