DOMRADIO.DE: Große Gefühle, Operngesang, bunte Kleider und im Mittelpunkt stand die queere Lebensweise. Haben Sie die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele 2024 gesehen?
Pfarrer Burkhard Hose (Buchautor und Würzburger Hochschulpfarrer): Ehrlich gesagt nur teilweise. Ich habe mir im Nachhinein die relevanten Stellen noch mal angeschaut, um die es in der Diskussion ging.
DOMRADIO.DE: Wie war ihr Eindruck?
Hose: Ich fand, die gesamten Eröffnungsfeierlichkeiten waren eine sehr beeindruckende Inszenierung, auch weil sie nicht in einem Stadion platziert waren, sondern der Seine entlang. Sie war sehr bunt und auch sehr offen. Man kann sicherlich geschmacklich über manches unterschiedlicher Meinung sein, aber ich war schon beeindruckt.
DOMRADIO.DE: Die Spiele und vor allem eine Szene hat ein großes Politikum ausgelöst. Gläubige, Bischöfe und Politiker, vor allem aus dem rechten Spektrum, haben sich über die angebliche Darstellung eines queeren Abendmahls echauffiert. Können Sie diese Aufregung nachvollziehen?
Hose: Ehrlich gesagt nicht. Dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen hat sich herausgestellt, dass die Aufregung auf Grundlage falscher Informationen losgetreten wurde. Es handelt sich nicht um eine Persiflage oder Nachahmung der Abendmahlsszene, sondern um ein Gemälde, das den Dionysoskult beziehungsweise den Gott Apollon in der Mitte zeigt.
Da war ein ganz anderer Bezugspunkt bei dieser Performance und nicht das Abendmahl von Leonardo da Vinci. Deswegen sollte man sich besser informieren, wenn man sich schon aufregt und Blasphemie ruft.
DOMRADIO.DE: Der Regisseur und auch der künstlerische Direktor des Organisationskomitees, Thomas Jolly, hat erklärt, dass es bei dieser umstrittenen Szene um eine Hommage an das 1635 entstandene Gemälde "Fest der Götter" von Jan van Bijlert handeln soll. Glauben Sie nicht, dass er trotzdem provozieren wollte und dieses Politikum in Kauf genommen hat?
Hose: Ich kann seine Motive schwer rekonstruieren oder mir vorstellen. Tatsache ist, dass so eine Darstellung mit klassischen Abendmahlsdarstellungen assoziiert wird. Das sagt etwas darüber aus, dass dieses Motiv sehr fest geprägt ist.
Für manche ist gar nicht mehr wichtig, um was es tatsächlich geht. Man sieht Anklänge an die Abendmahlsdarstellungen, ob das jetzt beabsichtigt war oder nicht. Die Aufregung ist im Raum und damit muss man sich auseinandersetzen.
DOMRADIO.DE: Sie gehören der Organisation "OutinChurch" an, deswegen die Frage: Nutzt ein solcher Eklat Ihren Bemühungen?
Hose: Nein, das nutzt uns nicht. Der Eklat ist aus meiner Sicht durch die starken Reaktionen von konservativen Seiten ausgelöst worden. Wir kritisieren, dass zum Beispiel Bischof Oster in seiner offiziellen Stellungnahme diese Inszenierung als queeres Abendmahl bezeichnet und sagt, dass es der Tiefpunkt der gesamten Veranstaltung gewesen sei.
Das bedient queerfeindliche Ressentiments, die wir für höchst problematisch und gefährlich in unserer Zeit halten. Die Gewalt gegen queere Menschen nimmt derzeit zu. Wenn man so etwas dann noch mal befeuert und als Tiefpunkt markiert, dann dient das nicht der Anerkennung und dem Respekt, der queeren Menschen zu kommen sollte.
DOMRADIO.DE: Sie haben Bischof Stefan Oster in einem Facebookpost als ausgrenzend und queerfeindlich betitelt. Das sind harte Worte. Gestehen Sie ihm nicht zu, sich in seinen religiöse Gefühlen verletzt zu fühlen?
Hose: Das hat nichts mit religiösen Gefühlen zu tun. Wenn er sagt, dass ein queeres Abendmahl ein Tiefpunkt einer Inszenierung sei, ist das ausgrenzend Wer sollte denn am Tisch Jesu Platz nehmen und wer nicht?
Wenn er sagt, dass queere Menschen nicht in die Nähe Jesu gehörten, dann ist das eine queerfeindliche Äußerung. Wer sich so deutlich positioniert, muss auch damit zurechtkommen, dass er deutlich kritisiert wird und Reaktionen hervorruft.
Grundsätzlich kann ich durchaus nachvollziehen, wenn Menschen sich in ihren religiösen Gefühlen verletzt sehen, vielleicht auch spontan durch so eine Darstellung.
Gerade deswegen ist es aber wichtig, dass diejenigen, die Verantwortung tragen und verantwortliche Positionen bekleiden, besonnen reagieren und sich erst mal informieren, worum es eigentlich geht. Damit sie solche emotionalen Reaktionen nicht weiter anstacheln.
DOMRADIO.DE: Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt, heißt es. Wessen Freiheit wird hier eingeschränkt?
Hose: Man muss in Betracht ziehen, wer aus einer Position der Macht oder auch der Privilegiertheit oder einer selbstverständlichen Akzeptanz in der Gesellschaft heraus spricht und wer nach wie vor gesellschaftlich mit Diskriminierung und Ausgrenzung zu tun hat.
Es geht hier letztlich um Freiheitsrechte für Menschen, die nach wie vor diskriminiert und benachteiligt werden. Ein Bischof Oster oder auch diejenigen, die das kritisieren, sprechen im Grunde aus einer Position der Macht oder aus einer Position heraus, in der sie solche Diskriminierungserfahrung für sich nicht machen.
Von daher muss man genau schauen, wer aus welcher Position und aus welcher Warte heraus spricht. Freiheiten für queere Menschen müssen nach wie vor erkämpft werden. Freiheiten für die heteronormative Gesellschaft und für ihre RepräsentantInnen müssen nicht erkämpft werden.
DOMRADIO.DE: Glauben Sie, die Kirchenvertreter nutzen diese Darstellung als Bühne, um gegen queere Personen zu schießen?
Hose: Ich glaube nicht, dass sie sich darauf stürzen oder das beabsichtigen. Es ist, glaube ich, ein spontane Reaktion gewesen. Von daher würde ich nicht sagen, dass es um eine geplante Bühne geht, die diese Kreise nutzen.
Man muss jedoch gucken, welche Reaktionen ausgelöst werden. Muss man nicht von den Leuten auch fordern, dass sie etwas mehr mit Bedacht vorgehen? Dieser Anlass taugte auf keinen Fall dafür, so etwas wie einen Kulturkampf loszutreten.
Man sieht ja, wer sich neben Bischof Oster und anderen offiziellen Kirchenvertretern dem anschließt. Das sind sehr konservative Kreise. Jemand wie ein Elon Musk sieht sich berufen, sich dazu zu äußern. Das sind ganz eigenartige Koalitionen, die sich bilden, die wir in den letzten Jahren immer wieder beobachten.
Queerness, Feminismus und all diese Anliegen werden zu einem Gegenbild konstruiert zu einer Gesellschaft oder zu einer Ordnung, die sie bedroht sehen. Das ist für queere Personen durchaus gefährlich.
Das Interview führte Clemens Sarholz.