Theologisches Studienjahr in Jerusalem feiert Jubiläum

"Wir machen Geschmack an Komplexität"

Seit 50 Jahren gibt es in Jerusalem das Theologische Studienjahr. Das wird in diesen Tagen trotz der schwierigen politischen Situation gefeiert. Abt Nikodemus Schnabel wirbt für das Studienjahr und einen Besuch im Heiligen Land.

Blick auf die Altstadt von Jerusalem / © JekLi (shutterstock)
Blick auf die Altstadt von Jerusalem / © JekLi ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: 50 Theologisches Studienjahr. Das wird nun in Jerusalem groß gefeiert, mit viel Prominenz. Es ist aber auch Krieg zwischen Israel und der Hamas. Ist Ihnen da heute mehr zum Feiern oder mehr zum Klagen zumute? 

Nikodemus Schnabel, Abt der Benediktinerabtei Dormitio / © Andrea Krogmann (KNA)
Nikodemus Schnabel, Abt der Benediktinerabtei Dormitio / © Andrea Krogmann ( KNA )

Abt Nikodemus Schnabel OSB (Abt der Dormitio-Abtei in Jerusalem): Nein, wir sind definitiv in Feierstimmung. Natürlich nicht in einer ausgelassenen, unbeschwerten Art und Weise. Wir feiern 50 Jahre Studienprogramm. In diesen 50 Jahren ist einiges passiert, wenn man schaut, was es da für kriegerische Auseinandersetzungen und Konflikte gab. 

Es ist fast schon ein kleines Wunder, dass wir 50 Jahre kontinuierlich durchgehalten haben. Teil dieses Programmes ist ja auch die Frage von Friede, Versöhnung, von Religion und Politik und die Frage des interreligiösen Dialogs. Wir lernen das Judentum und den Islam besser kennen – auch die verschiedenen Kirchen, besonders die Ostkirchen sowie Bibel und Archäologie.

Dieses Programm lebt ja auch davon, dass man hier vor Ort lebt und das auch quasi theologisch und geistlich verarbeitet, was man erlebt. Gerade unser aktuelles Programm hat sich damit sehr auseinandergesetzt.

Nikodemus Schnabel

"Ich sage gerne scherzhaft, unser Programm steht seit 50 Jahren dafür, die Menschen unfähig zu machen, die Welt in 30 Sekunden zu erklären, weil wir machen Geschmack an Komplexität."

DOMRADIO.DE: Die Schwerpunkte des Studienjahres haben einiges an Potenzial zum friedlichen Zusammenleben der Bevölkerungsgruppen beizutragen. Schauen wir doch mal zurück: Was wurde in den letzten 50 Jahren denn alles so geleistet? 

Abt Nikodemus: Wir haben über 1.200 Absolventen. Das ist schon eine stolze Zahl. Im deutschen Sprachraum sind das evangelische und katholische Studierende. Wenn man schaut, wer heute in Kirche und Theologie tätig ist, sind das sehr viele Ehemalige von uns so viele sind in dem Bereich, also in der Pastoral, aber auch in der Wissenschaft, im Journalismus, in der Politik viel haben auch was anderes dann zusätzlich studiert. Unsere Absolventen sind ein riesiges Pfund, mit dem wir wuchern können. 

Ich glaube, wir sind seit 50 Jahre immer auch visionär, weil bei uns studieren evangelische und katholische Theologie Studierende gemeinsam ökumenisch und haben dazu noch Fächer, die im normalen Studium in Deutschland so nicht vorkommen, die ich gerade auch geschildert habe. Eben Archäologie, Judentum, Islam oder Ostkirchen. 

Ich sage gerne scherzhaft, unser Programm steht seit 50 Jahren dafür, die Menschen unfähig zu machen, die Welt in 30 Sekunden zu erklären, weil wir machen Geschmack an Komplexität. Das heißt, wer bei uns studiert hat, kann nicht mehr jüdisch-christlich denken, ohne den Islam mitzudenken – oder evangelisch-katholisch, ohne die Ostkirchen mitzudenken. Auch politisch ist es nicht so sehr klar, sich schwarz-weiß so einfach positionieren zu können, weil man einfach ganz viele Narrative erlebt, ganz viele Geschichten erlebt, und Begegnungen hat mit Juden, Christen, Muslimen und Atheisten.

Man erlebt verschiedene Menschen aus verschiedenen politischen Lagern und auch sehr viele Exkursionen. Wir gehen zu den archäologischen Stätten, wir gehen zum Beispiel zu den verschiedenen Patriarchen hier, wir gehen in die Synagogen, wir besuchen Muslime. Das sprengt den Horizont ziemlich. Nach acht Monaten sind unsere Studierenden nicht nur intellektuell einen Schritt weiter vorangekommen, sondern auch als Persönlichkeit gereift.  

Nikodemus Schnabel

"Da muss ich auch ganz ehrlich sagen, wir hier vor Ort haben wirklich eine gemeinsame Botschaft: kommt!"

DOMRADIO.DE: Heute findet ein Festakt statt. Viel Prominenz hat sich trotz der politischen Situation und offiziellen Reisewarnung angemeldet. Bestärkt das Ihren Entschluss, an diesen Feierlichkeiten festzuhalten? 

Abt Nikodemus: Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts ist der Festredner. Auch der Präsident des Deutschen Akademischen Austauschdienstes ist da, der von Anfang an unser Programm fördert und dem wir sehr viel verdanken. 

Auch die Deutsche Bischofskonferenz ist mit an Bord. Erzbischof Bentz aus Paderborn ist mit dabei, der ja vonseiten der Bischofskonferenz hier für diese Region zuständig ist. Der Evangelische Landesbischof Meister aus Hannover ist dabei. Mehrere Professoren sind dabei, wie etwa Professor Markschies, der Präsident der Wissenschaftsakademie von Berlin-Brandenburg. Zudem werden sehr viele Diplomaten erwartet. Es wird der Nuntius kommen und auch der Patriarch wird kommen. Das ist auch ein Zeichen. 

Kardinal Pierbattista Pizzaballa / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Kardinal Pierbattista Pizzaballa / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

Da muss ich auch ganz ehrlich sagen, wir hier vor Ort haben wirklich eine gemeinsame Botschaft: kommt! Da widerspreche ich jetzt auch mal den offiziellen Warnungen, nicht zu kommen. Seit einem halben Jahr haben wir keine Pilger. Seit einem halben Jahr hungern wir danach, dass Menschen wiederkommen. Die Erfahrung von Menschen, die sich trauen zu kommen, ist, dass sie sagen, das sei die schönste Zeit ihres Lebens im Heiligen Land, weil es eben nicht überlaufen ist. Man hat die heiligen Stätten für sich. 

So tragisch all das ist, was wir erleben in Gaza oder an der israelisch-libanesischen Grenze, in Jerusalem kann man gut und auch sicher sein. Deswegen ist es, glaube ich auch ein indirektes Signal, das wir vielleicht auch senden neben dem Studienjahr: An alle, die überlegen, ins Heilige Land zu kommen, kommt! Das kann ich wirklich unterstreichen. Kommen Sie, haben Sie Mut! 

Das Interview führte Carsten Döpp.

Theologisches Studienjahr Jerusalem

Das sogenannte Theologische Studienjahr in Jerusalem ist ein intensives Lehr- und Lernprogramm für deutschsprachige Theologiestudierende. Das zweisemestrige Aufbaustudium findet normalerweise an der Benediktiner-Abtei Dormitio auf dem Zionsberg am Rand der Jerusalemer Altstadt statt.

Dormitio Abtei in Jerusalem / © Karin Wabro (shutterstock)
Dormitio Abtei in Jerusalem / © Karin Wabro ( shutterstock )
Quelle:
DR