DOMRADIO.DE: Was ist denn dieser Semmelsegen?
Andreas Neuser (Pfarrer der Gemeinde Sankt Johannes Baptist): Im Grunde ist das ein ganz normaler Brotsegen, ein Speisesegen. Der vollzieht sich in besonderem Rahmen. Das ist eine 350 Jahre alte Tradition, die ich vorgefunden habe.
Am Karsamstag um 14 Uhr stehen hunderte Leute auf dem Kirchplatz und halten ihre besonders geformten Semmeln hoch. Ich habe die Ehre, sie zu segnen.
DOMRADIO.DE: Wo kommen die Semmeln her? Hängt da eine ganze Industrie in Attendorn dran?
Neuser: Unsere Bäckereien machen zu dieser Zeit Doppelschichten. Die Form ist eine traditionelle. Der Brotlaib ist an beiden Seiten eingeschnitten, so dass es wie Fischflossen aussieht. Man ist sich nicht einig, woher diese Tradition kommt. Eine Deutung ist aber, dass es an ein altes Symbol der Christen, an den Fisch, erinnern soll.
DOMRADIO.DE: Wenn die Semmel gesegnet ist, soll die, so sagt der Volksmund, besser schmecken. Was kommt denn klassisch als Belag auf eine gesegnete Semmel in Attendorn drauf?
Neuser: Grundsätzlich bin ich auch der Meinung, dass die Semmel gesegnet besser schmeckt. Genauso wenn wir ein Tischgebet halten. Wie wir diese Semmel empfangen, was sie auch bedeutet.
Man kann diese Semmel mit dem belegen, was einem schmeckt. Traditionell sind gute Butter und Schinken. Ich nehme das gerne mit Marmelade.
Vor allen Dingen ist es wichtig, dass es eine Kümmelsemmel ist. Das hat damit zu tun, dass dieser Semmelsegen vor Ende der Fastenzeit geschieht. Der Kümmel ist verträglicher für den Magen. Daher hat der Kümmel seinen Ursprung.
DOMRADIO.DE: Was ist das Theologische beim Semmelsegnen? Was macht das Ganze besonders?
Neuser: Dass diese Schnittstelle zwischen Fastenzeit und Osterzeit entsteht. Ich kann mich noch erinnern, dass wir uns als Kinder gefragt haben, wann die Fastenzeit endlich um ist, damit ich etwas Süßes essen kann.
Theologisch geht es darum zu sagen, dass Gott uns die Freude schenkt. Die Freude von Ostern ist unübertrefflich für uns Christen. Da steigen wir im Grunde ein. Wir bereiten uns durch die Fastenzeit vor.
Früher war es ein viel stärker geprägtes körperliches Fasten, dass man in dieser besonderen Zeit auf bestimmte Nahrungsmittel verzichtet hat. Dann konnte man wieder langsam in die normale Nahrungsaufnahme einsteigen, sozusagen.
DOMRADIO.DE: Sie haben in Attendorn nicht nur den Segen der Semmel, sondern es gibt auch noch das Kreuzesstellen. Was verbirgt sich dahinter?
Neuser: Das ist eine weitere Tradition. Es gehört im Grunde alles zusammen. Das nennt sich Attendorner Osterbrauchtum. Nach dem Semmelsegnen gegen 15 Uhr geht es in den Wald.
Das machen die Männer, die Leute, die zu den ursprünglichen alten Stadttoren gehören. Die Attendorner wissen genau, zu welcher Pforte sie gehören. Die gehen in den Wald und schlagen Fichtenstämme. Leider ist das sehr schwierig. Der Borkenkäfer hat im Sauerland so zugeschlagen.
Sie holen Stämme aus dem Wald, um sie am Ostersonntag aufzustellen für die großen Osterfeuer. Kreuzestellen heißt im Grunde, das Osterfeuer errichten. Die Osterfeuer sind nicht nur Reisighaufen, sondern große Fichtenstämme gestaltet als Kreuz. Daran ist das Feuerholz angelehnt.
DOMRADIO.DE: Es gibt in Summe vier Osterfeuer. Ist das eine Art Wettbewerb? Wer hat das Schönste, Größte, Tollste?
Neuser: Unbedingt! Das ist auf jeden Fall ein Wettbewerb. Es gab vier Stadttore in Attendorn. Die Osterfeuervereine ordnen sich diesen Toren zu. Es gibt Niederstes Tor, das Ennester Tor, das Kölner Tor und das Wassertor.
Es ist wichtig, dass man das Schönste und Größte hat. Der Stamm wird gemessen, um zu schauen wer den längsten Stamm und den dicksten Stamm hat. Das wird bejubelt und geht in die Geschichte ein. Dann gehen alle auf ihre Berge. Am Sonntagabend um 21 Uhr werden sie gleichzeitig entzündet. Dann sieht man die Osterfeuer über der Stadt.
DOMRADIO.DE: Bei diesem, man könnte schon fast sagen, Spektakel sind auch viele Kinder und Jugendliche dabei. Kann man daraus schließen, dass sich die Kinder und Jugendlichen in Attendorn noch für Kirche interessieren?
Neuser: Sie sind auf jeden Fall am Osterbrauchtum interessiert. Das ist ein Unterschied. Sie sind sehr präsent. Dieses Kreuzestellen hat eine Vorgeschichte. Das heißt, an jedem Samstag in der Fastenzeit stellen die Pforten das Holz, so wie das hier genannt wird. Sie sammeln das Holz ein, das hinterher in das Osterfeuer gestellt wird. Alt und Jung sind dabei. Das ist ein große Tradition, die viele hier bewegt.
Das Interview führte Oliver Kelch.