DOMRADIO.DE: Die Situation auf dem deutschen Wohnungsmarkt ist extrem angespannt, natürlich auch für Studierende. Was bekommen Sie als Hochschulfahrer in Düsseldorf davon mit?
Stefan Wißkirchen (Pfarrer der katholischen Hochschulgemeinde Düsseldorf): Für manche ist es wirklich eine dramatische Situation. Sicherlich ist es zum Beginn des Sommersemesters ein bisschen unkomplizierter als im Wintersemester.
Im letzten Wintersemester hatten wir aber, soweit ich weiß, tatsächlich das erste Mal in Düsseldorf sechs Wochen lang eine Notschlafstelle. Das ist eine sehr schwierige Situation für unsere Studierenden.
DOMRADIO.DE: Was heißt das für die jungen Leute, wenn sie nichts Passendes zum Wohnen finden, aber gleichzeitig an der Uni volle Leistung bringen sollen?
Wißkirchen: Das ist schlichtweg nicht möglich, das muss man ganz deutlich sagen. Betroffene können nicht wirklich studieren. Sie können zwar in die Universität gehen, an die Hochschule und in die Bibliothek. Aber wer studiert, braucht auch einen Rückzugsort, um für sich zu sein, um etwa den Tag noch einmal Revue passieren lassen zu können. Wer studiert, das wissen wir alle, braucht auch Orte für Begegnungen. Wenn das fehlt, wird es sehr schwierig.
DOMRADIO.DE: Wie kann die Hochschulgemeinde helfen? Als erstes vielleicht gut zuhören?
Wißkirchen: Ja, das ist das allererste. Ich bin dankbar dafür, dass wir mit unserem Pastoralreferenten Niels Wiese einen wirklich erfahrenen und guten Fachmann haben, was die Beratung angeht. In Einzelfällen können wir sogar finanziell helfen. Das gilt natürlich nicht für alle, aber für besondere Notfälle. Wenn zum Beispiel jemand für kurze Zeit in einem Hostel unterkommen muss, damit es irgendwie weitergeht.
Außerdem haben wir eine gute Plattform mit Kontakten. Wir kennen viele Leute, bei denen wir nachhören können, ob sie vielleicht ein Zimmer haben. Außerdem suchen wir laufend Leute, die weiteren Wohnraum zur Verfügung stellen, um ihn an unsere Studierenden weiterzuvermitteln. Vielleicht könnten auch Kirchengemeinden noch einmal überlegen, ob sie nicht doch noch brachliegenden Wohnraum haben und ihn Studierenden anbieten könnten.
DOMRADIO.DE: Es gibt Tandem-Projekte, die Studierende an Senioren vermitteln – nach dem Prinzip Wohnen gegen Alltagshilfe. Gibt es so etwas bei Ihnen auch?
Wißkirchen: Bei uns kümmert sich die Caritas um solche Projekte. Wir haben hier an unserem Hochschul-Standort direkt nebenan ein Caritas Zentrum plus, wo sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um ältere Mitbürger bemühen. Da sind die Wege sehr kurz. Bei Bedarf können wir zumindest versuchen zu vermitteln.
DOMRADIO.DE: Versuchen Sie auch, sich politisch gegen die Wohnungsnot zu engagieren?
Wißkirchen: Ich bin in Vorbereitung auf unser Gespräch im Netz auf einen Zeitungsartikel von 2016 gestoßen, in dem die Wohnungsnot in Düsseldorf schon damals als unhaltbar bezeichnet wird. Ein durchschnittliches WG-Zimmer kostete da 400 Euro, jetzt liegen wir bei fast 600 Euro.
Die Zahlen sprechen für sich. Politisch können wir hier wenig machen. Ich versuche natürlich, das Problem bei den entsprechenden Stellen immer wieder anzusprechen. Wir sind im Kontext der Universität gut vernetzt, was die soziale Beratung angeht. Das ist unser Medium, in dem wir dieses Thema immer wieder einspielen können. Da tun wir, was wir können.
DOMRADIO.DE: Abgesehen von der Misere auf dem Wohnungsmarkt, was bewegt Studierende sonst noch zum Semesterstart? Was sind häufige Anliegen, mit denen die jungen Leute zu Ihnen kommen?
Wißkirchen: Das eine ist das Thema Wertschätzung, das sich auch in der Wohnungsnot äußert. Jungen Menschen wird gesagt: "Du kannst toll bei uns studieren, du hast die schönsten Einrichtungen, die du dir vorstellen kannst, aber ein Zimmer haben wir nicht für dich!" Das nagt bei vielen auch am Selbstwertgefühl.
Das zweite Thema ist und bleibt die Einsamkeit. Wie finde ich in so einem für mich neuen System überhaupt gute Freunde? Wie finde ich in so einem System auch ein Zuhause über ein Zimmer hinaus? Wie finde ich in so einem System, in dem ich neu ankomme, überhaupt die Kontakte, die mir helfen, gut ins Studium zu starten? Da sehen wir auch immer noch Auswirkungen der Corona-Pandemie.
DOMRADIO.DE: Sie haben also den Eindruck, dass viele junge Leute sich schwer tun mit der nach Corona zurückgewonnenen Normalität?
Wißkirchen: Was ich jetzt sage, ist nicht wissenschaftlich fundiert. Aber von meinem Gefühl her ist es tatsächlich so: Es kommen Studierende an die Hochschulen, die wichtige Teile ihrer Schulzeit während der Corona-Pandemie verbracht haben, in der Oberstufe oder auch in der in der höheren Mittelstufe.
In dieser Zeit konnten sie kein Gefühl dafür entwickeln, wie es ist, ganz konkret mit Menschen umzugehen. Für sie war das zwischenmenschliche Agieren auf den familiären Kontext oder enge Freunde beschränkt. Jetzt sind sie auf einmal in einem so großen System wie der Universität unterwegs, wo so viele Menschen herumlaufen und sie jeden Tag neue Gesichter sehen. Das kann manchmal ganz schön heftig sein.
DOMRADIO.DE: Was tun Sie von der Hochschulgemeinde, damit der Start ins neue Semester besser gelingt?
Wißkrichen: Nach unserem Interview gehen wir vom Hochschul-Team wieder auf den Campus. In dieser Woche begrüßen wir dort jeden Tag die Studierenden. Ich glaube, das ist ganz wichtig. Dieses Jahr haben wir Zahnbürsten als Give-aways. Es lohnt sich auf jeden Fall, bei uns vorbeizukommen.
Was wir wirklich konkret tun können, ist, dass wir hier einen Ort bieten, an dem man Menschen begegnen kann, an dem man in Notfällen Beratung bekommt. Aus katholischer Sicht kann natürlich auch der Gottesdienst etwas sein, das Heimat gibt. Dort kann jeder gleichgesinnte Menschen treffen, mit ihnen in Austausch treten und schließlich auch spüren, dass Glaube Halt gibt.
DOMRADIO.DE: Was wünschen Sie den Studierenden für das neue Sommersemester, was wünschen Sie sich selbst?
Wißkirchen: Allen Studierenden, die neu an der Uni sind, wünsche ich, dass sie gut hier ankommen. Mein persönlicher Wunsch ist es, vielen jungen Leuten hier an der Universität und den Hochschulen zu begegnen. Ich möchte ihnen zeigen, wie sehr wir wertschätzen, was sie für unsere Gesellschaft leisten. Das fehlt sicher in der öffentlichen Wahrnehmung.
Studenten werden oft gescholten nach dem Motto „Die tun ja nichts“. Ich erlebe das völlig anders, ich erlebe die Studierenden als fleißige, tolle, junge Leute. Wir haben hier einen tollen Ort, um junge Menschen aus der ganzen Welt zu treffen, die ihre Erfahrungen mit nach Düsseldorf bringen. Deswegen freue ich mich besonders auf internationale Begegnungen und wünsche genau diese Begegnungen auch den jungen Leuten.
Das Interview führte Hilde Regeniter.