Expertin kritisiert geplantes Kirchenverbot in der Ukraine

"Schrittweise Zerstörung der Strukturen"

Bis 2022 gehörte die "Ukrainisch-Orthodoxe Kirche" zum Patriarchat von Moskau. Nach Kriegsausbruch gab es eine Abspaltung. Nun soll die Kirche von der Regierung in der Ukraine offiziell verboten werden. Was steckt dahinter?

Symbolbild Russisch-orthodoxer Priester / © Natalia Kirsanova (shutterstock)
Symbolbild Russisch-orthodoxer Priester / © Natalia Kirsanova ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Bei dem Verbotsantrag geht es um die "Ukrainisch-Orthodoxe Kirche". Die gehörte bis 2022 dem Moskauer Patriarchat der russisch-orthodoxen Kirche an, hat sich nach Kriegsbeginn aber abgespaltet. Ihr gehören in etwa 10.000 Gemeinden an, damit stellt sie aber nicht die Mehrheit der orthodoxen Christen. Der Antrag im Parlament wirft ihr "Mitschuld an Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit" vor. Wie ist das einzuordnen?

Regina Elsner (privat)

Prof. Dr. Regina Elsner (Lehrstuhl für Ostkirchenkunde und Ökumenik an der Universität Münster): Die "Ukrainische Orthodoxe Kirche" war seit 1991 als Kirche mit weitreichender Autonomie Teil des Moskauer Patriarchats. Unter den Bedingungen des russischen Krieges gegen die Ukraine seit 2014 geriet diese Kirche tatsächlich unter zunehmenden Druck, sich deutlich vom Moskauer Patriarchat zu distanzieren. Dies hat sie allerdings erst mit der vollumfänglichen Invasion im Jahr 2022 getan, mit deutlichen Aussagen gegen den Krieg, auch öffentlich, mit einer großflächigen Absage an die Kommemoration des Moskauer Patriarchen in der Liturgie, dass man dort nicht für ihn betet. 

Prof. Dr. Regina Elsner

"Das war natürlich ein gewisser Bruch. Aber es ist keine richtige Abspaltung."

Im Mai 2022 beschloss eine Synode dieser Kirche, sich vom Moskauer Patriarchat zu trennen. Sie erklärte sich als "unabhängig und selbstständig". Keiner der ukrainischen Bischöfe nahm mehr an den Sitzungen in Moskau teil. Das war natürlich ein gewisser Bruch. Aber es ist keine richtige Abspaltung. Viele Menschen in der Ukraine und vor allem auch viele Politiker sind tatsächlich nicht überzeugt von dieser Lösung. Sie verdächtigen die Kirche weiterhin, mit Moskau zu sympathisieren und nur auf den Zeitpunkt zu warten, wo man wieder offen gemeinsam aktiv sein kann. Eine tatsächliche Spaltung ist es also nicht, sondern ein sehr unklarer kirchenrechtlicher Status. 

Es gibt tatsächlich einige Bischöfe und Priester, die nachweisbar mit den russischen Besetzern kollaborieren, die Staatsverrat begangen haben, die auch mit der russischen Armee zusammengearbeitet haben. Der ukrainische Staat sieht darin ein Sicherheitsrisiko, berechtigterweise. Und er will seit einiger Zeit gezielt gegen die Kirche vorgehen. Zum einen, um natürlich möglichst viele Gläubige auch in ihre zweite Kirche, die "Orthodoxe Kirche der Ukraine" zu bewegen. Zum anderen, um eben die letzten russischen Einflüsse in dieser Kirche zu vernichten. Man wirft der Kirche vor, dass sie durch ihre zögerliche Distanzierung von Moskau und durch das fehlende Vorgehen gegen die prorussischen Stimmungen in der Kirche eben auch den Erfolg der russischen Kriegspropaganda befördern würden und damit auch den Krieg an sich. 

DOMRADIO.DE: Heftigen Widerspruch gibt es von den führenden Köpfen der UOK, die betet für eine Befreiung der Ukraine, sammelt Geld für die Verteidigung, andererseits wurden führende Geistliche auch schon verhaftet, weil sie angeblich Russland unterstützen. Heißt das, dass die UOK auch in sich gespalten ist?

Elsner: Mir scheint, das muss man tatsächlich inzwischen so sagen. Die Kirche ist in sich sehr fragmentiert. Diese Spaltung vollzieht sich besonders zwischen den Bischöfen einerseits und den Gemeinden andererseits in meiner Wahrnehmung. 

Die Gemeinden sind oft fassungslos, ob der fehlenden oder auch sehr schlechten öffentlichen Haltung der Kirchenleitung, die sich nicht richtig positioniert in bestimmten Einzelfällen. Denn letztendlich leiden die Gemeindemitglieder, die Gläubigen an der Basis, unter den Anfeindungen aus der Gesellschaft. Es gab auch öffentliche Briefe von Priestern an die Kirchenleitung, endlich eine vollständige Abspaltung von Moskau vorzunehmen oder sich zumindest auch intensiver mit anderen orthodoxen Kirchen zu besprechen. Damit eine solche Loslösung auch nach kanonischen Regeln umgesetzt werden kann, also man sich nicht außerhalb der Kirche und des Heils bewegt. Die Kirchenleitung selbst scheint diese Forderungen leider komplett zu ignorieren. 

Prof. Dr. Regina Elsner

"Die Basis fordert eindeutige Äußerungen. Eine klare Verurteilung der Kollaborateure innerhalb der eigenen Kirche."

Die Basis fordert eindeutige Äußerungen. Klare Verurteilung der Kollaborateure innerhalb der eigenen Kirche. Eine klare Verurteilung der Kriegsverbrechen der russischen Kirche, nicht nur des Staates. Bis jetzt äußert man sich immer nur gegen den Staat, gegen die russische Armee, aber nicht gegen die russische Kirche. Das ignoriert die Kirchenleitung. Viele der Bischöfe scheinen tatsächlich darauf zu warten, dass der Krieg zu Ende geht und man sich dann wieder mit Moskau ins Einvernehmen versetzen kann, weiter aktiv sein kann mit der Kirche aus Moskau, weil sie finden, dass dieser Krieg quasi mit Religion nichts zu tun hat. Diese Haltung der Kirchenleitung ist tatsächlich fatal. 

DOMRADIO.DE: Nicht nur aus Russland, sondern auch aus dem Westen kommen Vorwürfe, ein Verbot der UOK wäre eine Einschränkung der Religionsfreiheit und könnte auch den Beitrittswunsch der Ukraine zu EU und NATO gefährden. Wie sehen Sie das?

Elsner: Es geht ja, das muss man immer dazusagen, nach wie vor zumindest öffentlich und formal mit diesem Gesetz nicht um ein Verbot dieser Kirche als Ganzes. Es geht um ein Verbot der "Russischen Orthodoxen Kirche" auf dem Territorium der Ukraine und um ein Verbot oder eine Überprüfung der Gemeinden, ob sie sich in einem Verhältnis zu dieser "Russisch-Orthodoxen Kirche" befinden oder eben nicht. Es geht um rechtliche Möglichkeiten, gegen die einzelnen Gemeinden oder Strukturen vorgehen zu können. 

Die Politik argumentiert hier mit den Sicherheitsinteressen der Ukraine. Und auch in anderen Ländern darf die Religionsfreiheit eingeschränkt werden, wenn es schwerwiegende Gefahren für das gesellschaftliche Leben gibt. Und damit argumentiert die Ukraine. Und deswegen haben sich sowohl die EU als auch die Vereinten Nationen oder die OSZE bisher nur sehr selten kritisch zu diesem Gesetzentwurf geäußert. 

Die tatsächliche Gefahr für die Religionsfreiheit der Gläubigen der "Ukrainischen Orthodoxen Kirche" geht meiner Ansicht nach jedoch von der gesellschaftlichen und der politischen Diskussion aus rund um dieses Gesetz. 

Mit diesem Gesetz wird eben doch immer wieder in der öffentlichen Diskussion formuliert, dass es hier um ein generelles Verbot, ein Ende der "Ukrainischen Orthodoxen Kirche" geht. Öffentlich feiert man dieses Gesetz als "Endlich wird die Moskauer Kirche verboten". Wenn man über Monate diese Kirche als "russisch" oder als "Moskauer Kirche" diffamiert, die angeblich den russischen Krieg begrüßen würde, dann schürt das natürlich Hass und auch Misstrauen gegen die einzelnen Gläubigen und Priester. In der Umsetzung liegt also tatsächlich eine große Gefahr für die Religionsfreiheit. Die internationalen Gremien und Partner der Ukraine sollten meiner Ansicht nach das sehr aufmerksam beobachten und auch wirklich mit der Ukraine ernsthaft besprechen. 

DOMRADIO.DE: Letzte Woche wurde der Verbotsantrag im ukrainischen Parlament diskutiert. Was denken Sie, wie stehen die Chancen, dass das Verbot tatsächlich umgesetzt wird? Oder will man damit nur ein Zeichen setzen?

Elsner: Mir scheint, dass das Gesetz früher oder später sicher angenommen werden wird. Es wird jetzt schon sehr lange diskutiert und die Stimmung ist seit Monaten sehr aufgeheizt. 

Die Umsetzung wird dann allerdings, glaube ich, zu vielen neuen Diskussionen führen. Es wird nicht sein, dass dieses Gesetz eingeführt wird und man dann schlagartig diese Gemeinden schließt, sondern es wird ein sehr mühsamer Prozess werden. Diese Diskussionen werden dann aber eben nicht mehr auf nationaler oder internationaler Ebene geführt werden, sondern dann geht es quasi um jede einzelne von diesen knapp 10.000 Gemeinden, die überprüft werden, die eine eigene Begutachtung bekommen. Und wir sehen jetzt ja schon im Umgang mit der "Ukrainischen Orthodoxen Kirche" sehr viel Willkür auf lokaler Ebene und auch vor allen Dingen eine Überforderung der Rechtsabteilung der "Ukrainischen Orthodoxen Kirche". 

Es gibt kaum Anwälte in der Ukraine, die die Interessen der "Ukrainischen Orthodoxen Kirche" vertreten wollen. Es wird also einfach auch ein Problem sein, dass es einen fairen Rechtsprozess gibt mit Anwälten, die tatsächlich die Interessen der "Ukrainischen Orthodoxen Kirche" vertreten. Das wird also sicher alles ein sehr, sehr langer, ein zäher und meiner Ansicht nach auch ein ungerechter Prozess werden, der für viele Gläubige der "Ukrainischen Orthodoxen Kirche" eine zusätzliche Belastung mitten im Krieg bedeutet. 

DOMRADIO.DE: Was würde solch ein Verbot denn praktisch für die 10.000 UOK-Gemeinden bedeuten? Würden die dann zu einer anderen orthodoxen Kirche wechseln? Oder sich auflösen? Dieses Verbot ignorieren?

Elsner: Es geht mit diesem Gesetz nicht um ein Verbot an sich, sondern es geht meiner Ansicht nach um eine schrittweise Zerstörung der Strukturen dieser Kirche, also den Entzug von Kirchengebäuden. Darum geht es sehr stark um Immobilienentzug und um ein Ende der Verwaltungsstrukturen. Es verbietet nicht den Glauben, es verbietet nicht die religiöse Praxis der Gläubigen. Es erschwert beides aber massiv, wenn man keine liturgischen Räume mehr hat, wenn man unter Beobachtung der Gesellschaft steht usw. 

Das Gesetz zielt meiner Ansicht nach darauf, möglichst viele Gläubige zu einem Übertritt in die "Orthodoxe Kirche der Ukraine" zu bewegen, also diese zweite unabhängige nationale Kirche. Diese wurde 2019 unter sehr unglücklichen Umständen gegründet und es gab eben keine große Vereinigung damals, wie sich das viele gewünscht hätten. Aber die meisten Gläubigen der "Ukrainischen Orthodoxen Kirche" wollen eben auch nicht in diese neue Kirche. Man kann niemanden per Gesetz zwingen in eine andere Konfession zu wechseln, wenn die Menschen das nicht möchten. 

Prof. Dr. Regina Elsner

"Man kann niemanden per Gesetz zwingen in eine andere Konfession zu wechseln."

Die Menschen haben wichtige Gründe, nicht zu wechseln, sonst hätten sie das längst tun können. Viele haben es auch getan und vermutlich werden es nach wie vor weiterhin einzelne Personen auch tun. 

Aber die meisten Gemeinden werden meiner Ansicht nach vermutlich einfach weiter sich in privaten Räumen treffen, zum Gottesdienst, zum Gebet. In größeren Städten wird man größere Wege auf sich nehmen, um zu den Gemeinden zu kommen, die noch nicht verboten sind. Man schafft sich damit eine Art Untergrundkirche und das könnte für den späteren innerukrainischen Zusammenhalt einfach auch ein wirkliches Problem werden. Vor allem, wenn wir planen, einen gerechten Frieden im Land selbst, eine starke Gesellschaft zu fördern, dann ist so eine Untergrundkirche, die sich verfolgt fühlt, die sich stigmatisiert fühlt, tatsächlich ein großes Problem. 

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Orthodoxe Kirchen in der Ukraine

Rund 70 Prozent der 45 Millionen Ukrainer bekennen sich zum orthodoxen Christentum. Sie gehören allerdings zwei verschiedenen Kirchen an: der ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats und der autokephalen (eigenständigen) "Orthodoxen Kirche der Ukraine".

Orthodoxe Kirche der Ukraine / © Sergey Korovayny (KNA)
Orthodoxe Kirche der Ukraine / © Sergey Korovayny ( KNA )
Quelle:
DR