Führen Frankreichs Katholiken Marine Le Pen zum Sieg?

"Spaltung mitten durch die Gemeinden"

Bei der ersten Runde der Parlamentswahlen in Frankreich hat der Rassemblement National um Marine Le Pen triumphiert. Auch weil die katholischen Wähler anders abgestimmt haben, sagt Stefan Lunte, der seit 30 Jahre in Frankreich lebt.

Marine Le Pen vom Rassemblement National / © Thomas Padilla (dpa)
Marine Le Pen vom Rassemblement National / © Thomas Padilla ( dpa )

DOMRADIO.DE: Haben Sie ein Wahlergebnis in dieser Höhe für den Rassemblement National erwartet?

Stefan Lunte ist der Generalsekretär von Justitia et Pax Europa. / © Julia Steinbrecht (KNA)
Stefan Lunte ist der Generalsekretär von Justitia et Pax Europa. / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Stefan Lunte (Generalsekretär "Justitia et Pax Europa" und Mitarbeiter der EU-Bischofskommission COMECE): Ja, es war schon fast angekündigt. Mit dem Wahlergebnis gibt es keine Überraschung. Es ist genauso gekommen, wie es in den Umfragen vorhergesagt war.

Die Frage der nächsten Wahlrunde ist, ob der Rassemblement National eine absolute Mehrheit erringt oder ob es bei einer relativen Mehrheit bleibt. Das ist für den Rassemblement National von Bedeutung, weil sich daran entscheidet, ob er effektiv regieren kann oder in einer Minderheitensituation im Parlament bleibt.

DOMRADIO.DE: Womit wird in Frankreich der Erfolg der Rechtspopulisten erklärt?

Lunte: Ich glaube, dass drei Faktoren ausschlaggebend sind. Zum einen herrscht in Frankreich und vor allem in den ländlichen Gebieten das Gefühl vor, wirtschaftlich abgehängt zu sein. Die Menschen fühlen sich teils deklassiert. Diese Wahrnehmung gibt es schon lange und reicht bis zur weltweiten Finanzkrise 2009 zurück.

Ein zweiter Faktor ist die Enttäuschung über Emmanuel Macron. Die Wahl Macrons versprach einen neuen Schwung in das politische System Frankreichs, gar ein neues Politiksystem für Frankreich zu schaffen. Damals herrschte die Idee eines neuen Anfangs für das Land und eine neue Art Politik zu machen. Diese Hoffnungen sind alle enttäuscht worden.

Diese Enttäuschung wird zusätzlich durch eine gefühlte Unsicherheit gefüttert. Nicht nur in den Großstädten, sondern auch in den kleinen Städten nimmt die Kleinkriminalität faktisch aber auch gefühlt zu. Das wird auch eine Rolle gespielt haben.

DOMRADIO.DE: In Deutschland haben sich die Kirchen klar gegen die AfD positioniert. Gab es vor der Wahl etwas Vergleichbares wie eine Stellungnahme der Kirche in Frankreich?

Stefan Lunte

"Bisher waren die Katholiken an der Wahlurne eine Bastion gegen den Rassemblement National. Das ist bei dieser Wahl eingebrochen."

Lunte: Das würde ich nicht sagen, sondern es ist durch die Bischöfe relativiert worden, weil, so glaube ich, die Bischöfe aus ihrer Sicht wahrgenommen haben, dass die Wählerschaft des Rassemblement National nicht in eine rassistische, rechtsradikale Ecke gedrängt werden kann. Da geht man am Ziel vorbei. Dementsprechend ist die Wahlaussage anders ausgefallen. Es gibt da ein Umdenken in der Bischofskonferenz. So nehme ich es jedenfalls wahr.

DOMRADIO.DE: Kann man sagen, wo die französischen Bischöfe in dieser Frage stehen?

Lunte: Die Bischöfe selbst stehen sicherlich nicht auf der Seite des Rassemblement National. Ich kann nicht sagen, wo sich jeder einzelne Bischof verortet. Es gibt gleichermaßen aber auch keinen Bischof, der sich für die radikale Linke ausspricht. Die Bischöfe stehen eher für die bürgerliche Mitte.

Eine andere Sache ist die Position der katholischen Wähler. Dazu haben die Tageszeitung "La Croix" und die Wochenzeitung "La Vie" eine Analyse veröffentlicht. Bisher waren die Katholiken an der Wahlurne eine Bastion gegen Le Pen, den Front National und gegen den Rassemblement National. Das ist bei dieser Wahl eingebrochen. Die Spaltung geht mitten durch die Gemeinden.

DOMRADIO.DE: Am kommenden Sonntag findet die Stichwahl statt. Das liberale Lager um Macron und das linke Wahlbündnis haben eine Allianz angekündigt, um einen Sieg der Rechtspopulisten zu verhindern. Glauben Sie, dass das gelingt?

Lunte: Das ist schwer vorherzusagen. Ich lebe nun schon 30 Jahre in Frankreich und meine Erfahrung zeigt, dass es sehr schwer ist, jemanden, der in der ersten Runde vorne lag, trotz aller Absprachen wieder aus der Spitzenposition herauszukriegen. Da müssen wir einfach abwarten und sehen. Außerdem macht die enorm gestiegene Wahlbeteiligung eine Vorhersage schwer.

Stefan Lunte

"Der Rassemblement National konnte seine Stimmen verdoppeln. Das ist eine schwer einzufangende Bewegung. Ich weiß nicht, wie es am Ende ausgeht."

In meinem Wahlkreis, der mitten in Frankreich liegt, war festzustellen, dass insbesondere der Rassemblement National enorm Stimmen mobilisieren konnte.

Trotz der gestiegenen Wahlbeteiligung sind die absoluten Stimmen für das linke Lager und für den mittleren Block im Vergleich zur Wahl 2022 gleich geblieben. Der Rassemblement National konnte seine Stimmen verdoppeln. Das ist eine schwer einzufangende Bewegung. Ich weiß nicht, wie es am Ende ausgeht, daher müssen wir abwarten.

DOMRADIO.DE: Was würde eine Regierungsbeteiligung des Rassemblement National für Europa bedeuten?

Lunte: Das wird schon im Juli kompliziert. Die EU hat unter anderem gegen Frankreich ein Defizitverfahren eröffnet. Das würde bedeuten, dass dann ein eventueller Rassemblement-National-Finanzminister in Brüssel vor die Europäische Kommission und das Europäische Parlament treten müsste und das übermäßige Staatsdefizit der Macron-Regierung erklären sollte. Das wird gerade mit Blick auf die deutsche Politik mit ihrer Position der Einhaltung der Stabilitätsregeln des Schuldenpaktes interessant.

Ich sehe durch den Ausgang der Wahlen in Frankreich schwierige Zeiten für die EU voraus.

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Die EU-Bischofskommission COMECE

Etwa die Hälfte der Bewohner in der Europäischen Union sind nach Vatikan-Angaben Katholiken. Um den Dialog mit EU-Institutionen zu pflegen und Anliegen der katholischen Kirche zu Gehör zu bringen, unterhalten die Bischofskonferenzen der 27 Mitgliedstaaten eine eigene Kommission, die COMECE. Die Abkürzung steht für das lateinische "Commissio Episcopatum Communitatis Europensis".

Eingangsschild am Sitz der COMECE in Brüssel / © Julia Steinbrecht (KNA)
Eingangsschild am Sitz der COMECE in Brüssel / © Julia Steinbrecht ( KNA )
Quelle:
DR