Es ist ein Satz, der das Entsetzen im Missbrauchskomplex um den Priester Edmund Dillinger (1935-2022) aus dem Bistum Trier auf den Punkt bringt: "Es ist kaum zu begreifen, dass eine Persönlichkeit wie Dillinger über Jahrzehnte im Dienst der Kirche verbleiben konnte - trotz allen Wissens über seine Übergriffigkeiten und Missbrauchstaten." So reagierte die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch im Bistum Trier (UAK) auf den am Dienstag vorgestellten vorläufigen Abschlussbericht von zwei Sonderermittlern, die die UAK beauftragt hatte.
Der ehemalige Koblenzer Generalstaatsanwalt Jürgen Brauer und der frühere stellvertretende Leiter der Staatsanwaltschaft Trier, Ingo Hromada, waren zu einem entlarvenden Fazit gelangt: Der für soziales Engagement vielfach ausgezeichnete katholische Priester Dillinger habe über Jahrzehnte das Gegenteil dessen gelebt, was er gepredigt habe. "Er lebte seine von ihm nach außen scharf missbilligte (Homo-)Sexualität ungehemmt und in zum Teil strafrechtlich relevanter Weise aus und trat machtbesessen, egozentrisch, narzisstisch und geltungssüchtig auf", so die Sonderermittler.
Ergebnisse der Studie
Ihre 96-seitige Studie macht deutlich, dass der Missbrauchskomplex Dillinger ein größeres Ausmaß hat als bislang bekannt. Laut der Sonderermittler hat Dillinger mindestens 19 Personen sexuell missbraucht. Die Missbrauchstaten in "verschiedenen Schweregraden" habe er von 1961 bis 2018 begangen, heißt es in dem Bericht. Elf Opfer seien namentlich bekannt.
Darüber hinaus seien "sehr viele Personen", deren Zahl nicht annähernd zu beziffernd sei, Opfer von sexuell motiviertem Verhalten Dillingers geworden, "indem sie in sexualisierten Posen fotografiert wurden, Berührungen in allen Körperregionen ausgesetzt waren oder Annäherungsversuche abwehren mussten". "Die Tatenlosigkeit und das Wegschauen von kirchlichen Verantwortlichen - was nur als bewusste Vertuschung gewertet werden kann - diente zuvörderst dem Schutz des guten Namens der Kirche und des Bistums", betonte die UAK.
"Erst ab 2012 hat man angefangen, die Dinge, soweit es ging, richtigzustellen", sagte der UAK-Vorsitzende Gerhard Robbers in der Pressekonferenz. Erst 2012 verbot das Bistum Dillinger, Messen zu feiern und Kontakt zu Jugendlichen zu haben. Vorher hätten Kirchenverantwortliche viel zu wenig auf die Betroffenen geschaut, so Robbers. Bischöfe im Bistum Trier seit den 1960er Jahren waren Matthias Wehr (1951-1966), Bernhard Stein (1967-1980), Hermann Josef Spital (1981-2001), Reinhard Marx (2002-2008) und Stephan Ackermann (seit 2009).
Erklärung des Bistums
Das Bistum erklärte am Dienstag mit Blick auf den Dillinger-Bericht: "Die beiden Ermittler zeichnen das Bild eines Menschen, der über Jahrzehnte ein Doppelleben führte." Dies sei auch möglich gewesen, weil frühere Verantwortliche nicht gehandelt oder unangemessen reagiert hätten.
Als ein Beispiel für die Doppelmoral von Kirchenverantwortlichen führt die UAK folgenden Vorgang auf: Das Bistum habe keine Bedenken gegen die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Dillinger im November 1977 gehabt. Fast zeitgleich habe der damalige Trierer Bischof Stein aber seine Ernennung zum "Monsignore" kategorisch abgelehnt.
Die Ermittlungen rund um Dillinger
Dillinger war Priester in mehreren Kirchengemeinden im Saarland und in Rheinland-Pfalz. Im Abschlussbericht werden "Vernetzungen von Dillinger in unterschiedlichen Gruppierungen" aufgeführt. "Die Rolle dieser Bündnisse beim Verschweigen und Verdecken der Missbrauchsfälle bedarf noch der Aufarbeitung", hieß es. Die Sonderermittler fanden jedoch "keine Hinweise darauf, dass Dillinger seine zahlreichen Mitgliedschaften dazu nutzte, Netzwerke für strafrechtlich relevanten sexuellen Missbrauch aufzubauen oder an solchen teilzuhaben" - also Pädophilennetzwerke.
Dillinger war als Gründer der Hilfsorganisation CV-Afrika-Hilfe aber auch in vielen afrikanischen Ländern unterwegs. Der vorläufige Abschlussbericht endet mit den Worten: "Wir hoffen, dass die noch offenen Recherchen in Afrika neue Erkenntnisse erbringen und sich noch weitere Betroffene melden."