DOMRADIO.DE: Sie waren Anfang März mit Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki, der auch der Präsident des Deutschen Vereins vom Heiligen Lande (DVHL) ist, in Israel. Wie ist die Atmosphäre dort? Wie viel bekommt man von dem Krieg in Gaza mit?
Matthias Vogt (Generalsekretär des Deutschen Vereins vom Heiligen Lande): Die Atmosphäre ist weiterhin sehr angespannt, vor allem zwischen jüdischen und arabischen Israelis. Beide Gruppen misstrauen sich. Das hat uns auch der Bischof in Galiläa, im Norden des Landes, wo sehr viele israelische Araber leben, bestätigt, dass man sehr besorgt ist, wie es in den nächsten Jahren weitergehen wird.
DOMRADIO.DE: Kann man sich denn dort im Moment frei bewegen? Wie reist man gerade durch Israel unter den aktuellen Bedingungen?
Vogt: Es gibt zwar eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes, aber innerhalb Israels kann man sich ohne größere Gefahr frei bewegen. Wir waren natürlich nicht in der Nähe des Gazastreifens, wo es noch relativ häufig Raketenangriffe der Hamas gibt.
Aber wir waren im Norden nahe der libanesischen Grenze, an einem Ort, der nur sieben Kilometer von der Grenze entfernt ist und wo regelmäßig Artilleriefeuer zu hören sind. Dort sind die Menschen vor allem in Sorge, weil sie nicht wissen, ob es noch zu einer großen Eskalation zwischen Israel und der Hisbollah kommt. Und alle fragen sich natürlich, wie lange dieser gegenseitige Raketenbeschuss noch weitergeht.
DOMRADIO.DE: Sie waren in Israel, um als Heilig-Land-Verein ihre Partner zu treffen. Was war für Sie die eindrücklichste Begegnung dieser Reise?
Vogt: Kardinal Woelki und ich waren in Zababdeh im Westjordanland, eines der wenigen fast ausschließlich christlichen Dörfer Palästinas. Dort haben wir die Gemeinde getroffen, die einen sehr engagierten Pfarrer mit vielen Jugendgruppen und einer großen Schule hat.
Der Mut der Jugendlichen, wie sie die aktuelle Situation meistern, das Glaubensleben stärken und Perspektiven für junge Menschen schaffen, hat uns sehr beeindruckt. Die Westbank ist durch die Abriegelung von Israel nicht erst seit dem 7. Oktober 2023 in einer dramatischen wirtschaftlichen Krise und es geht auch darum, wirtschaftliche Perspektiven für junge Menschen zu schaffen.
DOMRADIO.DE: Unterscheidet sich denn die Situation der Palästinenser in der Westbank in Abhängigkeit davon, ob sie muslimisch oder christlich sind?
Vogt: Nicht wirklich. Eigentlich sind alle in der gleichen Situation. An den Checkpoints des israelischen Militärs, die die Bewegungsfreiheit einschränken, wird kein Unterschied zwischen Christen und Muslimen gemacht. Die wirtschaftliche Situation ist für alle schlecht.
Aber unter den Christen gibt es natürlich die berechtigte Sorge, dass die Hamas und damit radikalislamische Strömungen auch in der Westbank weiter an Zulauf gewinnen. Der hat seit dem schrecklichen Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 noch einmal zugenommen, weil viele Palästinenser das Gefühl haben, dass die Hamas die einzige ist, die etwas gegen Israel und die Besatzung unternimmt. Das klingt schlimm, aber es zeigt, wie verzweifelt viele Palästinenser sind.
Auf die Palästinensische Autonomiebehörde setzen nur noch wenige Menschen, denn die hat auch seit 2006 keine Wahlen mehr durchführen lassen, das heißt es gibt ein großes Legitimations- und Demokratiedefizit. Die Korruption ist sehr hoch und die Autonomiebehörde schafft es nicht, die wirtschaftlichen Bedingungen zu verbessern.
Darum ist der Zulauf zu Extremisten leider groß und in der jetzigen Situation haben sich leider noch mehr Menschen in der Westbank der Hamas angeschlossen. Das sind düstere Perspektiven.
DOMRADIO.DE: Am kommenden Sonntag ist Palmsonntag und das Geld, das dann in den Kollekten gesammelt wird, ist traditionell für die Christen im Heiligen Land. Ihr Motto lautet in diesem Jahr: "Mittendrin – Barrieren überwinden". Worum geht es?
Vogt: Wir hatten das Thema bereits im vergangenen Sommer festgelegt und uns entschieden, Menschen mit Behinderung in den Blick zu nehmen. Aber das Motto ist weit gefasst, denn es gibt überall Barrieren: Die Mauer zwischen Israel und Palästina ist offensichtlich, es gibt Barrieren zwischen den Religionsgemeinschaften und viele Menschen aus den Palästinensergebieten können nicht einfach zu den heiligen Stätten in Jerusalem reisen.
Nichtsdestotrotz wollen wir den Fokus auf Menschen mit Behinderungen, Sozialeinrichtungen und inklusive Projekte setzen, um nicht in dieser Hoffnungslosigkeit zu versinken, dass es außer dem Krieg im Heiligen Land nichts anderes gäbe. Es gibt sehr viele Menschen, die sich auch weiterhin für Inklusion einsetzen. Die wollen wir mit der Palmsonntags-Kollekte weiterhin unterstützen, denn das Thema bleibt – trotz des Krieges – wichtig.
Ein sehr schönes Beispiel dafür sind unsere Benediktiner, die in Tabgah am See Genezareth die Begegnungsstätte für behinderte Menschen "Beit Noah" betreiben. Sie haben zu Beginn des Krieges eine jüdische Gruppe aus Kfar Rafael im Süden aufgenommen, wo es relativ häufig Raketenalarm gab.
Sie haben drei Wochen in Beit Noah verbracht und mit den Mönchen gebetet. An einem Tag, als es Alarm gab und die Menschen über eine Stunde im Bunker ausharren mussten, haben die Begleiter zur Gitarre gegriffen und die behinderten Menschen haben dazu gesungen. Das muss ein ganz beeindruckendes Erlebnis gewesen sein und es zeigt, dass das Zusammenleben auch in so einer Kriegssituation für beide Hoffnung und Kraft geben kann.
DOMRADIO.DE: Was wissen Sie über die Christen im Gazastreifen? Wie ergeht es denen?
Vogt: Jetzt ist die Einreise unmöglich, aber ich war im März 2023 das letzte Mal dort und wir haben den katholischen Pfarrer Gabriel Romanelli dort besucht. Seitdem stehen wir in Kontakt mit ihm und anderen Gemeindemitgliedern, die wir damals kennengelernt haben. Romanelli war zu Beginn des Krieges im Westjordanland und kann jetzt nicht mehr zurück zu seiner Gemeinde. Aber er steht im täglichen Austausch mit den Mitgliedern.
Vor dem Krieg lebten rund 1.000 Christen im Gazastreifen, überwiegend Orthodoxe und etwa ein Drittel Katholiken. Heute sind es noch etwa 700 bis 800 und die meisten sind auf den Grundstücken der beiden Pfarreien dort untergekommen.
Die Versorgungslage ist unheimlich schwierig. Man bekommt auf dem Schwarzmarkt irgendwie noch Lebensmittel zu horrenden Preisen. Es fehlt an Brennstoff, um kochen zu können. In der katholischen Pfarrei wird im Moment zwei Mal pro Woche eine warme Mahlzeit ausgegeben. Das muss dann für einige Tage reichen. Auch Trinkwasser ist ein großes Problem: auf dem Gelände gibt es einen Brunnen mit salzigem Wasser, das die Menschen abkochen. Die humanitäre Lage in Gaza ist schon sehr dramatisch.
DOMRADIO.DE: Feiern die Christen im Gazastreifen Ostern? Besuchen sie Gottesdienste? Oder sind sie viel zu sehr damit beschäftigt, ihr Überleben zu sichern?
Vogt: Natürlich steht das tägliche Überleben im Mittelpunkt, aber sie sind alle zusammen in der Gemeinde und das gibt ihnen Halt und Kraft. Und die katholischen Priester und Ordensschwestern vor Ort sind sehr aktiv. Dazu gehören auch die Feier des Palmsonntags, der Heiligen Woche und die Osterfeierlichkeiten.
Wir selbst waren vor einem Jahr dort und haben in der Gemeinde den Kreuzweg gebetet. Damals haben Jugendlichen die Ostergeschichte szenisch dargestellt. Das war sehr beeindruckend und emotional und ich denke, das werden sie auch in diesem Jahr wieder machen und vielleicht diese Kar- und Ostertage noch intensiver erleben.
DOMRADIO.DE: Der Heilig-Land-Verein veranstaltet auch Pilgerreisen. Funktioniert das im Moment überhaupt? Melden sich Menschen dafür an und können Sie diese wegen der Sicherheitslage überhaupt durchführen?
Vogt: In unseren Gästehäusern vor Ort empfangen wir weiterhin Einzelreisende, die ins Land kommen. Aber Gruppenreisen können wir leider seit vergangenem Oktober nicht anbieten. Wir mussten sehr viele Pilgerreisen absagen oder verschieben. Im Moment können wir auch nicht sagen, wann das wieder möglich sein wird.
Auch für das Land selber ist das ein großes Problem, gerade für die Christen in Bethlehem, Nazareth oder Jerusalem, weil sehr viele vom Pilgertourismus leben und sie jetzt nach drei Corona-Jahren schon wieder auf ihre gesamten Einnahmen verzichten müssen.
Das Interview führte Ina Rottscheidt.