DOMRADIO.DE: Sie haben die Passion angeschaut. Jünger in der Pommesbude, Maria singt Udo Jürgens. Ist das nicht zu banal?
Klaus Nelissen (Theologe und stellv. Katholischer Rundfunkbeauftragter der NRW-Diözesen beim Westdeutschen Rundfunk): Ob man in eine Pommesbude gehen muss, weiß ich nicht. Ob dort dann noch Reiner Calmund stehen muss, weiß ich auch nicht. Zu dem Zeitpunkt ist ja auch der Teleprompter vor Schreck ausgefallen. Die Kombination aus Maria und den Songs von Udo Jürgens haben aber wunderbar gepasst. Die Songs, die Maria gesungen hat, haben mich sehr berührt. Manchmal haben die Texte sogar gepasst wie Topf auf Deckel.
DOMRADIO.DE: Vor zwei Jahren fand in Essen die Premiere des Formats statt. Der Mittwochabend in Kassel war die zweite Auflage. Was war besonders gut gelungen und wo hat das Konzept weniger funktioniert?
Nelissen: In den Niederlanden gibt es das Format seit 13 Jahren und es ist dort ein echter Renner. Die Passion gilt als Gamechanger-Format. Die Kenntnis in den Niederlanden über die Geschichte von Ostern sind durch dieses Format laut Umfragen von 27 auf über fünfzig Prozent gestiegen.
Vor zwei Jahren in Essen zur Premiere dieses Formats in Deutschland, war mir das alles ein bisschen zu klamaukig. Das lag auch an Thomas Gottschalk, der unbenommen eine echte Rampen-Figur ist. Dieses Mal wurde Hannes Jaenicke als Erzähler der Geschichte gerechter. Das fanden auch viele meiner Mitzuschauenden. Er hat das Format viel ernster genommen und dadurch hatte es gleich einen anderen Schnack.
DOMRADIO.DE: Es wurde auch wieder ein Kreuz durch die Stadt getragen. In kleinen Interviews gaben die Menschen Glaubenszeugnisse ab. Fanden Sie das eher kitschig oder waren es authentische Zeugnisse?
Nelissen: Das ist eine Mischung aus Kitsch und Authentizität. Aber mal ehrlich: Ich gehe als Katholik auch zur Fronleichnamsprozession. Da würde ich dasselbe sagen. Ein bisschen Kitsch darf sein, denn das Leben ist auch manchmal etwas kitschig und manchmal leider auch überzeichnet. Insofern passt das auch in dieses Format. Das ist nicht mein persönliches Frömmigkeitsformat. Ich feiere das Triduum, also Gründonnerstag, Karfreitag, Osternacht im zwanzigsten Jahr bei den Benediktinern auf der Reichenau, weil es mir wichtig ist. Trotzdem berührt mich dieses Format im deutschen Fernsehen.
Eine Stelle, die diesmal richtig schön ausgearbeitet war, war die, wo Pontius Pilatus die Menge auf dem Marktplatz fragt, wer freigelassen werden soll. Barabbas oder Jesus? Die Menge auf dem Platz schreit: Kreuzigt ihn! In dem Moment kippte die Stimmung auf dem Platz und die Situation bekam auf einmal eine Ernsthaftigkeit. Man sieht auch in der Aufzeichnung, wie die Leute sich über sich selbst erschrecken. Die dürfen nichts anderes rufen. Sie sind ja Teil der Inszenierung. In diesem Moment wurde die Inszenierung auf einmal ganz dicht. Das finde ich schon stark. Oder als Maria vor dem Kreuz "Wunder gescheh'n" von NENA singt. Da singt sie auf einmal: "Wir dürfen nicht nur glauben, was wir sehen.“ Das ist doch Verkündigung.
DOMRADIO.DE: Die Theologie-Professorin Mirella Klomp sagt, die Passion sei eine Neuerfindung der Religion im öffentlichen Raum und sieht es als eine Art der Verkündigung. Kann eine solche Show jemanden dazu bringen, sich mit Religion, Glauben und Gott zu beschäftigen?
Nelissen: Nicht auf Teufel komm raus. Aber so eine Show ist ein Angebot. Und es ist noch mal eine Konfrontation mit dem Religiösen. Gerade wenn man die Zeugnisse in der Prozession hört. Das wären jetzt auch nicht meine Glaubenszeugnisse, aber ich erinnere mich zum Beispiel an eine Frau, die von ihrer Brustkrebsheilung sprach. Das ist eine ähnliche Konfrontation wie in den sozialen Medien über das Bild des Fußballnationalspielers Rüdiger, der sich zum Ramadan in einem traditionellen Gewand seines Glaubens kleidet und die Tauhid-Geste macht.
Die Leute erschrecken sich beinahe, wenn sie in unserer Gesellschaft mit etwas Religiösem konfrontiert werden. Die Passion bringt diese religiöse Dimension in den Kontext, in dem wir uns aufhalten. Religion kommt in das Umfeld der abendlichen Prime-Time Unterhaltung. Zwischendurch läuft Werbung und weiter geht es mit den Leiden Jesu. Das finde ich spannend.
DOMRADIO.DE: RTL erreicht mit der Passion Millionen Zuschauer vor die Geräte, während den Kirchen die Mitglieder davonlaufen. Was können die sich da abgucken?
Nelissen: Was heißt abgucken? Katholisch ist nicht "entweder oder", sondern "sowohl als auch". Die Kirchen könnten viel mehr auf dieses Format eingehen und es sich zu eigen machen. Meine Frau leitet die Firmvorbereitung in Sankt Agnes in Köln. Sie hat sich gestern alle Songs notiert, und plant diese mit den Firmlingen zu besprechen. Oder die Werbung, denn die Show läuft ja werbefinanzierten Privatfernsehen. Warum schafft es die Caritas nicht, Werbung zu schalten: "Wir leben, was Jesus gepredigt hat." Das wäre doch mal total spannend.
DOMRADIO.DE: Jacco Doornbos ist der Erfinder und Produzent aus den Niederlanden. Dort ist das Format seit Jahren ein Riesenerfolg, obwohl das Land viel stärker säkularisiert ist als Deutschland. Wie erklären Sie sich das?
Nelissen: Ich habe gestern Abend noch mit Jacco gechattet und er ist dieses Mal sehr viel zufriedener gewesen als bei der Premiere vor zwei Jahren in Essen.
Die Idee, die er versucht, ist eine Verheutigung der Geschichte. Gerade durch die Popsongs, die die Geschichte spiegeln. Jacco sagt immer, dass die Geschichte nicht das Problem sei. Die Geschichte funktioniere. Das Problem sei die Form. Wir als Kirche haben nicht mehr die Form, die zu den Menschen spricht. Deswegen ist RTL vielleicht ganz passend. Der Gründer von RTL, Helmut Thoma, hatte einen prima Tipp für Menschen Fischer. Er sagte, der Wurm müsse dem Fisch schmecken, nicht dem Angler. Das bedeutet, man muss sich nach den Bedürfnissen der Zuschauer orientieren, um eine Geschichte gelungen zu platzieren. Daher ist dieses Format die schlauste Art, wie man die Passion einem Mainstream Publikum zugänglich machen kann, dass normalerweise "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" schaut.
DOMRADIO.DE: Hat das Format in Deutschland eine Zukunft oder haben wir schon alles gesehen?
Nelissen: Ich würde mir das sehr wünschen. Das Format ist so aufgebaut, dass es immer wieder eine Varianz gibt, obwohl die Geschichte dieselbe bleibt. Eine Variante ist die Auswahl der Musik. Die fand ich in diesem Jahr wirklich sehr toll. Die fünfzehn Songs haben richtig gut gesessen. Eine zweite Variante ist der Ort, weil die Passion immer wieder in einer anderen Stadt stattfindet. Mal ehrlich, ich wäre nie nach Kassel gefahren. So habe ich Kassel und den Herkules im Bergpark Wilhelmshöhe gesehen. Dort spielte die Szene, wo Judas singt. Das ist ganz toll inszeniert gewesen.
DOMRADIO.DE: Haben Sie einen Tipp, in welcher Stadt die nächste Ausgabe stattfinden sollte?
Nelissen: Ach, das Verfahren ist ein bisschen komplizierter. Die Städte bewerben sich tatsächlich selbst darum, weil die ausrichtende Stadt natürlich auch von dem Ereignis profitiert. Deswegen habe ich keinen Tipp. Mein Wunsch ist, dass es wieder passiert und dass die Menschen aus dem Umfeld von Kirche ihre Manschetten fallen lassen. Wenn ich mir überlege, wie die Passionsspiele in Oberammergau vor Jahrzehnten noch verlacht wurden. Nach der Neuinszenierung durch Christian Stückl kam auf einmal alle und selbst ich war dort, weil es an Qualität gewonnen hat. Da liegt der Punkt bei der Passion von RTL. Ich glaube, das Format kann noch ein bisschen an Qualität gewinnen. Trotzdem, in der Art, wie es angelegt ist, überzeugt es mich sehr.
Das Interview führte Elena Hong.