Der Pfarr-Cäcilien-Chor Rheidt existiert seit 175 Jahren

"Die älteste Sängerin singt seit 75 Jahren"

Während viele Kirchenchöre aussterben, kann der Pfarr-Cäcilien-Chor in Rheidt sein 175-jähriges Bestehen mit vielen Mitgliedern feiern. Als er gegründet wurde, gab es noch keine Autos. Wie schafft es der Chor, so lange zu existieren?

Am 10. März 2024 gestaltete der Pfarr-Cäcilien-Chor Rheidt unter der Leitung von Simon Botschen das Musikalische Abendgebet im Kölner Dom. (privat)
Am 10. März 2024 gestaltete der Pfarr-Cäcilien-Chor Rheidt unter der Leitung von Simon Botschen das Musikalische Abendgebet im Kölner Dom. / ( privat )

DOMRADIO.DE: Zur Feier des Jubiläums wird der Pfarr-Cäcilien-Chor an diesem Sonntag um 10 Uhr eine Festmesse in der Rheidter Pfarrkirche gestalten. Wie gewöhnlich oder auch ungewöhnlich ist es denn, dass ein Kirchenchor so alt ist wie Ihr Chor? 

Simon Botschen (Seelsorgebereichsmusiker Katholischer Kirchengemeindeverband Siegmündung): Also, gewöhnlich finde ich das ehrlich gesagt nicht. Die Zahl ist, auch wenn man bei uns im Erzbistum schaut, schon etwas außergewöhnlich. 

Selbst der Domchor am Kölner Dom ist jünger, wenn man ab seiner Wiedergründung rechnet. Natürlich ist er eigentlich älter, aber er ist ja neu gegründet worden seinerzeit. Ich durfte mich im Rahmen meines Studienabschlusses in Düsseldorf intensiv mit einer Chorchronik eines anderen Chores beschäftigen und diese auswerten. Da ging es genau um die Frage: Warum schafft es ein Chor nicht, der eine ähnlich lange Laufzeit hat, weiter zu bestehen und löst sich auf? Das war ganz spannend und auch fruchtbar für die Arbeit für meinen Chor jetzt. Insofern sind die 175 Jahre wirklich ein ganz stolzes Alter. 

DOMRADIO.DE: Wie wichtig ist es denn für die Chormitglieder, dass sie in einem so traditionsreichen Chor singen, den es schon seit 175 Jahren gibt: Ist das sehr präsent bei den Mitgliedern? 

Simon Botschen

"Neben den vielen aktiven Mitgliedern, die wir noch haben, gibt es auch eine große Anzahl an passiven Mitgliedern."

Botschen: Das ist bei den Mitgliedern sehr präsent, wie bei uns im Ortsteil insgesamt. Wir sind dörflich geprägt; das ganze Vereins- und Dorfleben steht noch sehr hoch im Kurs. Neben den vielen aktiven Mitgliedern, die wir noch haben, gibt es auch eine große Anzahl an passiven Mitgliedern. Daran sieht man, wie im ganzen Dorf das Chorleben getragen und unterstützt wird. 

DOMRADIO.DE: Was gab damals vor 175 Jahren den Impuls, diesen Chor zu gründen? Das war ja fast noch zu Lebzeiten von Robert Schumann oder auch Felix Mendelssohn Bartholdy... 

Botschen: Es ist eine völlig andere Zeit gewesen. Da spielt neben der allgemeinen Entwicklung etwa des Bürgertums in den Städten die Lokalgeschichte jeweils stark hinein. 

Der Chor ist 1849 zeitgleich mit einem Männerchor gegründet worden und die haben sich dann separiert. Der Kirchenchor hat dann seine kirchlichen Aufgaben übernommen, der Männerchor existiert auch noch heute. Der hat eher einen anderen Schwerpunkt. Die beiden Chöre feiern jetzt auch zusammen, sodass man ein Fest mit zwei Chören hat. 

Seit 1849 existiert schon der Pfarr-Cäcilien-Chor Rheidt
Seit 1849 existiert schon der Pfarr-Cäcilien-Chor Rheidt

DOMRADIO.DE: Sie haben es schon angesprochen. Es gibt Chöre, die sind untergegangen, es gibt Chöre, die bestehen auch heute noch. Haben Sie eine Ahnung, warum es Ihren Chor heute noch gibt? 

Botschen: Ich glaube, wie ich es eben schon mal versucht habe anzudeuten, dass es im Dorf auf extrem viele Schultern verteilt ist und der Rückhalt im Dorf sehr hoch ist. Das Vereinsleben hat da noch einen großen Stellenwert. Da gibt es ein paar Familien, die ganz viele Chormitglieder stellen und das geht durch alle Generationen. Das ist total beeindruckend. Das habe ich bisher auch noch nicht so erlebt. 

DOMRADIO.DE: Wie sieht denn bei Ihnen der Chor-Alltag aus? Welche Musik singen Sie als Kirchenchor? 

Simon Botschen

"Da gibt es ein paar Familien, die stellen ganz viele Chormitglieder und das geht durch alle Generationen. Das ist total beeindruckend."

Botschen: Mir war es immer schon wichtig, allen Chören, mit denen ich gearbeitet habe, eine möglichst große musikalische Bandbreite zu präsentierten, dass man also musikalisch viel erlebt, dass man sich eben nicht nur im 17. und 18. Jahrhundert bewegt, sondern auch mal Ausflüge in die heutige Zeit macht. Denn es gibt ja durchaus auch unter den neuen Kompositionen Sachen, die für einen Kirchenchor gut geeignet sind. 

Und da bin ich unserem bisherigen Erzdiözesankirchenmusikdirektor Richard Mailänder sehr dankbar. Er ist ja gerade in den Ruhestand gegangen. Er hat sich wirklich sehr eingesetzt, dass es neue Musik für die Chöre gibt, die aber auch machbar für sie ist. Es gibt ja ganz viel neue Musik, aber da ist auch ganz vieles dabei, das eben für einen Laienchor nicht geeignet ist. 

DOMRADIO.DE: Eine Zäsur in Ihrem Chor ist sicherlich auch die Corona-Zeit gewesen. Da haben ja die Chöre insgesamt ziemlich gelitten. Sie sind erst seit einem Jahr der Chorleiter. Wie versuchen Sie denn aktuell, die bestehenden Sänger und Sängerinnen zum einen zu halten, aber auch vielleicht, neue dazu zu bekommen?

Simon Botschen

"Das Sterben eines jeden Chores ist vorprogrammiert, wenn man es so macht wie die letzten 30 Jahre."

Botschen: Also ich bin zwar seit einem Jahr erst der Chorleiter, aber ich habe natürlich vorher schon als Seelsorgebereichsmusiker auch den Chor mit begleitet. Das Sterben eines jeden Chores ist vorprogrammiert, wenn man es so macht wie die letzten 30 Jahre. Das ist ja auch so eine These, die gerne bei Kirchens gelebt wird. "Das war schon immer so, das lassen wir so."

Wir machen aber zum Beispiel ein Chorprojekt, das nach dem Jubiläumsgottesdienst beginnt, bei dem wir auch Sänger von außen einladen und uns für ein Chorprojekt öffnen. Dadurch gewinnen wir vielleicht auch neue Sänger. Ich finde es wichtig, dass man erstens den Sängerinnen und Sängern ein spannendes Programm serviert und eben nicht nur das Repertoire, das man immer singt, aufwärmt. Sondern, dass man immer wieder etwas Neues reinbringt. Dass das Singen also spannend bleibt, dass es neu bleibt, auch aus verschiedenen Genres, dass man auch altersübergreifend am besten verschiedene Leute anspricht. 

Ja, und dann ist es eben spannend, dass es in unserem Chor diesen Altersunterschied gibt. Die älteste Sängerin singt seit 75 Jahren im Chor und das jüngste Mitglied gerade mal ein gutes halbes Jahr.

DOMRADIO.DE: Und jetzt wird das Bestehen des Chores groß gefeiert. Am Sonntag, am 5. Mai ist dann um 10 Uhr die Festmesse in der Pfarrkirche. Was werden Sie denn da singen? 

Pfarr-Cäcilien-Chor Rheidt (privat)
Pfarr-Cäcilien-Chor Rheidt / ( privat )

Botschen: Wir haben im Moment ein Problem: Unsere große Orgel ist kaputt. Insofern mussten wir ein bisschen improvisieren. Die wird auch wahrscheinlich erst im Herbst repariert werden können, sodass wir eine Messkomposition mit einem Blechbläser-Quartett aufführen werden, die wir seit Anfang des Jahres einstudiert haben. 

Die Blechbläser übernehmen dann quasi die fehlende Orgel. Wir müssen ein bisschen improvisieren, aber es geht ja um das Chorjubiläum und nicht um ein Orgeljubiläum (lacht). 

DOMRADIO.DE: Wie wichtig ist es denn für den Chor, dieses Jubiläum auch kräftig zu feiern? 

Botschen: Die Planungen im Chor laufen immer sehr weit im Voraus und von daher war es uns von Anfang an total wichtig, 175 Jahre besonders zu feiern. Wir haben im März angefangen mit einem Evensong am Kölner Dom. Da durften wir sonntags abends singen. Und jetzt kommt dieser Fest-Gottesdienst. 

Das musikalische Highlight ist im November. Am 22. November, am Tag der heiligen Cäcilia, der Patronin der Kirchenmusik, werden wir dann beim Chorprojekt hoffentlich mit vielen Sängerinnen und Sängern vorne in der Kirche stehen und mit einem großen Orchester die Kirchenmusik hochleben lassen. 

DOMRADIO.DE: Und worauf freuen Sie sich als Chorleiter am meisten bei diesem Jubiläumsjahr? 

Botschen: Ich freue mich einfach darüber, dass es den Chor seit 175 Jahren schon gibt und dass ich mir eigentlich keinerlei Sorgen machen muss, dass der Chor in den nächsten fünf bis zehn Jahren nicht mehr existieren wird. Denn wenn ich mir die Altersstruktur anschaue, wenn ich mir die Anzahl, vor allem auch die der Männerstimmen anschaue, das ist auch nicht "normal", wie das da bei uns ist. Es ist schon positiv "untypisch" alles. 

Ich bin dafür sehr dankbar und wir wissen dies alle auch vor Ort zu schätzen, natürlich auch der Pastor. Und wir tun alles dafür, dass das so bleibt und noch weiter ausgebaut werden kann.  

Das Interview führte Mathias Peter. 

Quelle:
DR