Die Zahl der politisch motivierten Straftaten hat im vergangenen Jahr erstmals die Marke von 60.000 übersprungen. Insbesondere der Nahost-Konflikt und die Themen "Klima und Umweltschutz" führten demnach 2023 zu einem erneuten Anstieg von 1,89 Prozent auf 60.028 erfasste Taten, wie aus der am Dienstag veröffentlichten Statistik von Bundesinnenministerium und Bundeskriminalamt hervorgeht.
Die Sicherheitsbehörden verzeichneten einen Anstieg in den Bereichen rechts und links sowie ausländische und religiöse Ideologie. Dem stand ein Rückgang an Fällen gegenüber, die keinem der vier Bereiche zugeordnet wurden. Dazu hätten im Vergleich weniger Taten im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie geführt, hieß es.
2022 waren knapp 59.000 Straftaten mit politischem Hintergrund erfasst worden. 2013 waren es mit etwa 32.000 noch deutlich weniger gewesen. Die Behörden führen die Statistik der politisch motivierten Kriminalität seit 2001.
Taten gegen Menschenwürde und Demokratie
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach von Taten, die sich gegen die offene und freiheitliche Gesellschaft, vielfach gegen die Menschenwürde und gegen die Demokratie richteten. Es gelte, die Demokratie zu verteidigen. Und es gelte die Menschen zu schützen, die "Rassismus, Judenhass, islamistische Gewalt, Rechtsextremismus und Linksextremismus zu spüren bekommen" und angefeindet, bedroht oder attackiert werden.
Auch müssten Ehrenamtliche sowie Polizei- und Rettungskräfte geschützt werden. Der Rechtsstaat müsse hier ein deutliches Stoppsignal setzen. Faeser sagte, der Rechtsextremismus bleibe "die größte extremistische Bedrohung für unsere Demokratie und die Menschen in unserem Land".
Rechtes Gedankengut bei Straftaten
Mit 28.945 rechts motivierten Straftaten entfiel 2023 fast die Hälfte der Fälle auf diesen Bereich. Auch die Zahl der Straftaten gegen Geflüchtete sei noch einmal sehr stark gestiegen, um 75 Prozent auf 2.488, sagte Faeser. Die allermeisten wurden laut Statistik von rechten Tätern verübt.
Dieser Bereich nähere sich leider wieder den "traurigen Höchstständen" von 2015/16 an, erklärte Faeser. Damals waren viele Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. "Es ist in höchstem Maße menschenverachtend, Menschen zu attackieren, die vor Krieg und Terror geflüchtet sind und bei uns Schutz gefunden haben", so die Ministerin.
Mehr judenfeindliche Straftaten seit Hamas-Angriff
Einen Höchststand mit 5.164 Fällen erreichte im vergangenen Jahr auch die Zahl judenfeindlicher Straftaten. Im Vorjahr waren es nur 2.641 gewesen. Allein 53 Prozent der 2023 erfassten Taten seien nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel Anfang Oktober verübt worden, so BKA-Chef Holger Münch.
"Der 7. Oktober 2023 war für Jüdinnen und Juden eine tiefe Zäsur, leider auch in Deutschland", sagte dazu Faeser. "Die Spirale, dass Eskalationen im Nahen Osten zu noch mehr widerwärtigem Judenhass hier führen, müssen wir dringend durchbrechen."
"Erschütternder Anstieg"
Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, nannte den Anstieg "dramatisch und erschütternd". Jüdinnen und Juden seien einem Hass ausgesetzt, der im Verhältnis zu anderen Gruppen besonders eklatant sei, sagte Klein dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Der Beauftragte forderte, den Kampf gegen Antisemitismus durch bessere Strafverfolgung, mehr Bildung und Sensibilisierung zu intensivieren.
Stark angestiegen sind laut Statistik im vergangenen Jahr insgesamt die Zahl der Straftaten in den Bereichen ausländische Ideologie auf 5.170 (plus 33 Prozent) und religiöse Ideologie auf 1.458 (plus 200 Prozent). In beiden Bereichen nahmen auch Gewalttaten deutlich zu.
Grüne fordern Reform der Statistik
Die Grünen hatten in der vergangenen Woche eine Reform der Erfassung politisch motivierter Straftaten angeregt. Ihrer Einschätzung nach würden derzeit zu viele Taten gar keinem Bereich zugeordnet, also weder als rechts oder links erfasst noch ausländischer oder religiöser Ideologie zugeordnet.
Andere Straftaten würden nicht ausreichend als politisch motiviert eingeordnet. 2022 waren rund 40 Prozent der erfassten Delikte keinem Bereich zugeordnet worden, 2023 waren es rund 28 Prozent.