Marc Frings (Generalsekretär des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) und Mitglied der Katholikentagsleitung): Herzlich willkommen zu "Frings fragt" heute mit Serap Güler. Wir reden über Demokratie und Sicherheit im Kontext des Leitworts "Zukunft hat der Mensch des Friedens". Das ist das Leitwort des 103. Deutschen Katholikentags, der vom 29. Mai bis zum 2. Juni in Erfurt stattfinden wird. Frau Güler ist Bundestagsabgeordnete für die CDU. Vorher war sie Staatssekretärin für Integration. Vielen Dank, dass Sie bei uns sind, Frau Güler, aus NRW stammend. Jetzt sitzen Sie im Verteidigungsausschuss im Bundestag. Der amtierende Minister Pistorius hat das Ziel ausgegeben, die Bundeswehr kriegstüchtig zu machen. Ist das auch Ihr Ziel?
Serap Güler (CDU-Bundestagsabgeordnete): Das Wort "kriegstüchtig" bedeutet nicht "kriegssüchtig". Das ist wichtig, darauf hinzuweisen. Kriegstüchtig bedeutet, dass wir unsere Bundeswehr und unsere Verteidigungspolitik so ausstatten und auch aufrüsten, um nie in einen Krieg ziehen zu müssen. Die Abschreckung ist das Ziel und das ist das, was mit kriegstüchtig gemeint ist, um nicht Kriegspartei zu werden.
Frings: Vor über zwei Jahren hat Russland die Ukraine angegriffen. Seitdem gibt es dort einen fürchterlichen Krieg. In Deutschland wurde eine verteidigungspolitische Zeitenwende ausgerufen. Was können Sie als Parlamentarierin für eine gute Balance leisten? Auf der einen Seite reden wir davon, dass wir den Verteidigungsbeistand an der Seite der Ukrainerinnen und Ukrainer sehen. Wir wollen sie unterstützen, dass dieser Krieg schnell und gut zugunsten der Ukraine beendet wird. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Forderungen nach Frieden. Verteidigung einerseits, Frieden andererseits. Wie schaffen Sie als Parlamentarierin da einen guten Ausgleich?
Güler: Es ist nicht einfach. Ich verstehe, dass viele Menschen auch in unserem Land Angst vor dem Krieg haben und Angst haben Kriegspartei zu werden. Aber uns muss einfach klar sein und das sehe ich auch als meine Aufgabe als Parlamentarierin, in jedem Gespräch mit Bürgerinnen und Bürgern deutlich zu machen, wenn die Ukraine diesen Krieg verliert, wenn Putin diesen Krieg gewinnt, dass es keinen Frieden geben wird.
Deshalb halte ich diese Szenarien, wie diesen Krieg jetzt einzufrieren oder so schnell wie möglich zu beenden, ganz egal, wer am Ende Gewinner ist, wirklich für sehr, sehr gefährlich. Wir müssen einmal nach Russland schauen und gucken, was Putin gerade macht. Er hat komplett auf Kriegswirtschaft umgeschaltet. Die Produktion von Waffen wird in Russland gerade massiv hochgefahren, von Munition bis Panzern. Die Antwort auf die Frage, ob er das nur für die Ukraine tut, kann eigentlich nur "Nein" lauten.
Das heißt, wenn Putin diesen Krieg gewinnen sollte, wird es keinen Frieden in Europa geben. Dann wird es weitere Ziele geben. Man kann das bei uns in der kompletten Menschheitsgeschichte anschauen. Niemand, der Aggressor ist, der Angreifer war, hat sich zufrieden gegeben, wenn er einen Krieg gewonnen hat. Es gab immer den Durst nach mehr. Das heißt im Klartext: Wer Frieden will, muss jetzt alles dafür tun, dass die Ukraine diesen Krieg nicht verliert.
Frings: Ist die Bundeswehr zwei Jahre nach Beginn der Zeitenwende dazu in der Lage, bei solchen Herausforderungen auch angemessen handlungsfähig zu sein?
Güler: Im Moment sind wir das nicht. Aber wir haben das große Glück, Mitglied der NATO zu sein. Deshalb muss man auch immer hinzufügen, dass jeder, der Deutschland angreift, eben nicht Deutschland alleine angreift, sondern 32 Staaten, die komplette NATO. Der Bündnisfall gilt ja nach wie vor.
Wir wissen nicht, was ab November passiert, wenn Trump wiedergewählt werden sollte. Aber es ist wichtig, daran festzuhalten und in Richtung USA – und zwar ganz egal, wer im November Präsident wird – auch deutlich zu machen, dass wir als Europäer, das wir als die größte Nation in Europa auch unserer sicherheits- und verteidigungspolitischen Verantwortung im Sinne einer besseren Ausstattung gerecht werden und sicherheitspolitisch nicht alles an die USA outsourcen.
Frings: Aber hat sich Deutschland, hat sich Europa in den letzten vier Jahren darauf vorbereitet, dass möglicherweise Trump ins Weiße Haus zurückkehrt?
Güler: Nein. Das ist allerdings auch nicht nur eine deutsche Frage, sondern viele europäischen Staaten haben sich nicht darauf vorbereitet. Ich weiß, dass hinter verschlossenen Türen dieses Szenario zwar auch durchaus mit bedacht wird. Aber es gibt keine konkrete Strategie und wenn es sie gibt, ist es aber auch richtig, dass man nicht öffentlich darüber spricht. Denn wenn man öffentlich darüber spricht, würde es ja genau dazu führen, dass man Biden schon als abgewählt und als "Lame Duck" darstellt. Auch das wäre nicht richtig.
Dennoch müssen wir uns, ganz egal wer diese Präsidentschaftswahl in den USA gewinnt, darauf vorbereiten, dass wir in Zukunft viel stärker für unsere Sicherheits- und Verteidigungspolitik auch selbst Verantwortung nehmen müssen.
Frings: Krieg und Frieden sind auch Fragen, mit denen wir uns als Katholikinnen und Katholiken ganz intensiv beschäftigen. Wir haben unsere eigenen friedensethischen Positionen kritisch hinterfragt. Wie schauen Sie auf uns? Wie schauen Sie auf die Kirchen? Wie schauen Sie auf die Religionsgemeinschaften in Deutschland und in der Welt? Welchen Beitrag können wir in dieser Debatte leisten?
Güler: Im Moment wird auch wieder "German Angst" ganz groß geschrieben. Ich meine das überhaupt nicht despektierlich. Viele Menschen in unserem Land haben Angst vor dem Krieg, haben Angst vor Wohlstandsverlusten. Das ist sehr, sehr menschlich und nachvollziehbar. Diese Angst habe ich auch. Zumindest ist es bei mir so, dass mein Glaube mir aber auch Halt gibt, nicht nur auf der richtigen Seite zu stehen in dem Sinne, dass ich auch sage, hier ist ein Land, das zu Unrecht angegriffen wurde.
Zumindest ist es meine Ableitung von meiner Religion, dass ich mich da auf die Seite desjenigen stellen muss, der eben zu Unrecht angegriffen wird und dass mir die Angst durch meine Religion genommen wird. Ich bin jetzt nicht fatalistisch unterwegs, aber mein Glaube an Gott, an eine höhere Gerechtigkeit gibt mir dann wieder Halt, deutlich zu machen, dass ich auf der richtigen Seite stehe, dass es nur diese eine Seite gibt, die meines Erachtens richtig ist, die sich gerade für Frieden einsetzt.
Ich glaube, da kommt auch eine ganz große Rolle auf die katholische Kirche oder auf die Kirche insgesamt zu, Menschen Angst zu nehmen, ihnen Halt zu geben, ihnen Orientierung zu geben, eben auch Orientierung im Sinne der Gerechtigkeit.
Frings: Kommen wir zu einem anderen sicherheitspolitischen Engagement, wo Sie sich derzeit einbringen. Sie gehören der Enquete-Kommission Afghanistan an, die jetzt gerade kritisch evaluiert und auswertet, wie das deutsche Engagement in Afghanistan für mehrere Jahrzehnte tatsächlich ausgesehen hat. In Afghanistan waren die Deutschen mit dem vernetzten Engagement präsent, das vorgesehen hat, dass Auswärtiges Amt, Verteidigung und Entwicklungszusammenarbeit Hand in Hand vor Ort präsent waren. Als aber der Abzug vonstatten ging, war weder von engagiertem und vernetztem Vorgehen die Rede. Die Bilder waren eher sehr chaotisch. Was sind die Lehren aus unserem Afghanistaneinsatz?
Güler: Erstens würde ich sagen, dass diese 20 Jahre, wo wir uns in Afghanistan engagiert haben, nicht umsonst waren. Es waren keine verlorenen Jahre, auch wenn das von einigen ja so dargestellt wird, weil der Abzug zu Recht sehr, sehr chaotisch lief, gar keine Frage. Aber diese 20 Jahre haben dazu beigetragen, dass Menschen, die Analphabeten waren, schreiben und lesen gelernt haben, dass die Säuglingssterbequote abgenommen hat, dass viele junge Mädchen, junge Frauen, Bildungseinrichtungen und Schulen besuchen konnten, dass es einen Zugang zu Elektrizität gab, einen Zugang zu sauberem Wasser.
Das sind Dinge, die wir wirklich nicht kleinreden dürfen. Insofern wäre das die erste Lehre, die ich ziehe. Diese 20 Jahre waren nicht umsonst. Internationale Krisenprävention ist richtig. Es ist richtig, dass wir uns auch weiterhin da engagieren. Aber es muss in Zukunft auch viel vernetzter gedacht werden. Denn dieser vernetzte Ansatz ist in der Praxis nicht ganz aufgegangen, weil das "Silodenken" in den einzelnen Ressorts dann doch zu stark im Vordergrund stand, als dass beispielsweise wirtschaftspolitische Interessen im Sinne einer aufbauenden Entwicklungspolitik auch in unserem sicherheitspolitischen Interesse waren.
Das ist ehrlicherweise immer etwas geblieben, was auf dem Papier zwar festgehalten wurde, aber in der Praxis nicht wirklich aufgegangen ist.
Frings: Schauen wir die Lage in Deutschland. "Zukunft hat der Mensch des Friedens" ist das Leitwort. Die nahe Zukunft sieht die Europawahl vor, drei herausfordernde Landtagswahlen im Osten des Landes. Wenn man sich die Prognosen anschaut, dann muss man davon ausgehen, dass die AfD massive Zugewinne erhalten wird, es vermutlich schwierige Regierungsoptionen geben wird. Was ist Ihre Perspektive darauf? Was ist schiefgelaufen, dass wir jetzt in eine solche politische Realität hineinschlittern?
Güler: Es gibt dafür sicherlich ganz unterschiedliche Ursachen und Gründe. Viele machen das am Thema Migration fest, andere sehen die wirtschaftliche Entwicklung gerade auch als eine der Ursachen, weshalb die AfD so an Zulauf gewinnt. Das ist ja so der Elefant im Raum. Schauen Sie sich das Wahlprogramm der AfD für die Europawahl oder auch für die Landtagswahlen an. Sie bietet keine Lösungen auf all diese Herausforderungen.
Wir können uns in Deutschland nicht einmauern und sagen, dass wir das alles nicht brauchen, keine Migranten, keine Investitionen aus dem Ausland oder sonst etwas. Jeder gläubige Mensch muss auch Zuversicht haben und sie in diesen schwierigen, global herausfordernden Zeiten auch beibehalten und sein Kreuz oder ihr Kreuz nicht bei Rechtsextremen machen.
Denn es handelt sich hier ganz konkret nicht um eine fremdenfeindliche Partei, sondern um eine menschenfeindliche Partei. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass ein gläubiger Mensch gleichzeitig menschenfeindlich sein kann.
Frings: Sie persönlich sind Kind türkischer Einwanderer. Sie sind in einer Zeit großgeworden, als es in Mölln, Solingen und in Hoyerswerda rassistische Brandanschläge gab. Macht Sie das jetzt - 20 Jahre später - auch persönlich nachdenklich? Haben Sie persönlich Angst angesichts dieser Entwicklungen?
Güler: Angst ist nie ein guter Ratgeber. Aber Angst ist etwas sehr, sehr Menschliches. Deshalb würde ich das gar nicht abtun. Aber Angst darf nicht dazu verleiten, die Flagge einzurollen, sondern muss weiterhin dazu beitragen, dass auch Flagge gegen all diejenigen gezeigt wird, die ein Problem mit anderen Menschen haben. Es ist gerade in dieser Zeit richtig und wichtig, dass wir uns auch als Patrioten verstehen.
Wie Friedrich Merz es treffend formuliert hat, sind Patrioten Menschen, die ihr eigenes Land lieben. Faschisten sind diejenigen, die alle anderen hassen. Das ist ganz, ganz wichtig, immer wieder darauf aufmerksam zu machen.
Ich habe das als Kind erlebt. Sie haben Solingen erwähnt. Das war 60 Kilometer von dem Wohnort, wo meine Eltern, wo ich damals als Kind gelebt habe. Das war so nah, Mölln oder Hoyerswerda ja genauso. Aber das waren Dinge, die weiter weg waren. Solingen war so nah.
Mit dieser Angst groß zu werden – ich wurde 13 –, wir könnten die nächsten sein, war schwierig. Ich möchte diese Angst nie wieder haben und werde mich mein Leben lang dafür einsetzen, dass auch andere Menschen diese Angst nicht haben.
Frings: Vielen Dank, liebe Frau Güler, für den Austausch. Mehr Gespräche, mehr Diskursivität, mehr Mitmachangebote, dann beim Katholikentag ab dem 29. Mai in Erfurt.