Österreichischer Bischof Zsifkovics will die EU stärken

"Wir können die EU neu beatmen"

In Österreich wurde die rechtspopulistische FPÖ bei der Europawahl stärkste politische Kraft. Für viele Europäer sei die EU zum Sündenbock geworden, glaubt der Eisenstädter Bischof Ägidius Zsifkovics. Da müsse man gegensteuern.

Stimmabgabe zur Europawahl / © Martin Schutt (dpa)
Stimmabgabe zur Europawahl / © Martin Schutt ( dpa )

DOMRADIO.DE: Sie hatten im Vorfeld der Wahlen die Menschen dazu aufgerufen, wählen zu gehen, um den Rechten nicht das Feld zu überlassen. Die Beteiligung war höher als sonst, trotzdem haben die rechten Parteien ziemliche Zuwächse gehabt. Muss man sich damit abfinden, dass rechte Parteien in Europa über kurz oder lang auf nationaler und EU-Ebene Mehrheiten stellen werden?

Bischof Ägidius Zsifkovics / © Erzdiözese Wien
Bischof Ägidius Zsifkovics / © Erzdiözese Wien

Ägidius Zsifkovics (Bischof von Eisenstadt/Österreich und Vertreter der Österreichischen Bischofskonferenz in der EU-Bischofskommission COMECE): Es hat zwar einen Zuwachs auf der rechten Seite gegeben, aber insgesamt, wenn wir das Ergebnis anschauen, dann sehen wir ganz deutlich, dass doch die konstruktive Mitte gestärkt worden ist. Eine Stimme für Europa und diese Kräfte sind natürlich jetzt mehr als gefordert, auch in Zukunft für Europa positiv weiterzuarbeiten, damit wir nicht wirklich am Ende gestärkte Ränder haben und die Mitte geschwächt wird.

Ich denke, das Ergebnis spricht für sich. Ich bin zuversichtlich, denn es gibt eine qualifizierte Mehrheit, die zeigt, dass die konstruktiven Kräfte in Europa für Europa gemeinsam arbeiten wollen. 

Bischof Ägidius Zsifkovics

"Wenn Dinge nicht funktionieren, dann wird Europa schnell zum Sündenbock."

DOMRADIO.DE: Die größten Gewinner der Wahl waren die europakritischen, rechtspopulistischen Kräfte. In Österreich ist die rechte FPÖ sogar die stärkste Kraft geworden. Wie erklären Sie sich das?

Zsifkovics: Ich denke, hier sollte man die Kirche im Dorf lassen. Ich glaube, die FPÖ hat hier sehr viele kritische Stimmen versammelt, die einfach ihre Kritik loswerden wollten und sich an Europa irgendwie "rächen" wollen.

Bei den positiven Aspekten ist alles super, was aus Europa kommt. Aber wenn Dinge nicht funktionieren, dann wird Europa schnell zum Sündenbock. Aber das ist eine Milchmädchenrechnung und wir müssen hier noch mehr - in der Kirche, aber vor allem auch in der Politik - auf die Bedürfnisse und die Anliegen der Menschen eingehen.

Hier stehen zwei Themen im Mittelpunkt. Das eine ist das Friedens- und Sicherheitsthema. Das ist ein ureuropäisches Thema, denn darauf gründet auch die Europäische Union und es war ihr Ziel, dass es nach den beiden verheerenden Kriegen so etwas nie wieder auf europäischem Boden gibt.

Und das zweite Thema ist natürlich die Migration, die uns fordert. Es gibt jetzt diesen Pakt, der geschlossen wurde, ein erster kleiner Schritt in eine gemeinsame Richtung. Das wird man sicher noch aufbessern müssen. Aber wenn wir uns hier nicht als Kirche und vor allem auch die Politik sich nicht diesen Fragen stellen und den Menschen versuchen, einleuchtende und gute Antworten zu geben, wird es problematisch. Denn sonst suchen sie sich diese Antworten woanders und stärken die linken oder rechten Ecken. 

DOMRADIO.DE: Sie sagen, die EU wird schnell zum Sündenbock. Ihre Diözese liegt im österreichischen Burgenland, da gibt es auch eine große EU-Skepsis, gleichzeitig hat die Region immer wieder von den EU-Förderungen besonders profitiert. Wie passt das zusammen?

Zsifkovics: Bei uns ist die FPÖ nicht die stärkste Kraft gewesen, bei uns waren vor allem jene Kräfte stark, die sich wirklich für Europa eingesetzt haben. Unser Burgenland ist im Zuge der EU-Erweiterung sozusagen vom Rand in die Mitte gerückt. Früher, als wir am Rand des Eisernen Vorhangs lebten, wurden wir häufig das "Armenhaus Österreichs" bezeichnet. Wir sind einer der größten Nutznießer der EU in Österreich und ich glaube auch, dass viele Menschen das sehen. 

Aber ich bin auch etwas bisschen frustriert, denn ich denke, hier müsste die Politik noch viel mehr den Menschen im tagtäglichen Leben die Vorzüge von Europa präsentieren: Nicht nur wenn es Probleme gibt, sondern auch diese positiven Dinge, die wir immer als selbstverständlich annehmen. Wir nehmen gerne die Förderungen aus Brüssel, aber wenn es dann Probleme oder Fragen gibt, dann wird die EU sofort zum Sündenbock. Das müssen wir umzukehren. Da ist die Politik gefordert.

Das ist auch eine leise Kritik von meiner Seite, dass erst in den letzten Wochen und Monaten Themen in den Wahlkampf eingebracht wurden, die die europäische Politik und die EU ausmachen. Es wurde Monate oder Jahre davor wenig davon gesprochen. Da dürfen wir uns nicht wundern, wenn das bei den Menschen nicht durchsickert. 

Bischof Ägidius Zsifkovics

"Europa ist kein fertiges Projekt, da müssen wir auch unseren Beitrag leisten."

DOMRADIO.DE: In Frankreich hat Präsident Macron nach massiven Stimmverlusten die Konsequenzen gezogen und zu Neuwahlen aufgerufen. Das ist riskant, denn der Rassemblement National könnte dabei genauso gut abschließen wie bei der Europawahl. Machen Sie sich Sorgen um Europa?

Zsifkovics: Ich mache mir Sorgen um Europa, wenn wir, die wir Europa ausmachen, nicht alle miteinander an der Baustelle Europas mitarbeiten, wenn wir uns zurücklehnen und uns nur die Vorzüge herausnehmen. Europa ist kein fertiges Projekt, da müssen wir auch unseren Beitrag leisten. Da sind wir alle gefordert, die einzelnen Bürger, aber genauso und vor allem die Kirchen, die Politik und alle wichtigen Kräfte in der Gesellschaft und in den Institutionen. Denn was wollen wir? Europa steht für Freiheit, für Frieden, für Wohlstand, für Demokratie, für Menschenrechte. Ich denke, das ist es wert, gefördert zu werden. 

Denn wir wollen ja nicht das, was von der anderen Seite propagiert wird: Unfreiheit, eine Aushöhlung der Menschenrechte, ein autokratisches und autoritäres System. Viele Teile in Europa haben das erlebt und tragen heute noch die Konsequenzen davon. Wir wissen doch, wohin Nationalismus und Radikalismus führen. Das hat nie die Freiheit für die Menschen gebracht. Ich glaube, so viele Menschen laufen Gefahr, das zu vergessen. Da müssen wir mit Bewusstseinsbildung gegensteuern.

DOMRADIO.DE: Wie stehen Sie beim Thema Rechtsruck in Europa im Austausch mit Ihren Amtsbrüdern in der EU-Bischofskommission COMECE? Wie können die Kirchen dazu beitragen, diese Stimmung zu verändern?

Zsifkovics: Die COMECE-Bischöfe, also die Bischöfe aus den Ländern der Europäischen Union, haben hier bisher konstruktiv zusammengearbeitet. Es gibt natürlich, das darf man nicht verschweigen, auch Geschwindigkeitsunterschiede, denn jedes Land bringt seine Geschichte mit. Da müssen wir immer wieder die Balance finden.

Aber es gibt insgesamt ein proeuropäisch europäisches Denken. Alle wollen in dieser Bischofskonferenz Europa stärken, weil wir fest an das glauben, was die Gründerväter damit verbunden haben. Als Christen können wir doch gar nicht anders. Wollen wir wieder zurück in unsere Nationalismen, in unsere kleinkarierte Einfalt? Oder wollen wir die Vielfalt? 

Hier braucht es Zusammenarbeit und Einheit. Da wird sich die Kirche in Zukunft noch mehr engagieren müssen. Da müssen wir die Balance finden und wir müssen uns unsere christlichen Werte, das jüdisch-christliche Fundament, die europäischen Wurzeln immer wieder in Erinnerung rufen. So können wir die EU sozusagen neu beatmen, denn ich sehen ein bisschen in Gefahr, dass sie außer Atmen gerät.

Das Interview führte Ina Rottscheidt.

Europawahl

Alle 5 Jahre wählen die Bürger und Bürgerinnen der Europäischen Union (EU) ein neues Europäisches Parlament. Alle, die wählen gehen, entscheiden mit, wer die Bürger und Bürgerinnen im Europäischen Parlament vertritt. Gewählt wird in allen Staaten der EU.

Vor der Europawahl / © Boris Roessler (dpa)
Vor der Europawahl / © Boris Roessler ( dpa )

 

Quelle:
DR