DOMRADIO.DE: Das Grundgesetz ist erst mal etwas Weltliches, nicht in erster Linie kirchlich. Warum ist es Ihnen trotzdem wichtig, unsere Verfassung auch als Kirche zu feiern?
Rainer Tüschenbönner (Leiter Domforum und Leiter des Katholischen Bildungswerkes Köln): Der Text, der aus den Erfahrungen entstanden ist, die im Zweiten Weltkrieg gemacht wurden, fußt vor allen Dingen darauf, die Menschenwürde zu unterstreichen und hervorzuheben.
Das ist ein Themenfeld, auf dem sich kirchliche und weltliche Interessen in besonderer Weise überschneiden, die wir gemeinsam zu tragen haben. Insofern ist es das Grundgesetz in jedem Fall wert, von einer kirchlichen Einrichtung unterstützt zu werden.
DOMRADIO.DE: Deswegen machen Sie etwas Symbolisches, Sie verteilen das Grundgesetz im Domforum an diesem Donnerstag. Ist das nicht erst mal ein langweiliger Gesetzestext?
Tüschenbönner: Gesetzestexte sind in einer sehr nüchternen Sprache verfasst. Aber wenn man da genau drauf schaut und die Sprengkraft wahrnimmt, die darin steht und sich bewusst wird, zu welchem Zeitpunkt das entstanden ist, sind das sehr gehaltvolle Texte. Zum Beispiel: Artikel drei, Absatz zwei: Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Allein das noch mal beschrieben zu haben .
Und dann sehen wir, dass die Wirklichkeit an vielen Stellen immer noch nicht ganz den Gesetzestext eingeholt hat. Darum ist das ein zeitloser Text im Anspruch. Besonders großartig sind die 19 Grundrechte, die in den ersten 19 Artikeln beschrieben sind, denn sie sind grundlegend für alles. Sie wurden aus diesem Gesetzeswust herausgehoben, weil sie eine besondere Wertigkeit bekommen haben. Ich glaube, das ist schon ganz besonders, was wir mit dem Grundgesetz haben.
DOMRADIO.DE: Im Domforum und dem Katholischen Bildungswerk gibt es aktuell ein Schwerpunktthema: Demokratie fördern mit verschiedenen Veranstaltungen. Sehen Sie die Demokratie ein bisschen bröckeln oder akut in Gefahr?
Tüschenbönner: Ja und nein. Ja insofern, dass wir es aktuell mit vielen rechtspopulistischen Strömungen zu tun haben. Die Deutsche Bischofskonferenz hat jetzt im Februar eine viel beachtete Erklärung verabschiedet, dass der völkische Nationalismus mit dem Christentum nicht vereinbar ist. Am Ende sagten sie auch noch mal sehr deutlich, dass wir uns gemeinsam aktiv für eine freiheitliche Demokratie engagieren sollen, denn sie unterstützt die Menschenwürde und hält sie hoch.
In den verschiedenen Länderparlamenten erleben wir sehr unterschiedliche Mehrheiten. Deshalb müssen wir wachsam sein, Anfeindungen wahrnehmen und dagegen vorgehen, wie es auch im ersten Halbjahr dieses Jahres in besonderer Weise passiert ist. Das war auch für uns der Grund, im vergangenen Herbst diese Demokratieförderreihe zu planen.
Allein dass Menschen für die Demokratie auf die Straße gehen, dass sie sagen, wir wollen nicht akzeptieren, dass andere unser Staatswesen runtermachen, dass in Abrede gestellt wird, was für eine Errungenschaft wir haben, dass wir in einer freiheitlichen Situation miteinander leben können in Deutschland. Das wollen wir aufrechterhalten, und sei es egal ob von links oder rechts.
Das ist schon höchst eindrucksvoll. Insofern: Ja, es gibt die Anfeindungen. Nein, wir treten ein für Demokratie.
DOMRADIO.DE: Und was das Grundgesetz angeht, arbeiten Sie auch mit der Volkshochschule zusammen. Da geht es um ein Foto-Workshop.
Tüschenbönner: Ja, wir möchten mit der Volkshochschule jetzt ein Foto-Workshop starten mit einem Sommer- und einem Herbstkurs im Juli und im September. Dazu sind Leute eingeladen, die gerne fotografieren und die Interesse daran haben, die Grundrechte mit fotografischen Elementen zu illustrieren. Daraus soll eine Ausstellung entstehen, die wir auch präsentieren möchten. Also die Menschen zum Mitmachen für ihr Grundgesetz einladen, das ist das Ziel.
Das Interview führte Tobias Fricke.