Zähe Minuten der Stille auf dem Petersplatz. Statt einer Predigt zog Papst Franziskus andächtiges Schweigen nach dem Evangelium an Palmsonntag vor. Die Entscheidung fiel spontan. Wenige Minuten zuvor hatte ein Mitarbeiter der Vatikan-Pressestelle das Redemanuskript an die anwesenden Journalisten verteilt.
Nun spekulieren internationale und vor allem italienische Medien verstärkt über den Gesundheitszustand des 87 Jahre alten Kirchenoberhaupts. Aber war das ungewöhnliche Schweigen tatsächlich der Atemwegsinfektion geschuldet, die Franziskus seit rund einem Monat beeinträchtigt?
Stecken politische Gründe dahinter?
Der Verzicht könnte auch politische Gründe gehabt haben. Passagen des Predigt-Manuskripts ließen einigen Spielraum für Interpretationen - etwa mit Blick auf den Nahost-Krieg.
Möglicherweise wollte jemand im Vatikan oder der Papst selbst erneute Kontroversen vermeiden. Gerade erst hat sich die internationale Aufregung um Franziskus' Äußerungen zur Ukraine gelegt, der er kürzlich "Mut zur weißen Fahne" und zu Verhandlungen unter internationaler Vermittlung nahelegte.
Für einen solchen Hintergrund spricht, dass der Vatikan die Predigt im Nachgang für nicht existent erklärte. In einer Mitteilung nach dem Gottesdienst hieß es lediglich: "Am Ende der Verkündigung der Passion des Herrn nach Markus gab es einen Moment der Stille und des Gebets, bevor die Feier fortgesetzt wurde."
Seit seiner Erkrankung fällt Franziskus das Sprechen und Atmen zwar sichtlich schwer - seine Termine nimmt er trotzdem wahr. Fühlt er sich zu schwach, übernimmt üblicherweise ein Gehilfe das Verlesen der Ansprache. Dies wird meist von einigen persönlichen Worten der Entschuldigung vom Papst selbst eingeleitet. Eine weitere Variante ist das Verteilen der Redemanuskripte an die Teilnehmenden der jeweiligen Audienzen. Hält der Papst doch eine - mitunter verkürzte - Rede, dürfen auch seine Auslassungen mit offizieller Genehmigung zitiert werden.
Mutmaßungen über die päpstliche Gesundheit
Erprobte Verfahren im Falle gesundheitlicher Probleme gibt es also genug. Genutzt hat Franziskus am Sonntag keines davon. Das Mittagsgebet nach der Messe sprach er wieder selbst. Dabei verurteilte er den Terroranschlag nahe Moskau als "feige". Er erinnerte an die "gemarterte Ukraine" und den "Gazastreifen, der so sehr leidet" sowie an "viele andere Kriegsschauplätze".
Derweil stellen Italiens Vatikan-Berichterstatter weiter Mutmaßungen über die päpstliche Gesundheit an. Wollte er mit dem Predigt-Verzicht seine Anwesenheit auf dem Petersplatz einfach abkürzen? Oder leidet er an einer schwereren Krankheit? Sein Darmchirurg wurde ebenso befragt wie ihm nahestehende Mitarbeiter. Sie alle wiegeln ab.
Eile schien Franziskus am Sonntag nicht gehabt zu haben. Nach der Messe begrüßte er die anwesenden Kardinäle und fuhr dann mit dem Papamobil durch die Menschenmenge auf dem Petersplatz. Seine gesundheitlichen Probleme waren ihm dabei kaum anzumerken. Ob er die Worte zu Leiden und Tod Jesu mit seiner stillen Andacht wirken lassen wollte - oder ob doch gewichtige politische Gründe gegen ein Verlesen der Predigt sprachen, bleibt erst einmal ein Geheimnis.