Jerusalemer Patriarch warnt vor falscher Neutralität

"Wir müssen die Politik zurücklassen"

Christen geraten im Nahostkonflikt oft zwischen die Fronten. Die Kirche sieht sich vor allem humanitär gefordert. Helfen ist aber schwierig, weil jede Partei ein "Monopol auf das Leid" erhebe, sagt Kardinal Pierbattista Pizzaballa.

Kardinal Pierbattista Pizzaballa / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Kardinal Pierbattista Pizzaballa / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

Eine falsch verstandene Neutralität der Kirche im israelisch-palästinensischen Konflikt ist nach Worten von Kardinal Pierbattista Pizzaballa keine Lösung. 

"Kommen Sie mit nach Gaza, sprechen Sie mit meinen Leuten, die alles verloren haben, und dann sagen Sie mir, dass ich neutral bleiben soll!", sagte der Lateinische Patriarch von Jerusalem laut Mitteilung des katholischen Hilfswerks "Kirche in Not" vom Freitag bei einem Besuch einer Hilfswerksdelegation im Heiligen Land. 

Vereinnahmung der Kirche im Gaza-Krieg

Pizzaballa warnte zugleich vor einer Vereinnahmung der Kirche im Gaza-Krieg. Sie dürfe nicht Teil des politischen oder militärischen Konflikts werden: „Wir müssen die Politik zurücklassen. Jetzt, da die Wunden noch bluten, ist nicht der richtige Zeitpunkt, von Politik zu sprechen.“ 

Verteilung von Lebensmitteln in der katholischen Pfarrei in Gaza-Stadt / © Lateinisches Patriarchat von Jerusalem (KiN)
Verteilung von Lebensmitteln in der katholischen Pfarrei in Gaza-Stadt / © Lateinisches Patriarchat von Jerusalem ( KiN )

Aufgabe der Kirche sei es, Menschen zusammenzubringen und zu helfen. Das werde dadurch erschwert, dass jede Konfliktpartei ein "Monopol auf das Leid" erhebe und die Situation polarisiert sei. "Wenn man den Palästinensern gegenüber Nähe zeigt, fühlen sich die Israelis verraten, und umgekehrt." 

Doch Christen stünden in diesem Krieg auf beiden Seiten: "Wir haben Katholiken, die mit der Armee im Gaza-Streifen eingesetzt sind, und wir haben Katholiken, die in Gaza bombardiert werden", sagte der Patriarch.

"Konstruktive Präsenz" zeigen

Das Lateinische Patriarchat von Jerusalem  wolle "konstruktive Präsenz" zeigen, erläuterte Pizzaballa mit Hinweis auf die Hilfsprojekte, die "Kirche in Not“ mitfinanziert. Im Gaza-Streifen sei die Situation derart instabil, dass es Wochen dauern könne, bis Hilfe ankommt. 

Auch wenn sich die Lage dort aktuell schnell ändere, wagt der Patriarch bereits einen Blick in die Zukunft: "Alle Schulen sind zerstört oder werden als Unterkünfte verwendet. Die Kinder haben bereits ein Schuljahr verloren. Wir versuchen, mobile Container als Schulräume zu nutzen. Wir müssen jedoch Lehrer finden."

Arbeitslosigkeit auf Rekordhöhe

Bedarf sieht der Kirchenführer nicht nur bei der humanitären Hilfe, sondern auch für Seelsorge. Die Lage im Gazastreifen und auch im von Israel besetzten Westjordanland ist laut dem italienischen Franziskaner dramatisch. 

Hilfe erreiche die Menschen in Gaza aufgrund der Instabilität oft erst nach Wochen. Im Westjordanland sei die Arbeitslosenrate in Folge des kriegsbedingten Einbruchs des Tourismus und des israelischen Entzugs von Einreisegenehmigungen für palästinensische Arbeiter auf 78 Prozent gestiegen. Das sei "die höchste Quote der Geschichte".

Lateinisches Patriarchat von Jerusalem

Das Lateinische Patriarchat von Jerusalem betreut die rund 60.000 bis 70.000 römisch-katholischen Christen im Heiligen Land. Seine Jurisdiktion erstreckt sich über das Staatsgebiet von Israel, Jordanien, Zypern und die Palästinensischen Gebiete. Die Ursprünge des Patriarchats liegen in der Zeit der Kreuzfahrer, die sich als "Lateiner" bezeichneten. Es erlosch jedoch mit dem Fall Akkos 1291. Im Jahr 1847 belebte Papst Pius IX. das Patriarchat neu.

Blick auf Jerusalem / © Kyrylo Glivin (shutterstock)
Quelle:
KNA