DOMRADIO.DE: Ihr Bistum liegt mitten im Kriegsgebiet, gerade Ihre Bischofsstadt Odessa wurde erst diese Woche wieder heftig bombardiert. Die umkämpfte Stadt Cherson liegt auch in Ihrer Diözese. Wie geht es den Menschen in Ihrer Heimat gerade?
Stanislaw Szyrokoradiuk (Bischof von Odessa-Simferopol): Krieg ist immer schlimm. In Odessa geht die Situation noch einigermaßen, weil sie als Großstadt ein gutes Verteidigungssystem hat. Aber in Cherson sieht es anders aus. Ich war vor kurzem noch da. Da möchte man einfach nur noch weinen. Eine sehr schwierige Situation, viele Häuser wurden zerstört, nicht nur militärische Einrichtungen werden zum Ziel, sondern auch zivile Infrastruktur: Krankenhäuser, Wohnblöcke, Schulen. Das macht die Situation sehr schwierig. Das ist ein echter Völkermord.
DOMRADIO.DE: Wie sieht das konkret für das Gemeindeleben aus? Können Sie die Gottesdienste aufrechterhalten? Wie geht es den Priestern und Gläubigen?
Szyrokoradiuk: Gerade die Katholiken brauchen die Gottesdienste. Das Osterfest vor einigen Wochen hat den Menschen sehr gut getan. Die Kirchen sind voll. Es kommen auch viele neue Leute, die wir vorher noch nie gesehen haben. Die Menschen streben nach Frieden.
Ja, wir brauchen materielle Unterstützung, aber gerade die geistliche oder moralische Unterstützung ist heute so wichtig wie noch nie. Das spielt eine große Rolle im Moment. Die Menschen sind uns sehr dankbar, weil viele Priester bei ihnen geblieben sind, auch in den besetzten Gebieten.
DOMRADIO.DE: Ein Teil ihrer Diözese ist von Russland besetzt. Zu ihrem Bistum gehört auch die Krim, die schon seit zehn Jahren umkämpft ist. Wie können Sie da überhaupt die Bistumsstrukturen aufrechterhalten?
Szyrokoradiuk: Mein Weihbischof ist auf der Krim geblieben und verwaltet dort im Moment als Administrator. Acht Priester sind ebenfalls noch dort. Kirche funktioniert unter der Besatzung, auch wenn wir uns bewusst sind, dass wir unter konstanter Überwachung stehen. Die Liturgie, die Gottesdienste finden aber regelmäßig statt.
Ich bitte meine Priester nur immer um eine Sache: Verliert kein Wort über die Politik, kein Wort über die Lage. Betet und Predigt über Gott. Auf diese Weise können wir bei den Leuten bleiben, das ist das Wichtigste für uns.
Schwieriger ist es in anderen Regionen, zum Beispiel einem Teil der Region Cherson. Dort sind auch zwei Priester geblieben. Die leben in einer sehr schwierigen Situation. Sie sind in Lebensgefahr. Aber trotzdem sagen sie: Was mit unseren Leuten passiert, das passiert auch mit uns.
Kontakt zu halten ist schwierig, aber nicht unmöglich. Telefon geht kaum, aber WhatsApp kommt durch. Es gibt verschiedene Möglichkeiten der Kontaktaufnahme, deshalb stehen wir in ständigem Kontakt zu unseren Christen auch in der Besetzung.
DOMRADIO.DE: Sie sind gerade in Deutschland und haben unter anderem mit Unterstützung von Renovabis ein Gespräch mit NRW-Minister Nathanael Liminski geführt. Welche Unterstützung wünschen Sie sich aus unserem Land?
Szyrokoradiuk: Erst mal möchte ich mich für die Unterstützung bedanken, die wir bekommen. Ich spüre diese Solidarität der Christen sehr stark. Natürlich auch die materielle Hilfe. Von Deutschland bekommen wir sehr viel, unter anderem durch Organisationen wie die Caritas oder Renovabis. Diese Kontakte funktionieren sehr gut. Nur deshalb können wir den Leuten helfen, die Unterstützung am nötigsten haben. Deshalb danke ich dafür sehr herzlich.
DOMRADIO.DE: Auf politischer Ebene wird im Moment viel über Waffenlieferungen diskutiert. Die Ukraine wünscht sich stärkere Unterstützung auch in diesem Bereich. Was sagen Sie dazu als Bischof? Kann man als Christ auf tödliche Waffen hoffen?
Szyrokoradiuk: Aus theologischer und moralischer Sicht sind Waffen natürlich immer schlecht. Aber es gibt verschiedene Kategorien von Waffen, zum Angriff oder zur Verteidigung. Wenn Waffen zur Verteidigung fehlen, fordert das auch Opfer. Dann sterben Kinder und Unschuldige. Dann gibt es neue Ruinen, weil wir keine Chance haben, uns zu verteidigen. Wenn ein Haus brennt, muss der Nachbar Wasser zum Löschen geben. Verteidigungswaffen sind unser Löschwasser.
DOMRADIO.DE: Papst Franziskus wird von vielen Seiten kritisiert, weil er sich nicht deutlich genug auf die Seite Ihres Volkes stellt. Vor einigen Wochen ging seine Aufforderung die "Weiße Flagge" zu hissen durch die Schlagzeilen. Was denken Sie darüber?
Szyrokoradiuk: Unser Volk versteht sehr gut, dass der Papst kein Politiker ist. Wir sind sehr dankbar für das Engagement des Heiligen Vaters. Jede Woche betet er für die leidenden Menschen in der Ukraine. Er hat der Ukraine sehr viel geholfen. Das betrifft aber die spirituelle Ebene, nicht die politische.
Seine Aussage zur "Weißen Flagge" hat bei uns schon zu Diskussionen geführt. Aber der Papst ist ein Kirchenoberhaupt. Was soll er denn sagen? Macht euch an die Waffen? Alles was der Papst sagt ist, dass Frieden immer die bessere Option ist, weil Krieg immer einen Verlust bedeutet.
DOMRADIO.DE: Wie haben denn die Menschen in der Ukraine auf diese Aussage des Papstes zur "Weißen Flagge" reagiert?
Szyrokoradiuk: Wir haben in der Ukraine nur eine Wahl: Kämpfen oder zu Sklaven werden. Die "Weiße Flagge" ist für uns keine Option.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.