Mit diesen Händen hätte er auch Pianist oder Chirurg werden können. Stattdessen ist Pietro Parolin Chefdiplomat des Papstes; ein Posten, für den es Fingerspitzengefühl, ein feines Gehör und Ausdauer braucht. Dass er all das hat, zeigt Kardinalstaatssekretär Parolin seit über zehn Jahren als Virtuose auf der Klaviatur der kirchlichen und internationalen Diplomatie.
Dabei bevorzugt er leise Töne gegenüber schrillen Akkorden - eine Vorliebe, die offenbar Anklang findet: Vietnam, Israel, China: alles Orte, an denen der Norditaliener für den Vatikan bereits Erfolge erzielte.
Friedensbemühungen
Nun schickte ihn Papst Franziskus, der Parolin im Oktober 2013 zu seinem Chefdiplomaten und ein halbes Jahr später zum Kardinal machte, an einen weiteren diplomatisch hochbrisanten Ort: die Ukraine. Dort scheint der Vatikan mit seinen Bemühungen um Frieden seit zweieinhalb Jahren auf der Stelle zu treten.
So reiste Parolin am Freitag erstmals seit Beginn des Krieges in das osteuropäische Land, offiziell als päpstlicher Sonderdelegat für die Wallfahrt im westukrainischen Berdytschiw. Doch werde er bei der bis Mittwoch angekündigten Visite "natürlich" die Gelegenheit nutzen, auch mit politischen Vertretern wie Präsident Wolodymyr Selenskyj zu sprechen, erklärte der 69-Jährige vor Ort laut Vatikan-Medien, und "natürlich" werde es auch um die Frage gehen, wo es schnellstmöglich Richtung Frieden geht.
Diplomatische Feuer
Die erneute Entsendung Parolins ins diplomatische Feuer zeigt einmal mehr, wieviel Franziskus seinem "verlängerten Arm" zutraut. So hatte der Papst ihn unlängst in den von einer Staatskrise geschüttelten Libanon geschickt.
Wie arabische Medien vorige Woche berichteten, soll Parolin in vertraulichen Gesprächen mit christlichen Führern fünf Namen für das Amt des Staatspräsidenten vorgeschlagen haben, auf den das Land mit dem ungewöhnlichen Verfassungspakt seit Monaten wartet. Das Amt steht laut Verfassung stets einem Vertreter der maronitischen Christen zu; diese gehören zur katholischen Weltkirche und erkennen den Papst als Oberhaupt an.
Gewiefter Kommunikator
Parolin warnte Ende Juni in Beirut davor, das Präsidentenamt weiter vakant zu lassen. Dies würde einer "politischen Ermordung des Konsenssystems" gleichkommen, so die drastischen Worte des hochgewachsenen Kardinals.
Im persönlichen Umgang wirkt Parolin eher moderat, offen und freundlich. Auch wenn der gewiefte Kommunikator, der sich schon mit Ende 20 für die Diplomatenlaufbahn entschied, sich sicher keine Geheimnisse entlocken lässt, so neigt er weder zur Arroganz noch zu hohlen Phrasen. Manchmal zeigt der Norditaliener ein herzliches Lächeln oder lässt im Gespräch ein leise seufzendes "Mamma mia" hören.
Viersprachig im Einsatz
Der aus Schiavon in der Provinz Vicenza stammende Parolin wurde dort 1980 zum Priester geweiht. Nach dem Studium der Theologie und Philosophie besuchte er von 1984 bis 1986 die Päpstliche Diplomatenakademie. Im gleichen Jahr trat der Doktor des Kanonischen Rechts in den diplomatischen Dienst des Heiligen Stuhls ein.
Nach Stationen in Nigeria und Mexiko wurde er 1992 Nuntiaturrat in der Sektion des Staatssekretariates für die Beziehungen mit den Staaten. Hier war Parolin, der neben Italienisch auch Spanisch, Französisch und Englisch spricht, vor allem für Spanien, Andorra, Italien und San Marino zuständig.
Unter Benedikt und Franziskus
Im November 2002 wurde er stellvertretender Außenminister des Vatikans. In dieser Funktion setzte er die heiklen Gespräche mit der kommunistischen Regierung in Vietnam fort und erreichte eine kluge Einigung zur gegenseitigen Anerkennung von Bischofsernennungen. Ebenso vollendete er die nicht minder diffizilen diplomatischen Verhandlungen zwischen Israel und dem Heiligen Stuhl.
2009 machte ihn Papst Benedikt XVI. zum Apostolischen Nuntius in Venezuela und weihte ihn im Petersdom zum Bischof. Vier Jahre später ernannte Papst Franziskus den Italiener zum Nachfolger von Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone. Ebenso berief der Papst ihn im Juli 2014 in die Kardinalskommission, die ihn bei der Kurienreform unterstützen sollte.
Art Generalvikar des Papstes bei der Leitung der Weltkirche
Eine weitere diplomatische Herkulesaufgabe gelang Parolin 2018 mit dem Geheimabkommen mit China, dessen dritte Verlängerung im Herbst ansteht. Die Verhandlungen laufen, wobei der Vatikan gerne einiges präzisieren und nachbessern würde, wie der Kardinal im Mai am Rande einer Konferenz in der Päpstlichen Universität Urbaniana durchblicken ließ. Denn derzeit präsentiert Peking dem Vatikan ein ums andere Mal nicht abgesprochene Bischofsernennungen.
Als Kardinalstaatssekretär ist Parolin nicht nur Chefdiplomat des Papstes und steht damit auch über dessen Außenminister Erzbischof Paul Richard Gallagher. Vielmehr ist er auch zuständig für die sogenannten "allgemeinen Angelegenheiten" und damit eine Art Generalvikar des Papstes bei der Leitung der Weltkirche; ein Grund mehr, warum er etwa bei den Gesprächen mit den deutschen Bischöfen zum "Synodalen Weg" immer mit dabei ist.
Karren aus dem Dreck ziehen
Seine Reise in die Ukraine, die er nach Juni 2016 und August 2021 zum dritten Mal besucht, könnte eine Chance sein, den ziemlich verfahrenen diplomatischen Karren aus dem Dreck zu ziehen. Und das, ohne seinen Kardinalskollegen Matteo Zuppi offen zu düpieren.
Dieser hatte im Juni 2023 als Sonderbeauftragter des Papstes zunächst in Kiew und drei Wochen später auch in Moskau Gespräche geführt. Die Friedensmission brachte jedoch außer humanitärer Hilfe des Vatikans kaum greifbare Ergebnisse. Vielleicht gelingt es dem obersten päpstlichen Unterhändler, einen für alle gangbaren Weg Richtung Frieden zu öffnen.
Ein Papstkandidat?
Im Januar wird Parolin 70; ein gutes Alter für einen möglichen Papst. Zudem ist der erfahrene Kirchenmann diplomatisch mit allen Wassern gewaschen, unter den Kardinälen bekannt und in vielen Themen zu Hause. Und: Parolin war nie Bischof einer Diözese. Er hat also wohl keine Leichen im Keller, was den Umgang mit Verdachtsfällen von sexuellem Missbrauch angeht. Zudem ging er aus dem Finanzskandal im Staatssekretariat und dem nachfolgenden vatikanischen Strafprozess ungeschoren hervor.
Einzig eine Prostata-Operation Ende 2020 ließ Zweifel an der erforderlichen Fitness aufkommen. Doch schon wenige Wochen später kehrte der Diplomat an den Schreibtisch zurück. Somit scheint der Weg frei für Gedankenspiele. Dem Kardinal selbst würde die Idee des Pietro Parolin auf dem Stuhl Petri vermutlich ein verstohlenes Grinsen entlocken: "Mamma Mia!"