DOMRADIO.DE: Es gab eine hohe Wahlbeteiligung bei den Parlamentswahlen in Frankreich, die höchste seit 1981. Was lesen Sie daraus?
Barbara Franke (Pfarrerin der deutschsprachigen Gemeinde der evangelischen Christuskirche in Paris): Daraus lese ich, dass die Französinnen und Franzosen gemerkt haben, dass es jetzt auf ihre Stimme ankommt. Und dass sie sich trotz der Ferienzeit, was die ganze Sache noch erschwert hat, bemüht haben, eine Vollmacht auszustellen, damit ihre Stimme gezählt werden kann.
Das wurde mir auch von Gemeindemitgliedern gesagt: "Machen Sie sich keine Sorgen, wenn es darauf ankommt, dann stehen die Französinnen und Franzosen für die Demokratie auf."
DOMRADIO.DE: Ihre Gemeindemitglieder sind also auch mehrheitlich in Frankreich wahlberechtigt?
Franke: Nein, meine Gemeindemitglieder sind deutsch und nicht wahlberechtigt. Manche haben es bereut, dass sie die doppelte Staatsbürgerschaft nicht schon längst beantragt haben und in dieser wichtigen Wahl ihre Stimme geltend machen konnten.
DOMRADIO.DE: Als die Europawahl kürzlich in Frankreich für Macrons Partei zum Desaster wurde, hat der Präsident die Parlamentsneuwahlen angekündigt. War das ein geschickter Schachzug oder war es hochgefährlich? Wie ist das bei Ihnen in der Gemeinde aufgenommen worden?
Franke: Es stieß überall auf Schrecken und Unverständnis. Die Taktik, die anderen zu überraschen und von schnellen Bündnisbildungen abzuhalten, ist ja nicht aufgegangen. Wenigstens hat das linke Bündnis die Mehrheit. Das ist weniger schlimm.
DOMRADIO.DE: Ist die Politik auch schon mal Gegenstand von seelsorglichen Gesprächen bei Ihnen oder in der Predigt?
Franke: Natürlich wird es manchmal gestreift. Etwa wenn Leute zu mir sagen, sie haben als Kind das Dritte Reich erlebt und dann die Jugend in der Nachkriegszeit verbracht, sie möchten nie wieder erleben, dass Faschisten an die Macht kommen. Einige erwägen, doch zurück nach Deutschland zu gehen.
In der evangelischen Kirche sind ja Stellungnahmen zu politischen Ereignissen durchaus gewünscht, auch von Pfarrpersonen. Nicht parteipolitisch, aber generell. Wir haben das hier an den Sonntagen in den Predigten thematisiert und vor allem in die Fürbitten aufgenommen. Das war der Ort, wo es am konkretesten geworden ist, natürlich ohne Wahlempfehlung, aber eben mit der Bitte, besonnen und bedacht von dem Wahlrecht Gebrauch zu machen.
DOMRADIO.DE: Die Kirchen haben sich im Vorfeld der Wahlen zurückgehalten. Wie ist das jetzt nach dem Wahlergebnis?
Franke: Das kann ich nicht teilen. Wir haben bereits am 13. Juni eine Verlautbarung der Präsidentin des Nationalrats der Reformierten Kirche Frankreichs bekommen, die wir auch in der Gemeinde verteilt haben. Darin ging es um die Bewertung der Europawahl und einen Aufruf für den ersten Wahltag.
Dann kam am 3. Juli vom Vorsitzenden des Rates der Kirchen Frankreichs eine noch deutlichere Verlautbarung, unbedingt das Wahlrecht wahrzunehmen. Dass die Kirche sich ganz klar für die demokratischen Kräfte positioniert, war die Botschaft. Insofern kann ich es nicht teilen, dass die Kirche sich nicht eingemischt hätte.
DOMRADIO.DE: Die französische Nationalmannschaft hat sich an solchen Aufrufen beteiligt. Frankreichs Kapitän Kylian Mbappé hatte mehrfach klar Stellung gegen Rechts bezogen und auch dazu aufgerufen, nicht den Rassemblement National zu wählen. Ist der Sport der richtige Ort für Politik?
Franke: Kylian Mbappé hat hier einen unheimlich hohen Starstatus. Ich finde es gut, dass er seine Popularität genutzt hat, denn er erreicht eben auch Wählerschichten, die vielleicht von anderen so nicht erreicht werden, also jene, die nicht die intellektuellen Zeitungen lesen oder Fernsehdebatten gucken. Insofern fand ich es schön, dass er seine Popularität für diese Sache genutzt hat.
Das Interview führte Tobias Fricke.