DOMRADIO.DE: Normalerweise wäre Ihr Gästehaus jetzt ausgebucht. Wie ist das in diesem Jahr nach dem Anschlag der Hamas vom 7. Oktober und dem Krieg im Gazastreifen?
Georg Röwekamp (Leiter des Pilgerhauses Tabgha am See Genezareth): Das ist natürlich vollkommen anders. Das Pilgerhaus ist über weite Teile leer. Zum Glück haben wir immer wieder einheimische Gäste. Gerade ist eine Gruppe von 35 jüdischen Israelis hier, die für drei Tage am See Genezareth ein Seminar über die Orte des Neuen Testaments halten.
Dann haben wir einzelne Reisegruppen. Aber es gibt auch Tage, wo es ganz leer ist. Das ist vor allen Dingen für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schwierig. Gerade die jungen Leute haben nach 90 Tagen keinen Anspruch mehr auf Arbeitslosengeld. Von daher ist das gerade für die, neben allem anderen, was im Land los ist, eine schwierige Zeit.
DOMRADIO.DE: Was sagen die Gäste, die trotz allem ins Heilige Land kommen? Machen die sich große Sorgen?
Röwekamp: Einige kommen tatsächlich gerade wegen der Situationen. Sie wollen in diesen Zeiten Solidarität zeigen. Hier am See ist es manchmal fast surreal. Man schaut raus und denkt, es ist friedlich, wunderschön und ruhig. Und ein paar Minuten später hört man wieder Jets über den See donnern, die Richtung Libanon fliegen. Dann merkt man, dass man doch in einem Kriegsgebiet ist und gerade hier im Norden die Situation weiter angespannt ist.
DOMRADIO.DE: Wie beurteilen Sie persönlich die Sicherheitslage für Reisende ins Heilige Land?
Röwekamp: Grenznahe Gebiete, gerade im Norden, soll und muss man natürlich meiden. Das ist Sperrgebiet. In Jerusalem merkt man von all dem fast nichts. Wer sich im Land auskennt, kann privat gerne kommen. Aber es ist keine normale Zeit hier.
DOMRADIO.DE: Was heißt das genau für Ihre Arbeit vor Ort?
Röwekamp: Wir sind auch von der Stimmung im Land betroffen, die je nachdem, mit wem man spricht, sehr unterschiedlich ist. Die arabischen Christen in Jerusalem fühlen vor allen Dingen mit den Menschen in Gaza, mit der katholischen Kirchengemeinde dort, die jetzt auch von Hunger bedroht ist. Jüdische Israelis sind weiterhin traumatisiert von dem, was am 7. Oktober geschehen ist.
Wir versuchen eine neutrale Insel zu sein, die nach allen Seiten hin offen ist, wo Menschen einmal durchatmen können. Wir merken gerade jetzt in diesen Tagen wieder, dass das von Leuten sehr geschätzt wird und dass sie das dringend brauchen.
DOMRADIO.DE: Nach der Pilgerflaute der Corona-Jahre hatten viele im Heiligen Land auf eine Normalisierung gehofft. Jetzt hat die Eskalation des Nahostkonflikts diese Hoffnung zunichte gemacht. Was bedeutet das für alle, die vom Tourismus leben?
Röwekamp: Das ist für die eine ganz schwierige Situation. Gerade hatten sie angefangen, sich zu erholen. Und jetzt wird es wieder schlimmer als je zuvor. Keiner weiß, wann das enden wird. Anders als damals sind auch keine Rücklagen da. Von daher ist die Situation noch mal deutlich schwieriger.
DOMRADIO.DE: Mit welchen Gedanken schauen Sie in die Zukunft?
Röwekamp: Mit sehr viel Fragezeichen, mit Unsicherheit, weil man so wenig planen kann und nicht weiß, wann sich die Dinge ändern. Ich mache mir große Sorgen in unterschiedlicher Hinsicht, was das wirtschaftlich für uns, aber auch für das Zusammenleben hier im Land bedeutet.
Man merkt immer mehr, dass die Leute sich einfach nicht mehr verstehen. Sie können ihre jeweilige Sicht auf die Dinge kaum kommunizieren, geschweige denn haben sie das Gefühl, dass sie von den jeweils anderen verstanden werden. Das macht mir bezüglich dieser Polarisierung langfristig noch größere Sorgen.
DOMRADIO.DE: Wie werden Sie den Palmsonntag verbringen? Fahren Sie nach Jerusalem?
Röwekamp: Nein, wir haben Gäste hier im Haus. Wir haben das große Glück, dass wir auf unserem Gelände das Benediktinerkloster haben, wo die Gottesdienste gefeiert werden. So habe ich die Möglichkeit, dort am Ufer des Sees Genezareth den Palmsonntag zu begehen. Ich bin in Gedanken natürlich auch in Jerusalem, aber unser Platz ist jetzt hier bei unseren Gästen.
Das Interview führte Carsten Döpp.