DOMRADIO.DE: Sie haben auf Ihrer aktuellen Jahrestagung unter anderem über die schweren Menschenrechtsverletzungen im Iran gesprochen. Dazu zählt auch die Zwangsverpflichtung für Frauen, ihr Haar mit dem Hijab, also einem Schleier, zu verhüllen. Warum verstößt das auch gegen deren Religionsfreiheit?
Valerio Krüger (Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte IGFM): Man muss voran schicken, dass im Iran der Mullahs die Staatsreligion der Islam ist. Das ist eine klerikal-faschistische Diktatur, die den Menschen vorschreibt, was sie zu machen haben oder auch nicht.
Bei den Frauen ist es so, dass sie, wenn sie auf der Straße sind, den Hijab tragen müssen, sie also ihre Haare verdecken müssen. Das kam auch erst später in der Geschichte dieser Diktatur, aber jetzt ist es de facto geltendes Recht.
Das verstößt gegen die Menschenrechte, weil jeder Mensch natürlich entscheiden darf, was und wie er sich kleidet und wie er seine religiöse Überzeugung an den Tag legt. Deswegen sagen wir, dass das ein Verstoß ist.
Aber das ist nur ein Teil des Ganzen, denn Frauen sind dort Menschen zweiter Klasse. Vor Gericht haben sie nicht die gleiche Aussagekraft wie ein Mann.
DOMRADIO.DE: Der gewaltsame Tod der Studentin Jina Mahsa Amini vor über zwei Jahren hatte die Massenproteste im Iran ausgelöst. Sie wurde festgenommen, weil sie ihren Schleier angeblich nicht ordnungsgemäß getragen haben soll. Die Schleierverordnung ist noch mal verschärft worden. Was ist da der aktuelle Stand?
Krüger: Der aktuelle Stand ist, dass zeitgleich mit den Angriffen der Mullahs vor über einer Woche mit Raketen und Drohnen auf Israel, auf den Straßen ein massives Aufgebot der Sittenpolizei stattgefunden hat. Am gleichen Samstag formierten sich eine große Anzahl von Polizisten mit ihren Fahrzeugen und begannen, Frauen, die entsprechend ihrer Auffassung nicht richtig gekleidet sind, festzunehmen, massiv zusammenzuschlagen, in die Autos zu stecken und ins Gefängnis zu werfen.
Die aktuellen Berichte sagen, dass ganz viele junge Frauen aufgrund des angeblich nicht richtig getragenen Hijabs im Gefängnis gelandet sind.
DOMRADIO.DE: Die Verfolgung im Iran betrifft auch religiöse Minderheiten mit voller Härte. Wer zählt dazu?
Krüger: Wir haben quasi eine Diskriminierung aller, die nicht dem schiitischen Islam folgen. Wer beispielsweise den Islam verlässt, dem kann die Todesstrafe drohen. Wir haben christliche Konvertiten, also ehemalige Muslime, die zum Christentum übertreten.
Wir haben aber besonders bei den Bahai Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das ist eine kleine religiöse Minderheit, die völlig friedlich ist und die systematisch entrechtet wird. Denen werden beispielsweise die Häuser weggenommen, die dürfen nicht studieren.
Eine weitere Religionsgemeinschaft sind die Sufi-Derwische. Auch sie werden massiv diskriminiert und ebenfalls arabische Minderheiten in Belutschistan und anderswo, genauso wie die kurdische Minderheit, die auch stark diskriminiert wird.
DOMRADIO.DE: Was droht Menschen, die zum Christentum konvertieren?
Krüger: Menschen, die zum Christentum konvertieren, darf es eigentlich laut der Staatsräson der Mullahs gar nicht geben. Konvertiten drohen massive Strafen, die können ins Gefängnis kommen. Da haben wir auch einen aktuellen Fall. Eine christliche Konvertitin wurde zu zwei Jahren Haft verurteilt. Gegen sie wurde ein Ausreiseverbot verhängt, weil sie sich im Ausland hat taufen lassen.
DOMRADIO.DE: Der Iran zeigt in diesen Tagen im Fernsehen oft Bilder demonstrierender Menschen, die den Anti-Israel-Kurs der Mullahs bejubeln. Welchen Teil der Wahrheit bilden diese Bilder ab? Was wissen Sie darüber von Ihren Partnern vor Ort?
Krüger: Es gibt nur einen kleinen Teil von Menschen, die dieser Regierungslinie folgen. Der große Teil der Menschen ist gegen jegliche Form der Islamischen Republik. Die Mullahs agieren gegen die eigenen iranischen Menschen. Der Großteil der Iraner und Iranerinnen will nicht unter diesem terroristischen Mullah-Regime leben und lehnt den Anti-Israel-Kurs entschieden ab.
Die Mullahs agieren gegen die eigene Menschen und gegen Menschen außerhalb des Landes. Es ist ein Terror gegen innen und ein Terror gegen außen.
Das Interview führte Carsten Döpp.