Bonner Moraltheologe engagiert sich gegen Machtmissbrauch

Neuer Beauftragter der Universität

Der Bonner Moraltheologe Jochen Sautermeister war mehrere Jahre lang Dekan der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Bonn. Nun bekommt er dort eine zusätzliche Aufgabe. Eine mit Gewicht, wie er betont.

Jochen Sautermeister / © Julia Steinbrecht (KNA)
Jochen Sautermeister / © Julia Steinbrecht ( KNA )

DOMRADIO.DE: Das Rektorat der Universität Bonn hat Sie zum Universitätsbeauftragten gegen Machtmissbrauch ernannt. Was hat die Universität erwogen, diese Stelle einzurichten?

Universität Bonn / © gokhanadiller (shutterstock)

Prof. Dr. Dr. Jochen Sautermeister (Professor für Moraltheologie und früherer Dekan der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Bonn): Die Universität Bonn möchte den Kampf gegen Machtmissbrauch stärken. Wie andere Institutionen ist auch die Wissenschaft ein Ort, an dem Machtmissbrauch geschieht.

Im Herbst letzten Jahres formulierten daher die drei Landesrektorenkonferenzen in Nordrhein-Westfalen in einer Selbsterklärung gemeinsam die Absicht, effektiv gegen übergriffiges Verhalten und Machtmissbrauch an Universitäten vorzugehen. Dabei haben sie sich auf entsprechende Präventions- und Sanktionsmaßnahmen verständigt. Die Einrichtung des Universitätsbeauftragten gegen Machtmissbrauch an der Universität Bonn stellt einen Beitrag dazu dar.

DOMRADIO.DE: Welche Aufgaben haben Sie als Universitätsbeauftragter gegen Machtmissbrauch?

Sautermeister: Eine zentrale Aufgabe besteht darin, das Rektorat und die Fakultäten in Fragen von Machtmissbrauch zu beraten. Darüber hinaus hat die Universität Bonn bereits eine ansehnliche Zahl an Beratungsangeboten und Vertrauenspersonen, die im Falle unterschiedlicher Formen von Fehlverhalten wie sexueller Übergriffigkeit, Diskriminierung oder machtmissbräuchlichem Verhalten zuständig sind.

Diesen als Ansprechpartner zur Verfügung zu stehen, ist eine weitere Aufgabe. Im Bedarfsfall kann es auch darum gehen, entsprechende Ansprechpartner an der Universität Bonn zu vermitteln.

Jochen Sautermeister

"Auch innerhalb der Professorenschaft kommt Machtmissbrauch vor."

DOMRADIO.DE: Was kann man sich unter Machtmissbrauch an der Universität vorstellen?

Sautermeister: Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie hat in einem Kommissionsbericht unterschiedliche Formen von Machtmissbrauch benannt, die typischerweise an einer Universität vorkommen können. Ein paar Beispiele: auf erpresserische Weise Mehrarbeit einzufordern; das geistige Eigentum abhängiger Personen für sich zu beanspruchen; zu wissenschaftlichem Fehlverhalten zu zwingen, um bestimmte Ergebnisse zu erhalten; sexuelle Belästigung; körperliche Misshandlung oder Demütigung.

Insbesondere abhängige Personengruppen wie Studierende, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Wissenschaft und Verwaltung sind aufgrund ihrer abhängigen Position von Machtmissbrauch betroffen. Aber auch innerhalb der Professorenschaft kommt Machtmissbrauch vor.

Jochen Sautermeister

"Missbrauchsbegünstigende Strukturen gibt es auch bei Behörden, in Kliniken oder in der Kirche."

DOMRADIO.DE: Wie kann man erklären, dass es zu Machtmissbrauch an der Universität kommt? 

Sautermeister: Die Universität ist hierarchisch strukturiert, womit klare Abhängigkeitsstrukturen einhergehen. Den Professorinnen und Professoren kommt darin erhebliche Macht zu. Sie haben viele Entscheidungsbefugnisse.

Im Falle von Machtmissbrauch trauen sich die Betroffenen aufgrund ihres Abhängigkeitsverhältnisses oft nicht, auf entsprechende Missstände aufmerksam zu machen aus Angst vor negativen Konsequenzen, etwa einer schlechten Bewertung der Doktorarbeit oder der Verweigerung einer Vertragsverlängerung.

Angesichts eines Leistungsdrucks, der durch den wissenschaftlichen Wettbewerb gefördert wird, kann überdies bei bestimmten Persönlichkeiten das Risiko für Fehlverhalten steigen. Daher ist eine umsichtige Personalauswahl insbesondere bei Führungskräften so wichtig. Ebenso wirksame Kontroll- und Sanktionsmechanismen.

Lassen Sie mich aber ausdrücklich betonen: Die genannten strukturellen Faktoren gelten nicht nur für die Universität. Es ist offensichtlich, dass sie auch bei anderen Institutionen, die hierarchisch strukturiert sind, vorkommen. Missbrauchsbegünstigende Strukturen gibt es auch bei Behörden, in Kliniken oder in der Kirche.

Mich stimmt es jedoch zuversichtlich, dass immer mehr Einrichtungen für Machtmissbrauch sensibilisiert werden und entsprechende Präventions- und Schutzmaßnahmen ergreifen.

Symbolbild Geistlicher Missbrauch, wie in den Händen eines Marionetten-Spielers / © Sergey Nivens (shutterstock)
Symbolbild Geistlicher Missbrauch, wie in den Händen eines Marionetten-Spielers / © Sergey Nivens ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Was kann die Theologie an der Universität zum Thema Machtmissbrauch beitragen?

Sautermeister: Machtmissbrauch ist grundsätzlich ein Thema, mit dem sich die Theologie befasst. Allerdings nicht immer mit dieser Terminologie. Machtkritik ist etwa ein zentrales Thema der biblischen Propheten und auch Jesus hat machtmissbräuchliches Verhalten angeprangert.

Wer strukturelle Macht hat oder wem Macht aufgrund einer bestimmten Autorität zuerkannt wird, trägt eine besondere Verantwortung. Er hat dafür Sorge zu tragen, dass er die eigene Macht zum Wohl der Menschen und im Rahmen seines legitimen Auftrags ausübt. Gerade Machtpositionen können dazu verleiten, anderen zu schaden und sie für eigene Interessen zu instrumentalisieren oder zu missbrauchen. Im Hintergrund können ganz unterschiedliche Motive eine Rolle spielen, etwa Habgier, Narzissmus, Geltungssucht, Kränkung oder psychische Unreife.

Um Phänomene des Machtmissbrauchs zu erkennen und deren Dynamiken zu erklären, bedarf es daher des interdisziplinären Gesprächs. Mit ihrer Machtsensibilität und Machtkritik kann die Theologie hierfür einen wichtigen Beitrag leisten

DOMRADIO.DE: Und dennoch hat man den Eindruck, dass sich die Theologie erst seit ein paar Jahren mit dem Thema Machtmissbrauch befasst.

Jochen Sautermeister

"Man kann meines Erachtens also schwerlich leugnen, dass die Sensibilität gegenüber Machtmissbrauch innerhalb der Kirche gestiegen ist."

Sautermeister: Eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Thema Missbrauch in der Kirche hat in der deutschsprachigen katholischen Theologie erst seit dem Jahr 2010 verstärkt eingesetzt. Anlass war das Aufdecken von sexualisierter Gewalt am Canisius-Kolleg durch den Jesuiten Klaus Mertes. Seitdem wir das Thema Machtmissbrauch in seinen verschiedenen Facetten in der Kirche reflektiert und kritisiert. Zur Sichtbarkeit trägt auch die Veröffentlichung verschiedener Betroffenenberichte bei.

Man kann meines Erachtens also schwerlich leugnen, dass die Sensibilität gegenüber Machtmissbrauch innerhalb der Kirche gestiegen ist. Sexualisierte Gewalt und geistlicher Missbrauch haben ja immer auch mit Machtmissbrauch und dem Missbrauch von Vertrauen zu tun. Daher ist es auch ein zentrales Anliegen des Synodalen Wegs in Deutschland, aus den Missbrauchserfahrungen Konsequenzen zu ziehen.

Es eben nicht richtig, Missbrauch – egal in welcher Spielart – lediglich als individuelles Fehlverhalten zu erklären. Es bedarf vielmehr auch struktureller Maßnahmen, um gegen missbräuchliches Verhalten vorzugehen.

Jochen Sautermeister / © Julia Steinbrecht (KNA)
Jochen Sautermeister / © Julia Steinbrecht ( KNA )

DOMRADIO.DE: Wie schätzen Sie vor diesem Hintergrund die aktuelle Situation in der Kirche ein?

Sautermeister: Das muss man sehr differenziert betrachten. Es bestehen erhebliche Unterschiede, insbesondere wenn man eine weltkirchliche Perspektive einnimmt. Aber auch bei uns in Deutschland gibt es Unterschiede. Hinsichtlich entsprechender institutionalisierter Schutz- und Präventionsmaßnahmen gibt es noch Luft nach oben. Auch bei strukturellen Kontrollmaßnahmen und wirksamen Sanktionen sind noch Hausaufgaben zu machen.

Gefährlich wird es auch dann, wenn bestimmte Persönlichkeiten durch ihre Stellung in der Hierarchie mit einer besonderen Machtfülle ausgestattet sind oder wenn ihnen eine besondere Autorität zugestanden wird und sie ihr Amt missbräuchlich ausüben. Der Schaden für die Betroffenen ist immens.

Wenn die Weltsynode zur Synodalität den Missbrauch von Autorität als eine ihrer Herausforderungen nennt ist, dann ist das – bei aller weltkirchlichen Ungleichzeitigkeit – schon einmal ein wichtiger Schritt. Denn hier geht es auch um die moralische Glaubwürdigkeit der Kirche als Verkünderin des Evangeliums zum Wohl der Menschen. Entscheidend ist also, was man aus all den Erkenntnissen macht. 

DOMRADIO.DE: Was ist Ihnen besonders wichtig in Ihrer Aufgabe als Universitätsbeauftragter gegen Machtmissbrauch?

Sautermeister: Hier möchte ich drei Punkte nennen: Ich möchte dazu beitragen, dass das Bewusstsein für Dynamiken, Mechanismen und Strukturen gestärkt wird, die Machtmissbrauch an Universitäten begünstigen und fördern. Mit einer informierten Sensibilisierung soll dieser besser erkannt und Betroffene ermutigt werden, sich Hilfe und Unterstützung zu holen. 

Außerdem soll es darum gehen, Fehlanreize für übergriffiges und missbräuchliches Verhalten zu verringern sowie Strukturen, die Machtmissbrauch begünstigen, möglichst abzubauen. Und schließlich soll die Prävention gestärkt werden. Bei all dem wird deutlich: Es sind Aufgaben, die die gesamte Universität betreffen.

Es geht letztlich um die wirksame Förderung einer wertschätzenden und respektvollen Kultur an der Universität, so dass sich die Studierenden und alle Hochschulangehörigen dort sicher und respektiert fühlen.

Das Interview führte Ingo Brüggenjürgen.

Katholisch-Theologische Fakultät Bonn

Die Katholisch-Theologische Fakultät der Exzellenz-Universität Bonn zählt zu den renommiertesten Katholisch-Theologischen Fakultäten Deutschlands. Ihre interdisziplinäre, internationale und institutionelle Vernetzung bildet die Basis für starke Forschungsleistungen und die Bearbeitung aktueller, innovativer Fragestellungen. Wer hier studiert, wird befähigt und ermutigt, in unterschiedlichsten gesellschaftlichen Handlungsfeldern Verantwortung zu übernehmen: kritisch, konstruktiv und kreativ.

Innenhof der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn / © Harald Oppitz (KNA)
Innenhof der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR